Auto-Nomie

Seite 2: Zunehmend stören Menschen, die unkontrolliert fahren, wohin sie wollen

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Nach 130 Millionen fehlerfrei vom Autopiloten gesteuerten Fahrkilometern passierte der tödliche Unfall. Am 7. Mai 2016 prallt der Tesla S auf einen Traktor mit Anhänger, der die Bundesstraße kreuzt. Weltweit kommt ein tödlicher Unfall im Schnitt auf 60 Millionen Fahrkilometer. Der Tesla liegt nicht so schlecht im Rennen. Sollte sich der Wert als stabil erweisen, hätte er die Unfallwahrscheinlichkeit halbiert. Aber wie jeder erste Tote wirft er die Frage nach der Herrschaft über das Leben und der Verantwortlichkeit für das Unglück auf.

Die Versicherungsunternehmen wissen die Antwort schon: Sie wollen endlich aufräumen mit der für sie mit unüberschaubaren Konsequenzen verbundenen technischen Zweiklassengesellschaft.

Die Klassen sind nicht nur technisch zu verstehen. Natürlich stören konventionelle Autos, die sich nicht in die zentrale Verwaltung der autonomen Fahrzeuge einbuchen lassen. Aber mehr noch - besonders in einer Zeit, in der Fahrzeuge zunehmend zur jederzeit verfügbaren Waffe für Attentäter werden - stören Menschen, die unkontrolliert fahren, wohin sie wollen. Hinzu kommt das Argument, dass ein kühler Rechner am Steuer dem Menschen ohnehin überlegen ist. Insofern ist verständlich, dass Altwagen als "Sicherheitsrisiko" gelten, wenn alles um sie herum vom "besseren Fahrer" pilotiert wird.

Alexander Ehmann fasst zusammen: "Wenn man von der Prämisse ausgeht, dass eine gefährliche Maschine von demjenigen bedient werden sollte, der das am besten kann, dann muss man das Fahren dem Computer überlassen. … am Ende (wird) das Geld zum entscheidenden Vehikel werden, um die Nutzer von der neuen Technologie zu überzeugen." Damit sind erhöhte "Risiko"-Beiträge der Versicherer für Selbstfahrer gemeint und höhere Steuersätze.

Knapp ein Jahr nach dem ersten schweren Unglück mit einem Tesla hat Elon Musk viel gelernt aus dem fatalen Vorfall. Ende August 2017 unterzeichnet einen offenen Brief an die UN, der vor dem unkontrollierten Einsatz autonomer Technologie warnt. Musk macht damit, zum dritten Mal seit 2015, Schlagzeilen als Retter der Menschheit. Zugleich gründet er mit Neuralink Corp eine neue Firma, die den Kunden auffordert, Zugang zu seinem Gehirn zu gewähren, damit die Steuerungssysteme effizienter, fehlerfreier und das Leben insgesamt "gesünder" wird.

"Das Auto spricht mit anderen Ökosystemen außerhalb des Autos"

Auch Mercedes eröffnen ihren Beitrag zur IAA im September 2017 mit einem Blick ins Gehirn. Dieter Zetsche, CEO Daimler AG und Head of Mercedes-Benz Cars, weiß zu berichten, dass der Mensch "im Schnitt jeden Tag 60.000 einzelne Gedanken" habe. Die "gute Idee", die dabei abfällt, sei, dass in fünf Jahren das gesamte Portfolio des Automobilherstellers elektrifiziert wäre. Das soll den massiven Vertrauensverlust in die Innovationskraft auffangen, der unter dem schönen Unwort "Diesel-Gate" kursiert.

Der Grenzwert-Beschiss öffnet das Türchen in die Zukunft: Wie sauber sieht dagegen der elektrische Wagen aus. Er hat ja gar keinen Auspuff, dem ein "Watergate der Emissionen" entströmen könnte. So verflüchtigt sich die Ökobilanz in den komplexen Strukturen einer global verteilten Produktion und ist dem Erzeuger immer schwieriger zuzurechnen.

Seine sichtbaren Schadstoffe sondert der elektrische Wagen eher im ideologischen Bereich ab, dort, wo sich eine machistisch geprägte Autofahrer-Gesellschaft heftig sperrt gegen die "Entmündigung", die mit der umfassenden Digitalisierung "natürlich" voran schreitet - man möchte man fast denken: wie ein Naturgesetz.

Der künftige CEO, Ola Kaellenius, Vorstandsmitglied der Daimler AG, jetzt noch für Konzernforschung & Mercedes-Benz Cars Entwicklung zuständig, sieht die Digitalisierung als "Riesenchance". Am 12. September 2017 sagt er, von seinem eigenen Begeisterungswillen mitgerissen, bei der Vorstellung des autonomen Smart: "Das Auto spricht mit anderen Ökosystemen außerhalb des Autos und kann jede Menge use-cases für den Kunden bieten."

Das "Robo-Taxi" sei sicher der erste "natürliche business-case" für voll autonomes Fahren: "Als Robo-Taxi kann man die Kosten des Fahrers einsparen" und somit "relativ schnell diese Technologie amortisieren". Wer vorher nicht gleich geschaltet hat, versteht an dieser Stelle recht gut, was mit "Ökosystem" gemeint ist: "natürliche" Umsatzfelder - die Landschaft unserer Zukunft.

Zetsche rechnet mit "vier bis fünf" Jahren: "Anfang des nächsten Jahrzehnts wird das voll autonome Fahren Realität sein." Solange der Markt noch offen ist für bestialische Verbrennung und "echte Menschen" am Steuer, bietet Mercedes für 2,7 Millionen Euro Stückpreis das AMG-"Hypercar" an, das mit 1000 PS kombinierter Formel-1-Elektromotorkraft und 2,5 Sekunden von 0 auf 100 km/h eher an ein Geschoss als an einen Personenkraftwagen denken lässt.