Synthetisches menschliches Erbgut - eine ethisch brisante Zukunfts-Technologie

Forscher starten ein Projekt, das in zehn Jahren die künstliche Erzeugung des menschlichen Genoms ermöglichen soll

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Wissenschaftler wollen an den Erfolg des Human-Genom-Projekts anknüpfen: Diesmal geht es jedoch nicht um das Lesen, sondern um das Schreiben. Ihr Ziel ist die Synthese eines kompletten menschlichen Genoms in einer Zelllinie. Mit den ethischen Implikationen beschäftigen sie sich nur halbherzig.

Kombinieren Forscher die Begriffe "synthetisch", "menschlich" und "Erbgut" in einem Satz, weckt dies ungute Assoziationen - vom Homunculus über Klone bis zum Designer-Baby. Nun definieren diese Begriffe sogar das Ziel eines ehrgeizigen Projekts: Führende Wissenschaftler wollen in den nächsten zehn Jahren die Technologie so weit vorantreiben, dass die Synthese eines menschlichen Genoms machbar wird. Der künstliche Mensch gehört explizit nicht zu ihren Zielen, doch die Forscher bemühen sich auch nur bedingt, Befürchtungen in dieser Richtung zu zerstreuen.

Noch haben die Wissenschaftler wenig vorzuweisen: eine Ankündigung im renommierten Science Magazin, eine Konferenz hinter verschlossenen Türen, und ein - bislang noch virtuelles - Zentrum für Planung und Koordination. Doch Gewicht erhält dieses Vorhaben allein schon durch die Prominenz der beteiligten Forscher, allen voran der Genompionier George Church aus Boston. Church ist vor allem durch seine provokanten Projekte und Gedankenspiele bekannt: Neuerschaffung des Mammuts, Gene Drive, Rückzüchtung des Neandertalers - um nur einige zu nennen.

HGP-write soll das Genom neu schreiben

Auch diesmal haben die Wissenschaftler um Church große Pläne, und zum Vorbild haben sie sich das Human-Genom-Projekt erwählt. Dessen Auswirkungen auf die Medizin bleiben bislang zwar beschränkt (Vom Erbgut zur Therapie), aber die biologischen Forschung hat es tiefgreifend verändert. Und was in praktischer Hinsicht viel bedeutender ist: Im Zuge des Human-Genom-Projekts sind die Kosten für die Entzifferung des Erbguts dramatisch gesunken. Drei Milliarden US-Dollar hat die Sequenzierung des ersten menschlichen Genoms noch verschlungen, heute haben private Firmen schon die Tausend-Dollar-Grenze durchbrochen.

Eine drastische Senkung der Kosten ist auch das erklärte - und wenig spektakuläre - Hauptziel des neuen Projekts. In Anlehnung an das ursprüngliche Human-Genom-Projekt, das kurzerhand in HGP-read umgetauft wurde, nennt sich das neue Vorhaben HGP-write. Dessen wesentliche Aufgabe ist es, einen hohen Bedarf für synthetisierte DNA zu erzeugen. Das allein, so die simple Logik, wird die Entwicklung neuer Technologien vorantreiben und die Kosten innerhalb von zehn Jahren auf ein Tausendstel fallen lassen.

Resistent gegen Krebs und Viren

Technische Details dominieren die Ankündigung im Science Magazin, aber gegen Ende des Textes schimmert doch noch eine Utopie durch. Formal unter den Nebenzielen an fünfter Stelle versteckt (visuell aber prominent in einer Box hervorgehoben), hat Church eines der Lieblingsprojekte untergebracht - die ultrasichere Zelle. Ein utopisches Konstrukt, dem kein Virus etwas anhaben und das resistent gegen Krebs sein soll.

Voraussetzung dafür ist ein radikaler Umbau des Erbguts. Der genetische Code, der die Herstellung von Proteinen anleitet, soll konsequent vereinfacht werden, gleichzeitig werden viele der daran beteiligten Enzyme und Transfermoleküle aus dem Genom entfernt. Für Viren wären die Folgen dramatisch: Da ihr Erbgut noch auf dem vollständigen Code basiert, fehlen den Erregern die Bausteine, um sich in der Zelle zu vermehren. Die Veränderung wäre so tiefgreifend, dass ihnen auch keine realistische Chance bleibt, sich auf den neuen Code einzustellen. Das Problem von Virus-Infektionen wäre mit einem Schlag gelöst.

Andere Eingriffe nehmen sich dagegen fast schon trivial aus: Geplant ist der Einbau zusätzlicher Suppressorgene, um die Entwicklung von Krebs zu verhindern. Gene für Prionen, die potenziell Krankheiten auslösen, sollen eliminiert werden. Angedacht ist auch, offenkundig nutzlose Bereiche (also bis zu 80 % des Genoms) ganz aus dem Erbgut zu entfernen. Damit sollen ultrasichere Zellen bereit für neue Anwendungen werden - in der Grundlagenforschung, der Stammzelltherapie und bei der Erzeugung von industriell oder medizinisch nutzbaren Substanzen (Stoffwechsel nach Maß).

Eine enorme moralische Geste

Das Problem ist jedoch offenkundig: Die Erschaffung eines künstlichen Genoms beseitigt eine der letzten Hürden, welche die Erzeugung von künstlichen Menschen verhindern. Der Missbrauch dieser Technologie wird zu einer reellen Gefahr, wie auch einer der Hauptinitiatoren von HGP-write einräumt. Noch beunruhigender ist eine andere Möglichkeit - dass die genetische Optimierung des Menschen zum Alltag wird.

Und so ließ massive Kritik nicht lange auf sich warten. Der kalifornische Forscher Drew Endy - selbst ein prominenter Pionier der synthetischen Biologie - und die Bioethikerin Laurie Zoloth formulierten bereits im Mai die zentrale Frage: Warum muss es ein menschliches Genom sein? Es gäbe ausreichend Alternativen, die weniger kontrovers und von unmittelbarem Nutzen wären. Die Synthese des menschlichen Erbguts ist nicht zu trennen von der symbolischen Bedeutung, die fast alle Religion der Erschaffung des Menschen zugemessen. Es wäre eine "enorme moralische Geste", deren Planung nicht einem ausgewählten Kreis von Spezialisten vorbehalten sein sollte.

Einbeziehung der Öffentlichkeit - bislang nur Lippenbekenntnisse

Die Initiatoren von HGP-write sind sich dieser Problematik durchaus bewusst. Gleich am Anfang ihrer Science-Publikation widmen sie einen längeren Abschnitt den ethischen und sozialen Fragen, die ein synthetisches Genom aufwerfen würde. Doch die Ankündigungen bleiben vage, und die allgemein gehaltenen Formulierungen ähneln pflichtschuldigen Phrasen. Der starke Kontrast zu den ausgefeilten Konzepten und wohlüberlegten Details, die ihre technischen Planungen dominieren, ist unübersehbar. Dabei muss auch den Initiatoren klar sein, dass mit dem Verkünden hehrer ethischer Ziele wenig gewonnen ist. Die eigentliche Herausforderung liegt in der konkreten Umsetzung.

Es wirkt nicht so, als ob die Initiatoren von HGP-write dieser Herausforderung eine hohe Priorität einräumen. Der Verlauf einer vorbereitenden Konferenz verstärkt diesen Eindruck noch. Im Mai haben sich über 100 Wissenschaftler, Industrielle und Politiker in der renommierten Harvard Universität getroffen - hinter geschlossenen Türen. Eine öffentliche Diskussion war ausdrücklich unerwünscht. Angeblich erfolgte dies auf Druck von Science, das für Publikationen im Magazin strenge Auflagen macht. Ausführliche Videomitschnitte der Konferenz, die nun online verfügbar sind, sollen nun den Vorwurf der Geheimniskrämerei entkräften. Die Botschaft bleibt dennoch eindeutig - der Öffentlichkeit wird die Rolle des Zuschauers zugewiesen.

Wer soll das bezahlen?

Noch ist völlig unklar, ob HGP-write jemals in die Tat umgesetzt werden kann. Die Kosten stellen eine hohe Hürde dar. Bereits für das erste Jahr werden sie auf 100 Millionen US-Dollar beziffert, insgesamt könnte leicht die Milliardengrenze überschritten werden. Wer dafür aufkommt, ist unklar. Der Leiter der amerikanischen Gesundheitsinstitute, Geldgeber des ersten Genom-Projekts, hat bereits abgewunken - nicht zuletzt wegen der offenen ethischen Fragen.

Trotzdem ist nicht auszuschließen, dass in absehbarer Zeit eine Technologie zur Verfügung steht, die menschliche Zellen in kontrollierte biologische Systeme verwandelt. Und alles deutet darauf hin, dass die ethische Diskussion der technischen Entwicklung hinterherhinken wird. Damit wiederholt sich der Fehler, der schon die Einführung der Gentechnik so umstritten machte. Die Folgen sind also absehbar, und sie werden den Zielen von HGP-write kaum förderlich sein. Doch wer die Prioritäten allein auf die technische Machbarkeit legt, darf sich nicht wundern, wenn eine irritierte Öffentlichkeit mit grundsätzlicher Verweigerung reagiert.