"Babygirl": Feminismus als tödliche Waffe?

Copyright Constantin Film / Niko Tavernise

Macht trifft Sex: Halina Reijns Film dreht die Machtverhältnisse um. Nicole Kidman in einem Erotikthriller, der gewagt sein möchte. Klischeealarm.

Samuel: "It’s about giving and taking power."
Romy: "What did you do? Go to a library, and pick that up?"

Dialogauszug

Eine verhängnisvolle Affäre. Und in der Kombination aus Sexualität und Schuldgefühlen einer Gattin ein Hauch von Ibsen.

Der Clou des Films "Babygirl" ist so schlicht wie wirkungsvoll: Regisseurin Halina Reijn dreht unsere übliche Wahrnehmung und das, was man heute gerne sehr unkonkret und etwas oberflächlich "die Machtverhältnisse" nennt, einfach mal um.

Wir haben eine sehr mächtige Powerfrau, die man durchaus auch in die politisch wie kulturell gemeinte Kategorie "alte weiße Frau" einordnen kann, und wir haben einen jungen, aufstrebenden, knackig aussehenden Praktikanten. Macht trifft Sex.

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Eiskalt-zerbrechliche Hauptfigur

Vielleicht hätten wir Zuschauer und die von Nicole Kidman so eiskalt-kristallin, wie gläsern-zerbrechlich gespielte Hauptfigur Romy ahnen müssen, dass bei dem jungen Mann mehr als eine Schraube locker sitzt.

Das mit Abstand Interessanteste an diesem Film ist diese Hauptfigur. Allein wie sie in den ersten Minuten des Films eingeführt wird: Man sieht, wie sie Sex mit jenem Mann hat, der sich bald als ihr Ehemann entpuppen wird.

Vor allem aber sieht man, dass sie kurz danach aufsteht und sich aus dem Schlafzimmer schleicht – offensichtlich hat sie ihren Höhepunkt nur vorgetäuscht. Dann sucht sie auf ihrem Laptop eine Pornoseite auf, befriedigt sich und erlebt nun auch selbst einen Orgasmus.

Das Klischee neoliberal-linksliberaler Offenheit

Romy ist leitende Managerin eines großen "bösen" erzkapitalistischen Robotik-Unternehmens mit entsprechend durchgetaktetem Arbeitsalltag. Sie steht unter dem Druck aller Chefs: "Everyone is just waiting for me to buckle under pressure. (Alle warten nur darauf, dass ich unter Druck zusammenbreche)."

Zugleich sagt sie immer die richtigen - sprich angesagten - Dinge: "Being a CEO means to be collaborator and a nurturer. (Ein CEO zu sein bedeutet, Mitarbeiter und Förderer zu sein)."

Und ihre Firma erscheint schon auf den ersten Blick als ein Modell neoliberaler Tugendprotzerei durch "Greenwashing" und "Brownwashing" und auch ihr Zuhause ist der Inbegriff linksliberaler Offenheit.

Mami verdient das Geld, Papa (Antonio Banderas) macht Kunst, und die lesbische Tochter ist für diese "modernen Familie" eine Selbstverständlichkeit – dass die Regisseurin all dies nur ironisch meint und als potemkinsches Dorf aufbaut, um es Stück für Stück einzureißen, wird während des Films erst mit der Zeit klar.

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Moralische Hybris und puritanische Schuldgefühle

Es dauert nicht lange, da ist klar: Romy ist innerlich ängstlich und ein kleines "Babygirl", sie hegt Unterwerfungsfantasien, wie angeblich – Klischeealarm! – viele mächtige Leute, und als jemand kommt, der mit psychologischer Sensibilität und moralischer Skrupellosigkeit genau diese Fantasien bespielt und manipuliert, ist es um sie geschehen.

Dieser Jemand ist der junge Praktikant Samuel (Harris Dickinson). Romy gibt sich zunächst als "verantwortungsbewusste Erwachsene", willigt aber vorhersehbar schnell in eine dumme und von Anfang an zum Scheitern verurteilte Affäre ein.

So entwickelt sich "Babygirl" zu einer Geschichte über Kontrolle, Begierde und Beherrschung, vor allem aber auch über Moralismus, moralische Hybris und puritanische Schuldgefühle.

Denn Romy kann ihren Instinkten nicht widerstehen. Das ist ihre Schwäche. Diese bedroht sowohl die Stabilität ihrer Familie als auch ihre Stellung im Unternehmen.

Nichts, was nicht schon in vielen anderen, sogenannten "Erotikthrillern" über Beziehungen, über Macht und Erpressung gesagt worden wäre.

Was man gerne "Machtmissbrauch" nennt

Dieser Film bricht gleich mit mehreren Tabus: Das geht nur, weil die Hauptfigur eine Frau ist, und zwar eine Frau, die genau das macht – auf nachvollziehbare Weise und aus nachvollziehbaren, gewissermaßen "unschuldigen" Gründen –, was man heutzutage gerne sehr vereinfacht und oberflächlich "Missbrauch" und "Übergriffe" nennt.

Denn wenn eine solche Figur männlich gewesen wäre, wäre es für die Macher augenblicklich politisch vollkommen unmöglich gewesen, sie aus so einer verhängnisvollen Affäre heil herauskommen zu lassen.

Denn die eigentliche interessante Frage dieses Films ist aber, wer hier denn eigentlich den Übergriff vornimmt und wer hier wirklich Missbrauch begeht.

So klar liegen die Dinge nämlich nicht – wie meistens im Leben.

Der Film jedenfalls zeigt einen Typen mit obsessiven Allüren und ungelösten Problemen. Wir Zuschauer denken (und sollen denken): Von dieser Seite aus denken wir: "Die Arme, die von dieser ruchlosen Kreatur namens Mann manipuliert wird."

Feminismus als tödliche Waffe

Gegen Ende gibt es noch einen weiteren Aspekt: einen Konflikt zwischen zwei Frauen, Kidmans Figur und ihrer jungen, schwarzen Assistentin Esme (Sophie Wilde). Und genau diese Figur tut sich mit Samuel zusammen, um Romy zunächst moralische Vorhaltungen zu machen, sie aber im nächsten Satz mit Enthüllungsdrohungen zu erpressen, um ihre eigene Karriere zu befördern.

Diese Figur der Esme ist die einzige vermeintlich "überzeugte Feministin" des Films, die aber Moral mit Ehrgeiz vermischt und ihren Feminismus letztlich nur als tödliche Waffe einsetzt, um die Unternehmenspyramide zu erklimmen.

Der moralische Unterton dieser Geschichte hat vor allem lächerliche Seiten. "Babygirl" möchte gewagt sein, aber alle Tabuverletzungen dieses Films sind nur bürgerliche Übertretungen.

Am Ende ist der Film unglaublich puritanisch und in diesem Sinn typisch amerikanisch. Gewohnter Kitsch jenes Hollywood, das im Gegensatz zum alten Studiokino die gesellschaftlichen Verhältnisse und die konservative Moral der amerikanischen Mehrheit nur bestätigt und noch nicht einmal ironisch infrage stellt.

Die Frau als Hund

Ein bisschen lächerlich ist das Ganze auch in anderer Hinsicht, jedenfalls dann, wenn man sich nicht mit den abgedroschenen sadomasochistischen Sexpraktiken identifizieren möchte, die die Hauptfigur bevorzugt.

Wenn sie nämlich für den Jüngling in ihrem Bett "ein Hund" ist, auf allen Vieren kriegt und ihm gehorcht, um mit Leckerli belohnt zu werden, dann sind das Szenen, bei denen man sich fragt, was der Film nun genau mit uns Zuschauern vorhat.

Man muss auch sonst in diesem Fall gar mehr nicht groß anfangen, über Male Gaze und Female Gaze herumzuphilosophieren, solche akademischen Diskurse über Blickrichtungen lenken eher ab von Fragen der Macht, der Politik und der Erotik.

"Babygirl" ist nämlich, klar und einfach gesagt, kein erotischer Film.

Der Film blickt Kidman nie ins Gesicht. Sie ist ein distanziertes Objekt, das weder Liebe noch einen lasziven Blick der Kamera verdient hat. Wir sehen nie, wie sie sich richtig hingibt, alles ist gefilmt wie in der Pornografie. Es gibt keinen anderen Blick für die Schauspielerin, nur Verachtung.

In dem Moment, in dem aber Dickinson sein Hemd auszieht und für die Regisseurin und ihre Kamera tanzt – mit Kidman als Statistin – verbringt der Film viel Zeit damit, seine Bauchmuskeln, seinen definierten Rücken und den sich bewegenden Bizeps zu betrachten.

Mit anderen Worten, eine Kamera, die von Kidman wegläuft und sich ihrem psychopathischen Praktikanten nähert – ist kein "weiblicher Blick".

Kidman als trojanisches Pferd

Stattdessen geht es vor allem um die niederländische Regisseurin Halina Reijn, die mit "Babygirl" ihren internationalen Durchbruch ins "große Kino" erlebt. Nicole Kidman ist das trojanische Pferd in dieser Machtoperation.

Reijn, die als Schauspielerin begann, hat zuvor in "Instinct" (2019) von einer Knastpsychologin erzählt, die eine quasi-romantische Beziehung zu dem Serienvergewaltiger entwickelt, und in "Bodies Bodies Bodies" (2022) eine chorische schwarze Komödie mit einem Hauch von Slasher über den pathetischen Narzissmus der Generation Z.

Gegen die Mechanik des Verdachts

In jedem Fall geht es im Film um Sex und Erotik, post-"me too", und das in einem doppelten Sinn. Dieser Film denkt die "me too"-welle nämlich immer mit, wo er provoziert und wo er zurückzuckt, und gleichzeitig überwindet er sie.

Ja, man könnte sagen: Er gibt sie bis zu einem bestimmten Grad der Lächerlichkeit preis, genau wie die Diversitäts- und Rassismusdiskurse, die den amerikanischen Alltag inzwischen umklammern.

Und tatsächlich ist ja vieles lächerlich und manches auch gefährlich an einer gesellschaftlichen Haltung, die Anschuldigungen unüberprüft übernimmt und mit der notwendigen Absicht, den Opfern eine Stimme zu geben, anonymen Anklägern Tür und Tor öffnet und den Angeklagten die Stimme und die Möglichkeit der Verteidigung versagt oder diese sofort unter Verdacht stellt.

Allerdings wird hier das Kind mehr als einmal mit dem Bade ausgeschüttet. Und ganz überzeugen kann der Film nicht. Denn es handelt sich einfach um den Fall eines gegenwärtigen Films darüber, wie sich die Zeiten und die Begierden, auch die Sehnsüchte geändert haben. "Babygirl" ist ein Symptom des grassierenden Revisionismus in Kinofilmen.

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Am Ende bleibt eine wenig aufschlussreiche Darstellung der Ökonomie der Lüste und die Anprangerung der Possen und des Pharisäertums der Bourgeoisie, die mit Sex die Kompensation für den Schwachsinn und die Oberflächlichkeit des Arbeitsalltags verbindet.

So subtil wie die Implantate von Nicole Kidman

So oder muss man den Mut der Hauptdarsteller Nicole Kidman und Harris Dickinson sowie der Regisseurin und Drehbuchautorin Halina Reijn anerkennen. Im Jahr 2024 einen erotisch angehauchten Thriller über Machtspiele, Verführung und Zustimmung am Arbeitsplatz zu drehen, scheint nicht die einfachste und bequemste Option zu sein.

Zugleich erinnert "Babygirl" immer wieder an Filme wie "Fatal Attraction", "Stalking", "Basic Instinct", "9½ Wochen", "Indecent Proposal" und "Unfaithful" – und die aus heutiger Sicht absurde Welle der "Erotikthriller" der 1980er- und 1990er-Jahre.

In diesem Fall muss man titeln: "Fifty Shades of Grey" trifft "Die Klavierspielerin". "Babygirl" ist naiv, lauwarm und so subtil wie die Implantate von Nicole Kidman.