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Der Sturz des haitianischen Präsidenten Jean-Bertrand Aristide wird von Beobachtern mit gemischten Gefühlen gesehen. Starke ausländische Basis bei Rebellentruppen

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Mit gemischten Gefühlen haben politische Beobachter die Flucht von Jean-Bertrand Aristide, dem ersten demokratisch gewählten Präsidenten Haitis, kommentiert. Nach gut drei Wochen bürgerkriegsartigen Zuständen hat der ehemalige Armenpriester und zweimalige Präsident der verarmten Karibiknation am Sonntagmorgen das Land verlassen. Die Ehefrau und die beiden Kinder des 50-Jährigen waren bereits vor Tagen in die USA ausgereist. Nun soll die Familie in der zentralafrikanischen Republik Zuflucht gefunden haben. Nachdem bereits am 23. Februar eine Truppe US-amerikanischer Marines in Port-au-Prince gelandet ist, hat Washington nach anfänglichem Zögern am Wochenende weitere Truppen entsandt. Sie sind vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beauftragt, die öffentliche Ordnung wieder herstellen. Begleitet werden die US-Soldaten von Truppen aus Kanada, Frankreich und mehreren regionalen Staaten.

Weshalb aber ist das nicht früher geschehen? Seit die Rebellen um die so genannte Gruppe der 184 die Rebellion am 5. Februar im Norden des Inselstaates begannen, hatte Aristide mehrfach um Hilfe gebeten. Die Armee des Landes war den Rebellen zahlenmäßig unterlegen. Vielerorts stellten sich Polizeieinheiten den schwer bewaffneten Aufständischen entgegen - und bezahlten dafür mit ihrem Leben. Gut 80 Menschen waren in den vergangenen Wochen bei gewaltsamen Auseinandersetzungen getötet worden. Die zentrale Frage nach der Übernahme der Amtsgeschäfte durch den höchsten Richter Boniface Alexandre ist, ob diese Toten hätten vermieden werden können.

Kaum Beachtung hatte im Sicherheitsrat ein Krisenplan der karibischen Gemeinschaft zur Beilegung der Krise gefunden. Der Plan sah die frühere Entsendung von Hilfstruppen vor, ohne dass Aristide das Land hätte verlassen müssen. Geplant waren zudem Verhandlungen mit den Rebellen um eine politische Lösung. Doch gerade die US-Regierung beschränkte sich bis zuletzt darauf, die Aufnahme von Bootsflüchtlingen abzulehnen. Ohne Zweifel hätte durch ein früheres Eingreifen Blutvergießen vermieden werden können.

Unabhängig von der durchaus umstrittenen Person Aristides ist dadurch ein gewählter Präsident von bewaffneten Aufständischen aus dem Amt vertrieben worden. Äußerst fragwürdig ist daher das Schweigen des Sicherheitsrates auf seine wiederholte Bitte, den unterlegenen Sicherheitskräften beizustehen. Dabei hatte Aristide selber jahrelang die Unterstützung der USA sicher. Der katholische Priester war nach dem Ende der Duvalier-Diktatur 1991 zum ersten Präsidenten demokratisch gewählt worden. Für seine damaligen Verdienste hatte er sich international Respekt verschafft. In Deutschland wurde ihm etwa der Aachener Friedenspreis verliehen. Schon im September des gleichen Jahres wurde er von putschenden Militärs abgesetzt, um erst 1994 nach einer internationalen Intervention unter US-Führung wieder die Amtsgeschäfte zu übernehmen. Bei den folgenden Wahlen wurde er als Kandidat der "Organisation Politique Lavalas" (OPL) bestätigt. Auch bei seiner zweiten Amtszeit ab Februar 2001 errang er den Sieg für die OPL.

Beachtlich ist der Umstand, dass Aristide in die internationale Kritik geriet, ohne dass explizite Vorwürfe gegen ihn erhoben wurden. Betrachtet man seine Gegnerschaft, so eint sie der allgemeine Unmut über die wirtschaftlich schlechte Lage im "Armenhaus der Karibik". Drei Jahre nach Beginn von Aristides zweiter Amtszeit sind die Menschen enttäuscht. Zwar kann die Regierung eine Reihe von Sozialprogrammen vorweisen, Schulbau und der Zugang zum Gesundheitswesen wurden gefördert, zu einer allgemeinen Verbesserung der Lage aber führte das nicht. Externe Faktoren scheinen zu überwiegen. So etwa der Argwohn, mit dem die Zusammenarbeit Aristides mit Staaten wie Kuba und Venezuela in den USA und Frankreich gesehen wurde. Zuletzt, so scheint es, wollte man einen unbequemen Einzelgänger beseitigen. So beschreibt "Spiegel Online" eine bezeichnende Stellungnahme:

Nach Informationen aus Oppositionskreisen hatten Diplomaten Aristide mit einer Anklage wegen Drogenhandels gedroht, falls er nicht freiwillig gehe.

Spiegel Online, 1. März 2004

Die Strafverfolgung wird nur noch als Druckmittel benutzt. Mit geltender Rechtsauffassung hat das wenig zu tun. Denn wenn Frankreich über Informationen verfügt, die eine Verstrickung Aristides in Drogengeschäfte belegen, müsste ihm in jedem Fall der Prozess gemacht werden, ob als Präsident oder Exilant. Das Zitat wirft ein Schlaglicht auf die neuen Mechanismen internationaler (Interventions-)Politik.

So schwierig es ist, den geschiedenen Präsidenten zu beurteilen, so einfach fällt das im Fall der Rebellenführer. Louis Jodel Chamblain Kontakte zum US-Auslandsgeheimdienst beim Aufbau der Todesschwadrone Duvaliers sind nachgewiesen. Noch kurz vor Beginn der Revolte erklärte Chamblain, die FRAPH (Front für den Fortschritt Haitis) sei nach wie vor "funktionstüchtig". Immerhin neun Jahre nach ihrer offiziellen Auflösung.

Vertreter des Aristide-Lagers werfen den Anführern der Rebellen daher Kontakte zu rechten Kreisen in den USA vor. Ähnliche Stimmen kommen aus der Dominikanischen Republik. Nach Angaben von Narciso Isa Conde, dem Präsidenten einer dortigen Linkspartei, ist nicht nur die Finanzierung der Rebellion durch die "Kubanisch-Amerikanische Nationalstiftung" (FNCA) bekannt. "Wir haben Belege dafür, dass Söldner der Stiftung an Planung und Durchführung des Aufstandes beteiligt waren", sagte Conde einer kubanischen Tageszeitung. Die FNCA verfüge über "gute Kontakte zur Gruppe der 184", deren Aktivisten von FNCA-Kontaktleuten an der Grenze zwischen Haiti und der Dominikanischen Republik Waffen entgegengenommen hätten. Die Motivation der Exilkubaner sei die Nähe Aristides zu Fidel Castro gewesen. Auch die Anwesenheit von kubanischen Ärzten auf der Insel sei den FNCA-Funktionären ein Dorn im Auge gewesen.

Zu einem ähnlichen Urteil gelangte die US-Kongressangeordnete Maxine Waters nach einer Kurzvisite in Haiti. "Bei der so genannten Gruppe der 184 handelt es sich nicht um friedliebende Aktivisten", schrieb Waters in einem offenen Brief nach ihrer Rückkehr in die Vereinigten Staaten am 18. Februar. Fast alle Anführer der Rebellion besäßen US-Pässe und seien zum Aufstand nach Haiti eingeflogen.