Ausgemerkelt - Jens is waiting

Seite 4: Der rote Teppich wird ausgerollt

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"Jens Spahn: The Man who could replace Merkel as Chancellor" - so titelte die englische Zeitung The Guardian im August 2016. Der Guardian-Artikel ist allerdings nur ein Substrat eines langen Interviews, das Spahn dem britischen Observer gegeben hatte. 1

Wie dargelegt, ist die bisherige "Performanz" von Jens Spahn als Politiker nicht eben überdurchschnittlich. Immerhin ist er mittlerweile doch noch in ein Regierungsamt aufgerückt. Wolfgang Schäuble erlöste im Jahre 2015 Spahn aus dem Parlamentarierdasein und machte ihn zu seinem Parlamentarischen Staatssekretär im Finanzministerium.

Trotzdem ist es ungewöhnlich, dass eine angesehene englische Tageszeitung ihm den roten Teppich eines Star-Interviews ausrollt - gerade so, als wäre er bereits ein bedeutender Staatsmann.

Spahn imponiert den Machern vom Guardian und dem Observer. Der Westfale hatte sich nämlich bereits im Jahre 2012 als Homosexueller geoutet. Gleichzeitig fährt Spahn eine harte Linie gegen Muslime. Als am rechten Rand der CDU verorteter Politiker zeigt er mit dem Finger auf die "spießigen" Araber. Und die Deutschen mit ihrem "anti-amerikanischen Vorurteilen" seien schuld, dass Europa noch nicht mit den USA in der Freihandelszone TTIP zusammengeschweißt ist.

Ein Vierteljahr früher hatte die amerikanisch-britisch-deutsche Zeitschrift Politico einen Lobgesang auf Jens Spahn hören lassen. Politico betitelt den Artikel mit: "The young, gay, conservative German chancellor-in-waiting". Auch Politico findet, dass der römisch-katholische Homosexuelle2 aus Westfalen das richtige Medikament ist, um die CDU wieder zu einer Volkspartei zusammenzuschmelzen.

Diese neuen Leute will man gerne behalten. Aber die Wähler vom rechten Rand, die zur AfD geflüchtet sind, muss man wieder reinholen ins Boot. Die CDU war unter Merkel nämlich nach links gerückt in den Fragen: Flüchtlinge, Energie und Sozialpolitik.

Ein mutiger Schlag

Jens Spahn sei wütend gewesen, als er von Merkel 2013 nicht den Posten des Gesundheitsministers bekam und leer ausging. Dann holte er, so Politico, zum mutigen Schlag aus. Auf dem Bundesparteitag der CDU 2014 kandidierte er für das siebenköpfige Präsidium der CDU. Seine Bewerbungsrede begann mit konventionellen konservativen Statements und dem Bekenntnis zur westlichen Leitkultur, um dann zu überraschen.

Spahn: "Ich sage mal, warum die Sache für mich so wichtig ist. Ich möchte nicht noch einmal Angriffe oder Beleidigungen erfahren, wenn ich Hand in Hand mit meinem Freund durch Berlin gehe." Das Auditorium tobte, und Spahn verdrängte Hermann Gröhe, der statt seiner 2013 Gesundheitsminister geworden war, aus dem CDU-Präsidium.

Spahn lässt indirekt verlauten, dass er gegen die Große Koalition ist. Er kann schon lange sehr gut mit den Grünen, seit 2013 vor allem mit Omid Nouripour, und wäre der ideale Kanzler einer Schwarz-Grünen Bundesregierung. Falls Frau Merkel noch länger am Kanzlersessel kleben sollte, hätte Spahn aufgrund seines geringen Alters die besten Chancen, doch noch irgendwann Kanzler zu werden. Und, wie oben bereits ausgeführt, arbeitet Spahn mit FDP-Politikern seit jeher sehr eng zusammen. Also könnte Spahn doch sehr gut einer Jamaika-Koalition auf Bundesebene als Kanzler vorstehen.

Als noch niemand in Deutschland etwas von Jens Spahn gehört hatte, wurde er im englischsprachigen Raum bereits als nächster Kanzler gehandelt. Aus dieser Perspektive verwundert es denn auch nicht mehr, dass wir Spahn auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2017 erblicken.

Und nun, als stellvertretender Finanzminister, zählt seine Meinung, wie der Spiegel befand: "Jens Spahn reagiert auf die Reden von Merkel und Pence: 'Europa muss erwachsen werden und mehr in Verteidigung investieren.' Wenn das Schäubles Staatssekretär sagt, ist das Zwei-Prozent-Ziel noch nicht verloren ... "

Ja, Jens Spahn hat jetzt was zu sagen. Die Anweisung der Trump-Regierung, die europäischen Rüstungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen, reicht er an das Wahlvolk herunter: "Etwas weniger die Sozialleistungen erhöhen in dem ein <sic!> oder anderen Jahr und mal etwas mehr auf Verteidigungsausgaben schauen."

An den wichtigen Tischen sitzen

In der Tat: Zumindest die Reichen und Mächtigen nehmen Mister Spahn jetzt sehr, sehr ernst. Die Konferenz der Bilderberger, ein Treffpunkt der Superreichen und ihrer einflussreichen "Domestiken"3 im Jahre 2017 lädt ihn als einzigen deutschen Politiker zu ihren gepflegten Unterhaltungen am Kamin ein.

Und bei dem ungeheuer wichtigen Weltwirtschaftsforum in Davos 2017 wird der junge Kanzler in spe zum "Young Global Leader" gewählt. Doch im Gegensatz zu anderen jungen Führern, die oft wieder in der Versenkung verschwinden, bleibt Spahn im inner circle von Macht und Einfluss.

Er ist nämlich Mitglied in der Europe Policy Group des Weltwirtschaftsgipfels - in jener Sphäre einer sich anbahnenden öffentlich-privaten Verwaltung der Welt, in jener Welt der governance. Wo an runden Tischen Vertreter der Nationalstaaten mit erlesenen Konzernchefs, Direktoren von einflussreichen Denkfabriken und wenigen Turbointellektuellen der Elite-Universitäten nicht nur parlieren, sondern die Paradigmen der großen Politik unter Ausschluss der Öffentlichkeit aushandeln.

Die Europe Policy Group ist engstens mit Klaus Schwab verbunden, der die Bilderberger organisiert und gleichzeitig de facto-Inhaber des Davoser World Economic Forum-Labels ist. Zugleich arbeitet Schwab in seiner gleichnamigen Stiftung daran, alle Bereiche des Lebens der Logik wirtschaftlichen Handelns zu unterwerfen.

Von daher ist es nicht mehr weiter verwunderlich, wenn jetzt Spahn immer öfter sogar in deutschen Zeitungen als Merkel-Nachfolger gehandelt wird, z.B. im Spiegel oder in der Illustrierten Stern. Er wird uns regelrecht aufgedrängt. Wir werden mit dem neuen, strengeren Klassenlehrer schon einmal vertraut gemacht.