Ausweitung der russischen Kampfzone in die Sahara?

Saharauis und Unterstützer machen mobil wie hier in Donostia/San Sebastian vergangene Woche. Bild: Ralf Streck

Nach der Anerkennung der Souveränität Marokkos über die Westsahara durch die USA und Spanien spitzt sich nicht nur die Energiefrage zu, Marokkos Rivale Algerien wird mit Russland Militärmanöver an dessen Grenze durchführen

Den bisher größten Gaslieferanten Spaniens hat die sozialdemokratische Regierung nachhaltig verprellt, als Regierungschef Pedro Sánchez für einen unklaren Deal mit Marokko die Westsahara geopfert hat. Dass sich Algerien das nicht bieten lassen würde, dürfte allen klar gewesen sein, die sich ein wenig mit der Lage in Nordafrika beschäftigen.

Algerien hat das gegenüber Spanien unzweifelhaft deutlich gemacht. Da Marokko aber auch seinen Nachbarn immer stärker provoziert, hat Algerien Marokko den Gashahn abgedreht. Deshalb fließt auch deutlich weniger Gas nach Spanien und Portugal, wie Telepolis bereits berichtet hatte.

Gaslieferungen auf die Iberische Halbinsel könnten alsbald wegen der massiven Verstimmung in Algerien sogar ganz versiegen, da der Sozialdemokrat Pedro Sánchez gegenüber dem marokkanischen König seinen Schwenk bekräftigt hat. Deshalb wird sich die Gasrechnung zwischenzeitlich für Spanien deutlich erhöhen.

Algerien ist angesichts dieses Schmusekurses gegenüber Marokko, bei dem auch zahlreiche UN-Resolutionen missachtet werden, nicht bereit, Spanien weiter zum Vorzugspreis mit Gas zu beliefern. Die Preise für alle anderen EU-Länder, die die Westsahara bisher nicht Marokko zuschlagen, werden derweil stabil gehalten.

Algerien ist die Schutzmacht der Saharauis, die nach 30 Jahren den Waffenstillstand zur Befreiung der von Marokko illegal besetzten Westsahara wieder aufgegeben haben, nachdem Marokko in drei Jahrzehnten die Grundlage für die Waffenruhe systematisch hintertrieben hatte. Denn geplant war, unter Beobachtung einer UN-Mission (Minurso) ein Referendum über die Unabhängigkeit durchzuführen.

Der Krieg in der Sahara

So ist der Krieg in der Sahara also wieder aufgeflammt, auch wenn diese Toten und Menschenrechtsverletzungen in den westlichen Medien und bei westlichen Politikern kaum Beachtung finden. Das wird vermutlich so lange der Fall sein, bis sich der Krieg zu einem regionalen Konflikt ausweitet und die Energieversorgung in Europa noch prekärer oder real gefährdet wird.

Aber Algerien ist nicht nur Schutzmacht der Westsahara, sondern Algerien ist auch der Erzrivale des autokratischen Königreichs Marokko. Dass das marokkanische Regime unter König Mohammed VI. als Statthalter und Brückenkopf auch gegenüber Algerien weiter aufgebaut werden soll, dafür gibt es längst deutliche Anzeichen und dagegen bringt sich Algerien in Stellung.

Die Flüchtlingsfrage spielt darin unter anderem eine bedeutende Rolle. Mit ihr schafft es, Mohammed die EU und vor allem den spanischen Nachbarn immer wieder auch erfolgreich zu erpressen, ganz ähnlich wie der türkische Autokrat Erdogan.

Ähnlich wie in Osteuropa, wo die Eskalation schließlich zum Ukraine-Krieg eskalierte, spielen die USA aus geostrategischen Gründen auch in Nordafrika weiter mit dem Feuer. Es war die US-Regierung unter Donald Trump, die kurz vor seinem unrühmlichen Abgang plötzlich den Vorstoß unternahm und die Souveränität Marokkos über die Westsahara anerkannt hatte.

Die neue Regierung und Joe Biden hat diese Anerkennung nicht zurückgezogen und führt letztlich die Trump-Politik fort. Doch mit dieser Anerkennung wurde der kurz zuvor wieder aufgeflammte Krieg weiter angeheizt. Denn Marokko spürte Rückenwind und versucht seither seine Positionen auszubauen. Das gelingt teilweise, wie sich in Spanien zeigt oder auch am Schwenk im Außenministerium von Annalena Baerbock, der die Steilvorlage für die spanischen Sozialdemokraten bot.

Konflikt um Rohstoffe: Öl und Phosphate

Natürlich geht es auch bei diesem Konflikt, der inzwischen alle Zutaten für eine deutliche Ausweitung beinhaltet, auch um Rohstoffe. Die USA und Frankreich haben schon vor 20 Jahren zum Beispiel mit Marokko Verträge über die Untersuchung und Verwertung der Ölvorkommen in der besetzten Westsahara geschlossen.

Marokko treibt auch die Ausbeutung der reichen Phosphatminen in der Westsahara voran. Phosphat ist ein wichtiger Bestandteil moderner Düngemittel. Und die weltweiten Reserven an phosphorhaltigen Mineralien sind auf wenige Länder konzentriert.

Phosphat ist für die intensive landwirtschaftliche Produktion unverzichtbar, weshalb diese Länder langfristig einen wachsenden Einfluss auf die weltweite Nahrungsmittelproduktion erhalten. Marokko verfügt, die besetzte Westsahara eingeschlossen, über geschätzt 50 Milliarden Tonnen und damit über das größte Vorkommen weltweit.

Schon seit 40 Jahren plündert Marokko die Phosphat-Vorkommen der Westsahara aus. Zum Beispiel wird in der großen Mine Bou Craa phosphathaltige Gestein abgebaut und über das längste Förderband der Welt in den 100 Kilometer westlich gelegenen Hafen von El Aaiún transportiert.

"Frachtschiffe bringen das Phosphat aus der besetzten Westsahara zu den internationalen Importeuren für die Produktion von Düngemitteln", wird im aktuellen Bericht "P for Plunder" (P für Plünderung) aufgezeigt. Er wird seit zehn Jahren von der Nichtregierungsorganisation "West Sahara Resource Watch" (WRSW) erstellt.

Nach dem neuen WRSW-Bericht hat Marokko, das die Ausbeutung über den Staatsbetrieb OCP SA betreibt, die Förderung 2021 deutlich gesteigert. Insgesamt 1,4 Millionen Tonnen Phosphatgestein seien im vergangenen Jahr illegal aus der Westsahara abtransportiert worden.

In den beiden Jahren davor seien es jeweils nur etwa eine Million Tonnen gewesen. Allein die Exporte aus Bou Craa machten etwa "10 Prozent des gesamten marokkanischen Gesteinsexports" aus, heißt es in dem Bericht.

Weil die Phosphatpreise zudem deutlich gestiegen sind, werden die "Exporte zunehmend lukrativer". Der Wert des 2021 verkauften Gesteins lag bei 349 Millionen US-Dollar, das ist gut doppelt so viel wie 2020. Und die Ausbeutung soll weiter gesteigert werden, die auch für die Vereinten Nationen (UN) illegal sind, da die Sahrauis in der letzten Kolonie Afrikas, weder gefragt noch zugestimmt haben.

Seit 2022 werden im besetzten Gebiet eine Düngemittelfabrik und ein neuer Hafen gebaut, wird im Bericht angeführt. "Dadurch werden die Gewinne Marokkos aus der Mine in den kommenden Jahren wahrscheinlich steigen."

Rohstoffe aber auch reiche Fischgründe, die zum Beispiel auch im Assoziierungsabkommen zwischen Marokko und der EU eine bedeutende Rolle gespielt haben, sind wichtig. Für das illegale Abkommen wurde die EU im vergangenen Jahr vom Gericht der Europäischen Union (EuG) in Luxemburg per Urteil abgewatscht, da es auch die Westsahara eingeschlossen hatte.

Denn in der typischen Kolonialisten-Manier wurde die "Zustimmung des Volkes der Westsahara" nicht eingeholt, urteilte das EuG. Die Westsahara sei aber "kein Teil Marokkos", ist im Urteil zu lesen, auch wenn es die USA oder die ehemalige Kolonialmacht Spanien das Gebiet faktisch inzwischen völkerrechtswidrig Marokko zuschreiben.

Allerdings spielen auch Interessen an erneuerbaren Energien eine Rolle, wie zum Beispiel auch an der Desertec-Initiative deutlich wurde. Dazu kommen neben der Landwirtschaft aber auch Sand, Salz und andere Mineralien.

Erdgas: Ist Algerien - das neue Russland?

Doch zurück zur geostrategischen Bedeutung der Region und die Warnungen Algeriens mit dem Zaunpfahl, die immer deutlicher werden. Auf der einen Seite zeigt das nordafrikanische Land, dass es nicht an einem Konflikt mit der EU interessiert ist.

Algier will ein zuverlässiger Partner bleiben. Allerdings will man sich auch nicht von Ländern wie Spanien auf der Nase herumtanzen lassen. Wer das versucht, bekommt die Rechnung präsentiert. Klar ist deshalb, dass nun Gas aus Algerien für Spanien deutlich teurer wird.

Die Bevölkerung in Spanien wird dafür die Rechnung bezahlen müssen, die allerdings mit großer Mehrheit gegen den Schachzug ihres Regierungschefs ist, nicht nur, weil man längst unter enorm hohen Strom- und Energiepreisen stöhnt und auf die Barrikaden geht, sondern auch aus Verantwortung gegenüber der Bevölkerung in der ehemaligen spanischen Kolonie.

Im Parlament blieben die Sozialdemokraten (PSOE) von Pedro Sánchez deshalb vergangene Woche mit ihrem peinlichen Kurswechsel allein. Sogar der linke Koalitionspartner "Unidas Podemos" (UP) und alle Unterstützer der Regierung stimmten mit der Opposition ausdrücklich gegen den Schmusekurs von Sánchez. Der Schwenk in der Westsahara-Politik wurde "kategorisch" von einer enormen und breiten Front über praktisch alle Parteigrenzen hinweg abgelehnt.

Sánchez interessierte das nicht. Der reiste nach der Niederlage nach Rabat, um gegenüber Mohammed in Missachtung des eigenen Parlaments seine Position zu bekräftigen. "Dieser Besuch markiert den Beginn einer neuen Phase in den Beziehungen zwischen Spanien und Marokko, die auf Transparenz, gegenseitigem Respekt und der Einhaltung der unterzeichneten Abkommen beruht", twitterte Sánchez nach dem Treffen im marokkanischen Königspalast am Donnerstagabend auf Twitter.

Wieder einmal sprach er von einem "historischen Augenblick", der zur "Sicherung der Interessen, der Stabilität und der Integrität beider Länder beitragen" werde und zur territorialen Integrität Marokkos zählt der Mann, der in Spanien zunehmend als "Spezialdemokrat" angesehen wird, offensichtlich auch die illegal besetzte Westsahara.

Die neue Situation nutzt nun allerdings Italien für sich. Das Land springt in die Lücke, welche die spanischen Sozialdemokraten mit ihrem absurden Schachzug freiwillig zu Ungunsten der Saharauis und der eigenen Bevölkerung geschaffen haben.

Gerade am gestrigen Montag hielten sich der italienische Premierminister Mario Draghi und Außenminister Luigi Di Maio zum Besuch in Algerien auf, um unter anderem ein Abkommen über Gaslieferungen zu unterzeichnen. Di Maio sagte dazu, das Abkommen werde es Italien ermöglichen, auf eventuelle "russische Erpressungen in Bezug auf Gas" zu reagieren.

Die Lage ist für Italien gerade ideal, wie auch die Süddeutsche Zeitung (SZ) feststellt, die davon spricht, dass Algerien für Italien "das neue Russland" in der Gas-Frage werden soll. Das hat mit dem enormen algerischen Potential zu tun, das auch Spanien freigemacht hat.

Zwar kommen schon jetzt fast ein Drittel des italienischen Gases aus Algerien, aber die Pipeline Transmed ist nicht ausgelastet, die Algerien über Tunesien mit Italien verbindet. Statt bisher 21 Milliarden Kubikmeter sollen alsbald bis zu 11 Milliarden Kubikmeter zusätzliches Gas aus Algerien pro Jahr nach Italien fließen.

Algerien wäre mit der Steigerung um etwa 50 Prozent der Hauptlieferant. Spanien dagegen fällt zurück und wird immer abhängiger vom extrem klimaschädlichen und teuren US-Frackinggas. Das hat die sozialdemokratische Regierung damit erreicht, sich gegen diverse Resolutionen der Vereinten Nationen zur Entkolonisierung der Westsahara zu stellen.

Dass Spanien "Algerien herausfordert" und die Bestellungen in den USA ausweitet, wie spanische Medien titeln, ist hanebüchen, denn Spanien verliert dabei nicht nur viel Geld, sondern wird auch in der Klimapolitik immer unglaubwürdiger.

Die Haltung afrikanischer Staaten zu Russland

Algerien versucht seinerseits einen Seiltanz gegenüber diversen EU-Staaten, die nun listig gegeneinander ausgespielt werden und hält sich alle Optionen offen. Es spielt seine Karten aus. Du dabei sollte nicht vergessen werden, wie im Freitag gerade zu lesen war, dass es gerade in Afrika etliche Staaten gibt, die im Zweifelsfall eher zu Russland als zu den ehemaligen Kolonialherren tendieren.

So wies die Wochenzeitung auch auf die UN-Vollversammlung hin. Als eine Resolution gegen den russischen Einmarsch in die Ukraine verabschiedet wurde, "sorgten 17 afrikanische Staaten für fast die Hälfte aller Enthaltungen". Etliche Länder auf dem Kontinent "machen die Nato-Expansion nach Osten für den Krieg verantwortlich und beklagen sich über westliche Doppelmoral".

Man erinnert sich in vielen afrikanischen Staaten auch noch gut daran, dass sie "bei der Befreiung von kolonialer oder weißer rassistischer Herrschaft in Moskau Beistand fanden". Man wisse auch heute dort noch, dass es Waffen, Geld und Berater aus der Sowjetunion waren, die dabei "geholfen haben, die Freiheit zu erlangen". So hatte sich auch Algerien enthalten und den Einmarsch in die Ukraine nicht verurteilt.

So darf als wichtiger Wink mit dem Zaunpfahl gegenüber der EU gewertet werden, um den Schmusekurs mit Marokko zu überdenken, dass Algerien im November an der marokkanischen Grenze gemeinsam mit Russland ein Militärmanöver durchführen wird. Wie Russland den völkerrechtswidrigen Angriff der Nato auf Jugoslawien vor 23 Jahren als Blaupause für den Angriff auf die Ukraine nutzt, übernimmt man für dieses Manöver praktisch auch die US-Wortwahl vom Krieg gegen den islamistischen Terror.

Taktische Manöver

So will man an der Grenze zu Marokko nach offiziellen Angaben "taktische Manöver" zur "Suche, Erkennung und Zerstörung von illegalen bewaffneten Gruppen" durchführen. Daran sollen auch Soldaten aus Ägypten, Kasachstan und Pakistan beteiligt sein. Dass die Provinz Béchar ausgewählt worden sei, halten Beobachter für bedeutend. "Russland versucht nach wie vor, seinen Einfluss in Nordafrika auszuweiten, um seine Präsenz auf dem Kontinent zu stärken."

Verwiesen wird auch die Anwesenheit von Söldnern der Wagner Gruppe in Mali, Libyen, Mosambik und der Zentralafrikanischen Republik.

Natürlich richtet sich das Manöver klar gegen Marokko. Das Land tritt mit dem Rückenwind aus den USA – zuletzt auch aus Spanien – immer aggressiver gegenüber Algerien auf. Es führt vermutlich längst tödliche Drohnen-Angriffe auf dem Boden von Algerien durch, die jederzeit zur Eskalation führen können.

Zuletzt wurde ein Angriff auch aus dem Grenzgebiet zu Mauretanien gemeldet. Immer wieder werden dabei auch unbewaffnete Zivilisten ermordet und Algerien hat gegenüber Marokko schon mit Vergeltung gedroht. Das autokratische Königreich bezeichnet seinerseits den Nachbarn in der Westsahara-Frage längst als "wahre Konfliktpartei", weil das Land die Westsahara-Befreiungsfront "Polisario" unterstützt.

Demnach könnte Marokko auch das Gericht der Europäischen Union angreifen, weil es die Polisario als Vertreter der Sahrauis und als "Rechtsperson" anerkannt hat und der Befreiungsfront damit Prozessfähigkeit in der EU zugestanden hat.