Ausschreitungen in Athen - Jagd auf Journalisten

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Die Mazedonien-Frage spaltet Griechenland

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Bei einer der größten Kundgebungen der letzten Jahre hat es am Sonntag auf dem Syntagma-Platz, vor dem Parlament in Athen, Ausschreitungen gegeben. Schätzungen zufolge sammelten sich zwischen 60.000 (Polizeiangaben) bis zu über 200.000 (Medienangaben) Griechen, um gegen den Kompromiss im Namensstreit mit Nord-Mazedonien zu demonstrieren. Es kam zu erheblichem Tränengaseinsatz der Polizei sowie zur Jagd auf Journalisten durch mutmaßlich rechtsextreme Gewalttäter.

Zersplitternde Parteien im Parlament

Der von beiden Seiten unterschriebene Kompromiss im nach seinem Unterzeichnungsort so genannten Prespes-Vertrag beinhaltet für beide Staaten gewisse Verpflichtungen. Die Republik Nord-Mazedonien hat diese, unter anderem eine Verfassungsänderung und die darin verankerte Änderung des Staatsnamens, in der vergangenen Woche erfüllt. Nun ist Athen an der Reihe.

Das Thema erhitzt in Griechenland die Gemüter. Umfragen zufolge sind knapp siebzig Prozent der Griechen gegen den Kompromiss. Über den Disput zerbrach die Regierungskoalition zwischen Syriza und den Unabhängigen Griechen. Premierminister Alexis Tsipras überlebte ein von ihm gestelltes Vertrauensvotum mit Hilfe von Transfers von Parlamentariern. Dabei sicherte sich Tsipras sogar Parlamentarier des früheren Koalitionspartners.

Die Diskussion im Parlament wurde von Seiten der Regierung und der Opposition mit einer gossenartigen Sprache geführt. Die Gemüter in der Vouli, dem griechischen Parlament, bleiben auch in der kommenden Woche erhitzt, denn Athen muss nun den Vertrag parlamentarisch ratifizieren. Die diplomatische Situation, in die Griechenland sich mit der Regierung Tsipras manövriert hat, ist vertrackt.

Selbst mit einer parlamentarischen Ablehnung ist die staatsrechtliche Situation auf dem diplomatischen Parkett nicht aufseiten der Hellenen, die den Nachbarn jegliche Nutzung des Namenszusatzes Mazedonien, sowie die Anerkennung einer Staatsbürgerschaft und Sprache verweigern wollen. Der Streit schwelt seit dem Zerfall Jugoslawiens 1991.

In der Zwischenzeit wurde Nord-Mazedonien von den meisten Bewohnern der Erde nur noch Mazedonien und nicht nach seinem offiziellen, vorläufigen Namen Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien genannt.

Gegner des Kompromisses haben in Nordgriechenland Steckbriefe aufgehängt, in denen sie die parlamentarischen Befürworter des Vertrags als Verräter bezeichnen. Die CDU-Schwesterpartei Nea Dimokratia grenzt sich vom teilweise rechtsextremen Narrativ einiger Gegner des Kompromisses nicht genügend ab. Der frühere Koalitionspartner von Alexis Tsipras, Panos Kammenos spricht in Interviews von Korruption und dem Ausverkauf Griechenlands durch Tsipras Kabinett.

Kammenos behauptet, dass der Milliardär George Soros hinter dem Kompromiss stecken würde, und dass dieser über den früheren Außenminister Nikos Kotzias in Griechenland Politiker und Journalisten bestochen habe. Darüber hinaus warf er seinem bis zum Jahreswechsel als Freund bezeichneten, früheren Premier vor, dass dieser "für ein paar Wochen länger im Amt" gute Miene zum bösen Spiel machen würde.

Der Vertrag wurde nun in die zuständigen Ausschüsse des Parlaments, Äußeres und Verteidigung, gegeben und die Ausschüsse wurden aufgefordert, darüber zu entscheiden, damit das Plenum bis Ende der Woche darüber abstimmen kann. Problematisch für Tsipras war, dass er wegen der zerbrochenen Regierungskoalition in den betreffenden Ausschüssen keine Mehrheit mehr hat. Somit warb er bei den Parteien, die ihm das Vertrauen absprachen, um Unterstützer und wurde fündig.

Tsipras bekommt Stimmen von To Potami und vom Parteichef der Demokratischen Linken, Thanassis Theocharopoulos. Theocharopoulos wurde daraufhin umgehend von der Vorsitzenden der neuen sozialdemokratischen KinAl, und Vorsitzenden der aus PASOK und Demokratischer Linken gebildeten Demokratischen Fraktion des Parlaments aus der Fraktion ausgeschlossen. Bei To Potami verabschiedeten sich zwei Parlamentarier aus Protest gegen die Unterstützung Tsipras. To Potami verliert damit seinen Fraktionsstatus in der Vouli und die KinAl spaltet sich, bevor sie zum ersten Mal bei einer Wahl antritt.

Außenpolitisch - ein Chaos

Russland möchte den Kompromiss im UN-Sicherheitsrat stoppen. Dabei zielen die Russen natürlich nicht auf das Wohl der Griechen ab, sondern möchten vielmehr eine NATO-Mitgliedschaft verhindern. Nationalisten in Griechenland scheint dies egal zu sein, sie sehen im russischen Präsidenten Wladimir Putin einen natürlichen Verbündeten.

Sie übersehen dabei geflissentlich, dass Russland Nord-Mazedonien bislang mit dem bis zum 11. Januar gültigen, verfassungsmäßigen Namen, also schlicht als Mazedonien, anerkannt hat.

Es ist eine surreale Situation, in der eine sachliche Auseinandersetzung zum Thema, das auch im Nachbarland Konfrontationen hervorruft, kaum mehr möglich ist. Die griechischen Medien tragen mit ihren Kommentaren und einer von Regierungskritik geleiteten einseitigen Ausrichtung kaum zur Beruhigung bei.

Sie sehen vielmehr die Gelegenheit, mit polemischen Sendungen und nationalistischer Marschmusik als Titelmelodie von Nachrichtensendungen, ihre Klientel zu bedienen. Kaum jemand stellt sich die Frage, wieso der Kompromiss sowohl in Griechenland als auch in Nord-Mazedonien von Nationalisten als Verrat bezeichnet wird. Details des Vertrags, sowie die geopolitischen Motive, eine NATO- und EU-Politik des kleinen Balkanstaats, sind den meisten in Griechenland unbekannt.

Friedliche Demonstration? In Athen stets von der Polizei verhindert

Große, gegen eine um ihr politisches Überleben kämpfende Regierung gerichtete Demonstrationen werden in Griechenland traditionell in Tränengas erstickt. An diesem Vorgehen der Einsatzpolizei hat sich auch unter Tsipras nichts geändert.

Am Ende eines Demonstrationstags vermelden die Nachrichten siebenundzwanzig verletzte Polizisten, zum Teil mit Knochenbrüchen, zahlreiche Bürger, darunter auch Kleinkinder mit schwerer Atemnot und die Geschichte eines bewusstlosen zweijährigen Kindes, das eilig ins Krankenhaus gebracht wurde.

Wieder einmal war es in Athen nicht möglich, friedlich gegen eine Regierungsentscheidung zu demonstrieren. Erneut wettert die Opposition, diesmal ist die Nea Dimokratia in dieser Rolle, gegen die übermäßige Polizeigewalt und verlangt den Rücktritt der verantwortlichen Ministerin für Bürgerschutz. In Anlehnung an den Silvesterklassiker des deutschen Fernsehens, dem "Neunzigsten Geburtstag" ist ein "same procedure as every year" angebracht.

Denn die Gewalt bei der Demonstration ging erneut von einer kleinen Gruppe Extremisten aus. Die Polizei hatte eine linke Gegendemonstration abgeriegelt, so dass es von dort kein Durchkommen gab. In der großen Demo am Syntagma-Platz hatten sich, wie aus den Umfragewerten zum Vertrag deutlich ablesbar ist, nicht nur Rechtsextreme und verwirrte Nationalisten, sondern zahlreiche gemäßigte Bürger und Politiker eingefunden. Allerdings wirkte die Demonstration auch als Magnet für Extremisten, diesmal des mutmaßlich rechtsextremen Lagers.

In Schwarz gekleidete Personen mit griechischen Fahnen, dem Keltenkreuz, dem byzantinischen Doppeladler grölten rechtsextreme Parolen. Sie griffen auch die frühere Regierungssprecherin der Nea Dimokratia und aktuelle Parlamentarierin, Sofia Voultepsi, an. Der Mob richtete seine Gewalt aber vor allem auf Medienmitarbeiter.

Ein Kameramann des Staatssenders ERT verlor beinahe seine Zähne, einer der Mitautoren und Kameraleute von "Goldene Morgenröte - eine persönliche Angelegenheit" wurde von den Angreifern identifiziert, auf seine Mitarbeit am Film explizit angesprochen und schwer verprügelt. Die Gewalt richtete sich auch gegen Mitarbeiter des Senders SKAI, der sich in Sondersendungen mit durchaus nationalistischen Parolen gegen den Kompromiss positioniert.

Allerdings gibt es innerhalb der Gegner des Kompromisses durchaus die Erkenntnis, dass sich viele lediglich aus parteipolitischen Interessen und nicht aus einer eigenen Überzeugung heraus gegen den Vertrag positionieren. Es ist eine Meinung, die als eine der wenigen von Anhängern nahezu des gesamten politischen Spektrums in Griechenland geteilt wird.

Schlimmer als die Angriffe auf die Politiker und Journalisten gestalteten sich jedoch die Attacken auf Pressefotografen. Fünf von ihnen befanden sich vor Ort, als eine der oben beschriebenen Kleiderordnung entsprechende Gruppe Vermummter über eine Treppe in den Vorplatz des Parlaments stürmen wollte. Die Fotografen zückten ihre Kameras und wurden umgehend von den Vermummten bedrängt, diese zu übergeben.

Auf die Weigerung der Herausgabe des Arbeitsgeräts folgte der Angriff mit Knüppeln, das heißt mit als solche eingesetzten Fahnenstangen samt griechischer Fahne und mindestens eines als drohende Stichwaffe gezückten Schraubenziehers. Am Ende hatten drei von fünf Fotografen keine Ausrüstung mehr und einer musste mit schweren Kopfverletzungen und zahlreichen Verletzungen an Armen und Beinen ins Krankenhaus.

Bedenklich stimmt, dass es im Umfeld der Demonstration seitens einiger weiterer Fotografen die Beobachtung gab, dass Gruppen von schwarz gekleideten Vermummten mit den Insignien von Nationalisten an der Kleidung und griechischen Fahnen in der Hand DIN A4 Ausdrucke mit den Konterfeis von Pressefotografen bei sich trugen. Der Verwaltungsrat der Union of Press Photographers Greece deutete dies als Indiz für gezielte Angriffe auf die betreffenden Photojournalisten.

Es ist derzeit nicht möglich, alle Täter der Attacken eindeutig zu identifizieren. Einer der bei den Attacken vor dem Parlament festgenommenen Randalierer ist nach Angaben der Polizei bereits als gewalttätiger Rechtsradikaler aktenkundig. Gegen ihn läuft ein Verfahren wegen Beteiligung am Angriff gegen ein linkes Flüchtlings-Café. Darauf fußend sprach das Amt des Premierministers von Rechtsradikalen und Parteigängern der Goldenen Morgenröte als Provokateure, die einen demokratischen Dialog verhindern wollten.

Außer dem Angriff auf die Journalisten gab es im Umfeld der Demonstration auch noch einen weiteren, denkwürdigen Vorfall. Ein Mann, dessen einziges Identifizierungsmerkmal eine griechische Fahne war, fuhr auf einem Motorrad von der Demo weg. Er wurde gestoppt, sein Motorrad wurde verbrannt und er selbst wurde mit mindestens zehn Messerstichen an den Beinen verletzt. Weitere Demonstrationen gegen den Vertrag von Prespes wurden bereits angekündigt. Athen steht vor stürmischen Zeiten.