Wiederaufnahme der Atomwaffenforschung in den USA
Vorgesehen ist die Entwicklung von taktischen Atombomben im Rahmen der veränderten Sicherheitsstrategie
Die US-Army sucht immer noch nach Atomwaffen im Irak - bisher vergeblich. Währenddessen fand in Genf eine Konferenz der Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrages statt. Neben Nordkorea standen dort vor allem die Vereinigten Staaten in der Kritik (George W. Bush als Pik As). Nicht ganz zu Unrecht, denn die Bush-Regierung will die nach dem Kalten Krieg eingefrorene Atomwaffenproduktion wieder aufnehmen und bricht damit nicht nur die Abrüstungsverpflichtung gemäß Atomwaffensperrvertrag. Geplant ist, eine ganz neue Generation von Atombomben aufzubauen: Kleine, taktische Bomben, sogenannte Mini-Nukes, die gegen Bunkeranlagen in Schurkenstaaten eingesetzt werden können (Das Pentagon will neuartige taktische Atombomben). Das könnte einen neuen nuklearen Rüstungswettlauf in Gang setzen, fürchten die Kritiker.
Das Gesetz für den Verteidigungshaushalt 2004 wird gerade im Kongress beraten, das "Senate Armed Services Committee" hat den 400-Milliarden-Dollar-Haushalt bereits gebilligt. Auch das "House Armed Services Committee" stimmte den Plänen der Bush-Administration am 14. Mai weitgehend zu. Der Ausschuss des Repräsentantenhauses billigte die Erforschung von Mini-Nukes, machte den Befürwortern der atomaren Hochrüstung aber insofern einen Strich durch die Rechnung, als er Produktion dieser Bomben nicht freigab.
Letztlich sehen die Demokraten, von denen einige die atomaren Rüstungspläne vehement ablehnen, aber wenig Chancen, das Produktionsverbot beibehalten zu können. Schließlich haben Bushs Republikaner in beiden Häusern die Mehrheit und werden den 400-Milliarden-Haushalt schon durch den Kongress bekommen. In dem neuen Haushalt sind für atomare Rüstung u.a. vorgesehen:
- 320 Millionen Dollar für die Herstellung der zur Atombombenproduktion nötigen Plutonium-Pits, von denen die nukleare Kettenreaktion ausgeht. Erst Ende April hat die Bush-Regierung wieder mit der Produktion von Pits begonnen (Neustart der US-Atomwaffen-Produktion), die 1989 beendet und 1993 offiziell eingestellt worden war.
- 135 Millionen Dollar für die Produktion von Tritium.
- 25 Millionen Dollar für den Ausbau des Testgeländes in Nevada, so dass Tests in Zukunft innerhalb von 18 Monaten durchgeführt werden können. Bisher beträgt die nötige Vorbereitungszeit 3 Jahre.
Insgesamt sollen nächstes 6,4 Milliarden Dollar für Atomwaffen ausgegeben werden - mehr als doppelt so viel wie 1995, als die Aufwendungen auf dem historischen Tiefststand von 3 Milliarden Dollar waren.
Als sich Ende April bis Anfang Mai die Unterzeichnerstaaten des Atomwaffensperrvertrages in Genf trafen, um die nächste Konferenz zur Überprüfung des Vertrages im Jahr 2005 vorzubereiten, hagelte es denn auch Kritik an der US-Regierung. Die US-Politik mache "den Einsatz von Atomwaffen glaubwürdiger, indem 'leichter einsetzbare' Atomwaffen entworfen werden und Atomwaffen in ein breites Spektrum militärischer Fähigkeiten integriert werden", kritisierte Victor Sidel von den International Physicians for the Prevention of Nuclear War. "Diese Veränderung bedeutet ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur Abrüstung gemäß Atomwaffensperrvertrag und setzt Nicht-Atomwaffenstaaten unter Druck, selbst Nuklearwaffen anzuschaffen." Laut Atomwaffensperrvertrag sind die Staaten, die als Atommächte anerkannt sind - also China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA - zur Abrüstung verpflichtet.
Zwar sind die USA nicht die einzigen, die den Atomwaffensperrvertrag untergraben - Nordkorea hat den Vertrag aufgekündigt -, aber die "International Physicians for the Prevention of Nuclear War" lassen keinen Zweifel daran, wer für diese Entwicklung verantwortlich ist: "Heute ist die treibende Kraft hinter der gefährlichen Tendenz zur Weiterverbreitung in andere Länder die Nuklearpolitik der Vereinigten Staaten, die die Bush-Regierung in ihrer 'Nuclear Posture Review' und in Budgetforderungen an den Kongress seit 2001 deutlich ausgesprochen hat."
Die kritischen Wissenschaftler verweisen dabei darauf, dass in dem Strategiepapier "Nuclear Posture Review", das im Frühjahr 2002 der Öffentlichkeit zugespielt wurde, fünf Staaten als potenzielle Ziele von US-Atomwaffeneinsätzen genannt würden, die selbst keine Atomwaffen besitzen (Pentagon plant Nuklearkrieg und den Einsatz taktischer Nuklearwaffen). "Solche Zielplanungen würden klar das Prinzip der 'negativen Sicherheitsgarantien' verletzen". Bisher hatten die fünf offiziellen Atommächte Erklärungen abgegeben, niemals Atomwaffen gegen Nicht-Atomwaffen-Staaten einzusetzen. Diese Garantien gelten als Voraussetzung für das Funktionieren des Atomwaffensperrvertrages.
Tatsächlich ist die US-Regierung längst vom Konzept der "Non-Proliferation" von Atomwaffen abgekommen. Statt auf Verhandlungen und Kontrollregime setzt Washington seit der im November 1997 von Präsident Clinton unterzeichneten "Presidential Decision Directive" Nr. 60 (PDD 60) auf "Counter-Proliferation", was militärische Aktionen mit einschließt. Mit der "Nuclear Posture Review" wurden sogar Präventivschläge autorisiert.
Kriegt die Bush-Administration jetzt noch ihr Haushaltsgesetz durch den Kongress, steht der Entwicklung der sogenannten "earth-penetrating bomb", die gegnerische Bunkeranlagen zerstören kann, nichts mehr im Wege. "Eine gefährliche Richtung" nannte es der demokratische Senator Jack Reed, Atomwaffen eine taktische Bedeutung zu geben. Der Republikaner John Warner, verteidigte dagegen die neue Atompolitik: "Amerika hat dieses Forschungsverbot seit 1993, aber das hat andere Länder nicht daran gehindert, sich Atomwaffen anzuschaffen."
"Die Vereinigten Staaten begegnen der Herausforderung durch sogenannte nukleare Schurken, indem sie sich selbst wie einer benehmen", hielt James Carroll, Kolumnist des Boston Globe, dem entgegen. Er kritisierte, "einsetzbare" Mini-Atombomben würden den Unterschied zwischen nuklearen und konventionellen Waffen verwischen und die Bedeutung der Atombombe als "absolute Waffe", die nie eingesetzt werden darf, relativieren.