Banger Blick in den Herbst: Warum Medikamente wieder knapp werden könnten

Kinderärzte appellieren an Politik, Versorgung mit Medikamenten zu sichern. Lauterbach räumt jahrelange Untätigkeit ein. Weshalb eine Lösung schwierig ist.

Medikamente sind knapp in Deutschland und in anderen Ländern der Europäischen Union. Im kommenden Herbst könnten hauptsächlich Kinder unter diesem Mangel leiden. Davor warnten Kinderärzte aus mehreren EU-Ländern, darunter Deutschland, Frankreich und Österreich. Die Neue Osnabrücker Zeitung (NOZ) hatte am Samstag über den Brandbrief berichtet.

Am selben Tag reagierte auch der deutsche Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auf Twitter. Dort erklärte er, dass die Sorge der Kinderärzte berechtigt sei. "Auch ich hätte mir gewünscht, dass wir hier nicht jahrelang untätig geblieben wären", schrieb er und verwies darauf, dass sich der Bundestag inzwischen mit einem "Lieferengpassgesetz" beschäftigt.

Auch der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) hatte am Samstag mit einer Kritik an der Pharmabranche reagiert. Das Schreiben zeige, dass die Nichtlieferung bestimmter Arzneimittel ein europaweites Problem für die Menschen sei, erklärte GKV-Sprecher Florian Lanz gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa).

Es gab ein gemeinsames Vertrauen in die Pharmaindustrie, dass sie im Zweifel die Versorgung der Patientinnen und Patienten sicherstellt. Dieses Vertrauen ist mittlerweile erschüttert.

Florian Lanz

Die Zeit drängt, wie der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach, in der NOZ hervorhob. "Wir behandeln schon jetzt fernab der Leitlinien, und der nächste Herbst steht vor der Tür", sagte er. Deutschland werde wieder eine Versorgungsnot erleben, "die noch schlimmer werden könnte als zuletzt".

Es fehle an Fieber- und Schmerzmedikamenten, die kindgerecht verabreicht werden könnten. Auch Penicillin gebe es derzeit nicht. Nach Ansicht von Fischbach müsste die heimische Produktion von Medikamenten für Kinder gefördert werden. Es müsse für die Hersteller ausreichend attraktiv sein, die Medikamente zu produzieren, und die Politik müsse dafür sorgen.

Der zitierte Brandbrief wurde auch vom Präsidenten der Association Française de Pédiatrie Ambulatoire (AFPA) unterzeichnet. Wie die Nachrichtenagentur AFP berichtete, richtete sich das Schreiben an die Gesundheitsminister in Deutschland, Frankreich, Südtirol (Italien), Österreich und der Schweiz.

Es müsse dringend eine schnelle, zuverlässige und nachhaltige Lösung gefunden werden. "Die Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen ist durch den Medikamentenmangel europaweit gefährdet", heißt es in dem Schreiben.

Die Stiftung Patientenschutz betonte nun allerdings, dass das Problem nicht nur Kinder betreffe. "Überall leiden chronisch kranke Menschen an der schleppenden Versorgung mit Basismedikamenten, Blutfettsenkern, Blutdruckmitteln", so Stiftungsvorstand Eugen Brysch gegenüber AFP. Selbst Krebsmedikamente seien Mangelware.

Was auf nationaler und europäischer Ebene unternommen werde, um die Versorgung der Patienten sicherzustellen, ist für Brysch nicht ausreichend.

Es dürfte allerdings auch nicht einfach werden, die Probleme zu lösen: Freihandel und wirtschaftlicher Druck haben zu einer Verlagerung von Produktionskapazitäten ins Ausland geführt. Europa ist gerade bei Basismedikamenten auf intakte Lieferketten angewiesen.

Auch wenn etwa Fiebersäfte in Europa hergestellt werden, so sind die Unternehmen auf die Zulieferung von Wirkstoffen angewiesen. Der Spiegel hatte im Januar darüber ausführlich berichtet. Dort hieß es etwa:

Das Europäische Direktorat für die Qualität von Arzneimitteln weist elf aktive Zertifikate für die Herstellung von Ibuprofen aus: Sieben der Hersteller davon sitzen in Indien, zwei in China, einer in den USA. Auch der deutsche Chemiegigant BASF produziert seit mehr als 20 Jahren Ibuprofen, allerdings im texanischen Bishop.

Der Spiegel, 24.01.2023

Es sei auch nicht einfach möglich, die Produktion wieder nach Europa zu verlagern. Denn Wirkstoffe, die in Europa hergestellt würden, wären im Durchschnitt 20 Prozent teurer. Und das ist im internationalen Wettbewerb ein deutlicher Nachteil, gerade bei Wirkstoffen, deren Patentschutz abgelaufen ist.

Die Spiegel-Autoren gehen nicht davon aus, dass sich am Problem der anfälligen Lieferketten etwas ändern wird – auch nicht bei neuen Medikamenten. Denn viele Pharmafirmen setzten nach wie vor auf eine einzige Produktionsstätte für ihre Wirkstoffe. "Das ist einfach gewinnträchtiger, weil effizienter und kostengünstiger."

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