Bangladesch: Eine überpowerte Autokratie

Seite 2: "Der Westen ist an Scheinheiligkeit nicht zu übertreffen"

Die buntgefärbten Abwasser der Aji-Gruppe, die nach eigenen Angaben unter anderen für C&A und Otto produziert, fließen zwar seit 2019 in einen betonierten Graben, doch der leitet die chemische Brühe weiter über Felder ebenfalls in den ebenfalls schwarzen Dhalesshwari – und der fließt dann in den Buriganga.

Hazaribagh - Aus den verseuchten Lederresten wird Fisch- und Hühnerfutter. Foto: Gilbert Kolonko

Drei Wochen später traf ich eine junge Deutsche, die sich völlig demoralisiert eine lange Auszeit gönnte: Ein Jahr lang arbeitete sie am Lieferkettengesetz mit: "Wir (der Westen) sind an Scheinheiligkeit nicht zu übertreffen", sagte sie.

In den 1980er-Jahren erzählte ein Freund von mir auf einem Kongress in Berlin den Zuhörern von seiner Reise nach Bangladesch: "… Ich gab den Kindern in den Fabriken kleine Sticker, die sie in die rechten Ärmel der Anzüge miteinnähen sollten, damit ich sie später wiederfinde", flunkerte er.

Im Publikum wurde es leicht unruhig. Klar, schon damals wussten die meisten, dass ihre Kleidung durch Ausbeutung hergestellt wurde. Seit mehr als 40 Jahren wissen es die meisten Deutschen.

Es sind nicht die Armen, die bei KiK kaufen "müssen", sondern vor allem Generationen von Frauen und Männern der Mittelklasse, die sich an fast fashion gewöhnt haben: Im Durchschnitt tragen wir ein Kleidungsstück ganze viermal, bevor wir es aussortieren.

Das Geschäft mit chromverseuchten Lederresten

Auf dem Rückweg sind in Hemayetpur die meisten Straßen gesperrt, weil Menschen dort knien. Einer der berühmten Arbeiterstreiks Dhakas? Nein, es ist Freitag, die Fabrikarbeiter beten gemeinsam. "Streiken": das macht jeden Freitag nur die Metro.

Auch in den angeblich seit Langem geschlossenen Ledergerbereien von Hazaribagh wird mithilfe von illegalen Stromleitungen weiter gearbeitet. Dazu floriert das Geschäft mit den chromverseuchten Lederresten, aus denen Fisch- und Hühnerfutter hergestellt wird.

Positives? Aber doch ...

Doch es gibt auch Positives zu sehen: Wegen der hohen Stromkosten steigen immer mehr Privatpersonen und Firmen in Eigeninitiative auf Solarstrom um. Das Problem: Zwar rühmt sich die Hāsinā-Regierung, nur ein Prozent Zoll auf die Einfuhr von Solarplatten zu erheben.

Doch die Einfuhr von Solarwechselrichtern, die in Bangladesch nicht hergestellt werden, wird mit 37 Prozent verzollt.

Zwischen den Städten Khulna und Jessore liegen auf einer Länge von sieben Km Kohlehaufen am Straßenrand. Foto: Gilbert Kolonko

Ein Recht auf Wohlstand mit fossilen Energien?

Wenn Staatsoberhäupter von Schwellenländern sagen, sie hätten ein Recht, ihren Wohlstand wie der Westen ebenfalls mithilfe von fossilen Energien zu vermehren, haben sie in der Theorie Recht.

Aber ob Indien, Pakistan oder Bangladesch: Nach meinen Erfahrungen in 24 Jahren ist damit nicht der Wohlstand oder das Wohlergehen der Masse gemeint. Die hat davon in der Regel vorwiegend Luftverschmutzung, Kugeln im Körper und im besten Falle neue Moscheen oder Tempel.

Der Milliardär Gautam Adani

Der Milliardär Gautam Adani dagegen wird für seinen in Indien hergestellten Kohlestrom mindestens das 15-fache seines dafür eingesetzten Kapitals kassieren – das hat ihm die Regierung Bangladeschs vertraglich zugesichert.

Der Strom wird im Bundestaat Jharkhand produziert – dass auch dafür Menschen von ihrem Land vertrieben wurden und von Polizei und Sicherheitsfirmen versprügelt, ist selbstredend.

Adani würde für das Kraftwerk im indischen Jharkhand am liebsten noch Kohle aus seinen australischen Minen benutzen, die Kohle wäre dann erst einmal mehr als 8.000 Kilometer mit dem Schiff unterwegs – Siemens taucht da in einer kleinen Nebenrolle auf. Doch da hat der australische Supreme Court noch ein Wort mitzureden.

Arbeiter in der Region Khulna mit Zementsäcken. Foto: Gilbert Kolonko

Zurück in Khulna frage ich Kaniz Rabeya, wie das mit den erneuerbaren Energien in Bangladesch läuft.

Und die Erneuerbaren?

"Ihr aktueller Anteil an der Stromversorgung beträgt 2,08 Prozent", lautet die nüchterne Antwort.

Ich erwidere, dass das Land 300 Sonnentage im Jahr habe und dass da doch eigentlich mehr zu machen sei. Plötzlich strahlt Rabeya. "Unsere Studie kam zu dem Ergebnis, dass alleine in der Division Rangpur 11.944 MW Strom aus Sonnenenergie produziert werden könnte", sagt sie und fügt hinzu:

"Es gibt kein Platzproblem. Das ist eine Lüge. Auch unsere Studie hat nur zehn Prozent des brachliegenden Landes, das der Regierung gehört, berücksichtigt."

Dann schweigt sie leicht betreten, als hätte ich sie bei etwas Verbotenem erwischt.

Was möglich wäre

Eine weitere Studie zeigt, dass alleine in sechs von acht Divisionen (Gebietsverwaltungen) in Bangladesch 215.011 MW möglich wären. Die Frage, warum das nicht passiert, beantwortet mir am nächsten Morgen Abdul:

Weil die ausländischen Konzerne mit den erneuerbaren Energien kaum Profite machen. Das beste Beispiel ist der indische "Kohlekönig" und Modi-Freund Gautam Adani – er ist gleichzeitig auch führend in erneuerbaren Energien, macht jedoch mehr Kohle (money) mit Kohle - auch in Bangladesch. Den Preis zahlen auch 171 Millionen Menschen in meinem Land. Grüner Strom, mit dem saubere Fabriken betrieben werden, so dass wir das Flusswasser als Trinkwasser benutzen können und unsere größtes Flussdelta der Erde für die Landwirtschaft nutzen, scheint unerreichbar.

Das scheinen auch die Inder zu wissen: 3180 der 4096 Kilometer langen gemeinsamen Grenze haben sie schon mit Zäunen gesichert.

Zeitgleich schließt Indien die Schleusen seiner Dämme, wenn Bangladesch das Wasser für seine Flüsse am meisten braucht: im Frühling und Sommer. Dadurch steigt Meerwasser in die Flüsse auf und versalzt die Uferregionen, die unbewohnbar werden.

In der Regenzeit öffnet Indien seine Schleusen, dann sind bis zu einem Drittel von Bangladesch überschwemmt.