Auto-Nomie

Werbung von 1957: "ELECTRICITY MAY BE THE DRIVER. One day your car may speed along an electric super-highway, its speed and steering automatically controlled by electronic devices embedded in the road. Highways will be made safe—by electricity! No traffic jams…no collisions…no driver fatigue." Bild: America’s Independent Electric Light and Power Companies

Gesellschaftliche Folgen selbstentscheidender Maschinen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ein lückenloses Ökosystem

Ein gutes dutzend Mal im Jahr, wenn es wieder um neue Modelle geht, schmeißen die Autokonzerne ihre gewaltigen, millionenschweren Marketingmühlen an. Sie zermahlen unsere Gehirne zwischen tausend kantigen Neologismen, die uns die jeweils jüngste technische Idee als unverzichtbaren Vorzug erscheinen lassen sollen.

Diese Tendenz hat mit der Einführung einer neuen Personenkraftwagenklasse, den autonomen Autos, einen weiteren Höhepunkt erreicht. Denn nun gehen die Konzerne nicht mehr nur nach Genf und Frankfurt. Die Anzahl der Marketing-Spektakel ist vor allem dadurch so dramatisch gestiegen, dass die großen Hersteller mit ihrer "Software auf vier Rädern" alle möglichen Computer-Messen beglücken, so zum Beispiel die CES in Las Vegas.

Aber was genau ist der Fall beim neuesten CASE1? Durch intensives Studium der Kampagnen lösen wir das Kryptonym auf. Es bedeutet "connected autonomous shared electric".

CASE, also das autonome Fahrzeug, bewirke durch "intuitive Mobilität" eine "wahre Revolution", erfahren wir am 25. Oktober 2017 durch eine über linkedin verbreitete Botschaft von Dieter Zetsche. Er verspricht uns - oder vielmehr seinem Haus - "Sicherheit in unsicheren Zeiten".

Auf der CASE-Website wird erklärt, wie weit es bereits geht mit der Intuition.

Dazu eines jener Videos, die verdeutlichen, dass der Konzern sich tatsächlich als neuer Schöpfer sieht, eine Synthese aus Kirche, Staat und Frankenstein, die gemeinsam toten Stoffen Leben einhauchen.

Während von einem vor lauter Frische schrumpeligen Babyhändchen auf den Stern geblendet wird, flüstert eine suggestive Frauenstimme: "Mercedes Benz erkennt intuitiv Ihre Bedürfnisse, noch bevor sie entstehen. (Dann ein pathetischer Techno-Tusch:) Unser Ziel ist es, Produkte, Technologien und Services zu einem lückenlosen Ökosystem mobiler Lösungen zu verschmelzen."

Ganz neu ist die Rede vom "Ökosystem Auto" nicht. Wer vor 17 Jahren auf der Weltausstellung "Expo 2000" den von Jean Nouvel gestalteten Themenpark "Mobilität" besucht hat, wird erinnern, dass man sich zur Erfrischung ein Glas Wasser zapfen sollte, das Tropfen für Tropfen aus dem Auspuffrohr eines Brennstoffzellen-Wagens troff. Schon damals war klar erkennbar, dass es leichter fällt, durch Spin-doctoring die Gehirne der Kunden umzubauen, als die Antriebstechnologie klimatechnisch zu ertüchtigen.

Abschied vom Fetisch Auto?

Konzerne und Politik mögen unter der Haube der vier CASEs eine gedeihliche Ehe eingehen.

Aber was verändert sich auf der Nutzer-Seite? Bei uns, die wir für die tägliche Mobilität auf ein Konzept angewiesen sind, mit dem sich Beruf, Lebensentwurf und Umwelt ins Gleichgewicht bringen lassen? Wie wirkt sich CASE auf unseren Alltag aus? Welche Folgen hat es für unsere individuelle Bewegungsfreiheit, wenn wir - so der Plan der EU - in gut einem Jahrzehnt nur noch voll vernetzt (connected) und vom Rechner gesteuert (autonomous) unterwegs sind? Dafür Elektro-Autos nutzen, die uns nicht gehören und die wir deswegen täglich erst einmal wie ein Fischer mit dem Mobiltelefon als Schleppnetz im staatlichen Meer einfangen müssen? Die wir ausschließlich bargeldlos bezahlen, also nur mit Bankkarte und nach Preisgabe unserer Identität fahren können?

Auf den ersten Blick hört sich das Konzept der "intelligenten E-Mobile" so an, als wenn wir bloß "Ja" sagen müssten und dann bleibt für uns "user" lediglich die angenehme Aufgabe zu entscheiden, was wir mit der frei werdenden Zeit anfangen. Endlich mal spannende Ausstellungen besuchen. Länger Kaffee trinken. Uns durch witzigere SMS mit noch mehr "Freunden" verbinden. Uns perfekter entspannen. Besser kochen lernen.

Es ist recht unwahrscheinlich, dass so ein Broschüren-Ideal wirklich das ernst gemeinte Angebot von Politik und Konzernen ist, das hinter den autonomen Systemen steht. Aber wer weiß?

Es dräut das "Landclub-Paradies", von dem J.G. Ballard schon 1984 zu berichten wusste, nachdem er mit einer Karawane historischer Automobile zu einem Daimler-Jubiläum im Tempo des 19. Jahrhunderts durch Deutschland getuckert war. In der doppelten Zeitlupe des Chauffiert-Werdens und des langsamen Gleitens war ihm das süße Nichtstun als ultimative Hölle bewusst geworden.

Wenn wir "Ja" zu CASE sagen, bedeutet das auch, dass wir "Ja" sagen zum Staat als Eigentümer der autonomen City-Autos der Zukunft, also Abschied vom Privatbesitz, vom "Fetisch Auto", dem Lieblingskind der Familie. Dass wir "Ja" sagen zum Algorithmus, der uns steuert und unser Hirn und unsere Hände insoweit auf Urlaub schicken. Dass wir "Ja" sagen zu den Entscheidungen des Eigentümers, wohin wir fahren dürfen und wohin sicher nicht.

Wie weit sind wir im autonomen Fahrzeug unserer eigenen Autonomie beraubt? Welche neue Dimension der Repression könnte daraus erwachsen, dass Entscheidungen über Fahrwege an personenbezogene Daten gekoppelt werden?

Gibt es Vorbilder? Welche autonomen Systeme sind denn bereits operabel und welche gesellschaftliche Veränderung haben sie bewirkt? Was ist mit Drohnen und anderen LAWS (lethal autonomous weapon systems) - sind sie das militärische Muster und Vorbild für die zivile Nachnutzung als friedliche Freizeitmaschine? Wieviel verdeckte Gewalt steckt im Algorithmus, der für uns entscheidet?