Aufrüstung mit Mini-Nukes

Auf einem Stützpunkt der US-Armee im Bundesstaat Nebraska trafen sich Experten aus Forschung und Militär, um über den künftigen Einsatz von Nuklearwaffen zu beraten

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Die Bedrohung wird immer konkreter. Am gestrigen Donnerstag trafen sich auf dem Luftwaffenstützpunkt Offutt im US-Bundesstaat Nebraska 150 Experten aus Militär und Rüstungsindustrie, um den Umgang mit dem nordamerikanischen Nukleararsenal zu beraten. Michael Shavers, ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, hatte das Treffen im Vorfeld als "wichtigstes Ereignis für diesen Bereich seit der letzten Zusammenkunft auf Offutt im Jahr 1995" bezeichnet. In Nebraska wurde der Einsatz verschiedener Arten "neuer Nuklearwaffen" erörtert. Unterschieden wurde dabei zwischen klassischen Atomwaffen, erdeindringenden Projektilen, Neutronenwaffen und Sprengsätzen, mit denen feindliche "harte Ziele" (Gebäude, Rüstungsgut) auf weite Entfernung vernichtet werden können.

Die US-amerikanische Abrüstungsorganisation "Los Alamos Study Group" zieht eine direkte Linie von dem Treffen in Nebraska zu einer Konferenz, die am zehnten Januar dieses Jahres im Pentagon stattgefunden hatte (Arsenal neuer Atomwaffen), und bei der ressortübergreifend erste Test sogenannter Mini-Nukes diskutiert wurde. Im kürzlich verabschiedeten Rüstungsetat für das Fiskaljahr 2004 sind bereits 25 Millionen US-Dollar für den Ausbau eines Testgeländes in der Wüste von Nevada vorgesehen.

Atompilz über Hiroshima am 6. August 1945, eine Stunde nach dem Abwurf

Das Planungstreffen weist auf die immer massivere Bedrohung durch US-Atomwaffen hin. Zweifelhaft nur, ob das Bewusstsein dafür vorhanden ist: Seit Freitag vergangener Woche berichtete die französische Nachrichtenagentur AFP (stellvertretend für alle anderen führenden Agenturen) in fünf Korrespondenzen über das mutmaßliche Atomwaffenprogramm Nordkoreas. Drei Texte behandelten die Kritik am Atomprogramm Teherans. Zur Erinnerung: Die einzige Regierung, von der Atomwaffen in der Geschichte je eingesetzt wurden, war die der Vereinigten Staaten von Amerika.

Zynisch mutet daher auch das Datum der US-Konferenz am gestrigen 7. August an. Einen Tag zuvor vor 58 Jahren fiel der erste atomare Sprengkopf auf das japanische Hiroshima. In dem Moment der Explosion verloren 160.000 Menschen ihr Leben, oder wurden durch Strahlung und Hitze verletzt. Drei Tage später, am 9. August 1945, warf die US-Luftwaffe die zweite Atombombe auf die japanische Industriemetropole Nagasaki ab und vernichtete 60.000 Menschenleben.

Während sich die Rüstungsexperten und Militärs auf die Planungskonferenz auf der Offutt-Airbase vorbereiteten, gedachten die Menschen in beiden japanischen Städten der Toten. Nach der Gedenkminute um 8.15 Uhr, der Uhrzeit der Explosion, fand Hiroshimas Bürgermeister Tadatoshi Akiba scharfe Worte. Die US-Regierung habe den Atomwaffensperrvertrag "an den Rande des Zusammenbruchs" gebracht. Ein ähnliches Urteil hatten die anderen Unterzeicher des Vertrages im Mai bei einer Zusammenkunft in Genf gefällt (Wiederaufnahme der Atomwaffenforschung in den USA). Akiba bezog sich in seiner Ansprache direkt auf die Entwicklung einer neuen Generation von Nuklearsprengköpfen kleiner Bauart: "Alle Waffen dieser Art sind schlimm, unmenschlich und nach internationalem Recht illegal."

Mit dem Urteil sprach Akiba das zentrale Problem an: Seit 1945 sind Nuklearwaffen weltweit geächtet. Das Ansehen der USA würde nach einem erneuten Einsatz erwatungsgemäß erheblichen Schaden nehmen. Der private US-Nachrichtendienst "Stratfor" merkte dazu trocken an, dass mit der Entwicklung von Mini-Atomwaffen mit einer Sprengkraft von bis zu einer Kilotonne "ein Einsatz dieser Waffen möglich (ist), ohne in eine Konfliktspirale gezogen zu werden". Die US-Regierung habe schließlich nur ein Interesse an Nuklearwaffen, "die sie auch benutzen kann".