Bedingungsloses Grundeinkommen statt bedingungsloser Bereitschaft gegenüber der Jobagentur

Seite 2: Die Lohnarbeitsgesellschaft

Die Herstellung nützlicher Konsumgüter - Waschmaschinen etwa, oder Staubsauger - erfordert Arbeitsteilung, die nur als Lohnarbeit mit gewissem Arbeitszwang organisiert werden kann.

Werner Rätz: Es ist wie bei der Toilettenreinigung stets eine Frage der Arbeitsbedingungen und der Bezahlung. Hinzu kommt die produktive Entwicklung. Autos werden schon im Wesentlichen von Robotern gebaut. Zwar wird immer noch mehr, als man anfangs dachte, bei der Roboterisierung von Menschen gemacht. Aber das sind spannende Tätigkeiten, die hohe Ausbildung und Qualifikation verlangen.

Es ist nichts dagegen zu sagen, wenn schwere oder stumpfsinnige Arbeiten von Maschinen verrichtet werden. Der Grund, weshalb sogar Gewerkschafter heutzutage der Ansicht sind, dass eine weitere Rationalisierung der Fabriken nicht wünschenswert sei, liegt darin, dass sie um Arbeitsplätze kämpfen. Das ist allerdings technologischer Unsinn. Da, wo es möglich ist, dass Arbeit von Maschinen übernommen wird, sollten Menschen über die Entlastung froh sein. Wenn dann weniger Zeit benötigt wird, um die gleiche Menge herzustellen wie zuvor, sollte die Arbeitszeit verkürzt werden.

Ein BGE könnte unter Umständen dazu führen, dass die Produktivität einer Gesellschaft tatsächlich abnimmt, wie es beispielsweise Heiner Flassbeck befürchtet. Wer ein BGE beziehe, arbeite seiner Ansicht nach nicht gleich weniger, aber er züchtet vielleicht seine Tomaten selber, statt sie von der Agrarindustrie erzeugen zu lassen. Flassbeck glaubt nicht, dass alle in Urlaub fahren und weniger tun, einzelne würden in der BGE-Gesellschaft vielleicht sogar mehr arbeiten, aber sie wären eben weniger produktiv.

Tomaten vom Balkon sind hübsch, gesund und lecker, aber sie werden mit viel geringerer Produktivität erzeugt als in arbeitsteiliger Herstellung. Hier lässt sich Verhalten schlecht prognostizieren. Sollte es tatsächlich soweit kommen, dass eine zu geringe Produktivität die allgemeine Versorgung gefährdete, müsste man über Anreize diskutieren, um diesen Mangel wieder auszugleichen.

Diese Frage hängt sehr stark mit ökologischen Aspekten zusammen. Aus ökologischen Gründen muss die Arbeitsteilung in vielen Bereichen sowieso zurückgenommen werden. Wir können es uns nicht länger erlauben, dass die Bestandteile des Autos oder der Joghurt erst dreimal um die Welt fliegen, bevor Konsumenten sie kaufen. Solcher Unsinn muss ohnehin aufhören. Das ist schon mehr eine ökologische Debatte, die hier zu führen ist.

André Gorz sprach von "Elitearbeitern", privilegierte Angestellte mit gut honoriertem Festvertrag, die sich mit ihrer höheren sozialen Stellung identifizieren. Die Mittelschicht hat womöglich kein Interesse daran, das Prekariat durch ein BGE zu emanzipieren und damit den eigenen sozialen Status zu gefährden.

Werner Rätz: Ich bin mir nicht sicher, ob die Statusdebatte eine große Rolle spielt. Bei einigen Leuten mag das der Fall sein. Bedeutsamer ist meiner Ansicht nach, dass sich Menschen an gewisse Abläufe gewöhnt haben und sie diese nicht mehr in Frage stellen wollen. Das habe ich in Gesprächen festgestellt, bei denen BGE-Skeptiker im Lauf der Jahre ihre Meinung doch verändert haben. Für sie war im Nachhinein entscheidend, dass sie sich das lange gar nicht vorstellen konnten.

Bei einem BGE müssten die Menschen ihre Arbeitskraft nicht mehr um jeden Preis verkaufen. Die allermeisten würden allerdings nicht dauerhaft von einem BGE von 1.000 Euro (bzw. inzwischen wohl etwas höher) leben wollen. Aber jede Person könnte zumindest für eine Übergangszeit davon existieren. Die Hälfte der Beschäftigten steht mindestens einmal im Leben vor der Frage, sich eine bestimmte Lohnarbeit nicht mehr antun zu wollen. Das BGE schafft ihnen die Möglichkeit "Nein, danke! Ich gehe jetzt!" zu sagen und sich nach einer besseren Tätigkeit umzuschauen.

Das stärkt die Verhandlungsmacht der Individuen gegenüber der Kapitalseite deutlich. Denkbar ist, dass Gewerkschaftsfunktionäre kein Interesse daran haben, die Verhandlungsmacht des einzelnen zu stärken, sondern die der Gewerkschaften. Da entsteht durchaus ein Konkurrenzdenken. Aber das muss nicht im Widerspruch stehen. Die Argumente der Unternehmer dagegen sind natürlich völlig einleuchtend: Sie haben kein Interesse daran, dass Beschäftigte die Wahl haben, ob sie ihre Arbeitskraft verkaufen müssen oder eben nicht.

Der Kapitalismus lebt zentral davon, dass ein Großteil der Bevölkerung seine Arbeitskraft verkaufen muss; diesen Zwang aufzuheben, kann nicht im Interesse der Kapitalbesitzer sein, das ist völlig klar.

keine Kompetenz für sozialpolitische Fragen auf EU-Ebene

Sie engagieren sich mit der Arbeitsgruppe "Genug für alle" bei Attac im Verbund europäischer Initiativen für ein BGE in der gesamten EU. Wie ist der Stand der Dinge?

Werner Rätz: Eine große Schwierigkeit besteht darin, dass es auf EU-Ebene keine Kompetenz für sozialpolitische Fragen gibt. Bei den letzten beiden Runden der EU-Erweiterung hat man das ursprüngliche Prinzip aufgegeben, sozialpolitische Regulierungen auf möglichst hohem Niveau für die gesamte EU durchzusetzen. Stattdessen bleiben unterschiedliche Regulierungen in den einzelnen Ländern bestehen.

So ist ein sozialpolitischer Wettlauf nach unten entstanden. Wenn in einem Land das Arbeitsrecht streng und die Steuern für Unternehmen hoch sind, in einem anderen EU-Land dagegen das diesbezügliche Recht locker und die entsprechenden Steuern gering, dabei aber die Kapitalseite frei entscheiden darf, wo sie Unternehmen ansiedelt, dann ist die Folge offenkundig: Die Unternehmer verlagern ihre Betriebe dorthin, wo sie für sich die günstigsten Bedingungen vorfinden.

Die anderen EU-Länder werden danach trachten, solche Verlagerungen zu verhindern und lockern ihre Regeln ebenfalls. Dieser Prozess ist innerhalb der EU seit mindestens 30 Jahren zu beobachten. Zugleich besteht keine Regulierungskompetenz auf EU-Ebene, um diese Entwicklung zu stoppen und umzukehren.

Auch innerhalb der Nationalstaaten bestehen wirtschaftliche Gefälle zwischen einzelnen Regionen, das ist überhaupt nichts Ungewöhnliches. Eine nationale Politik ist allerdings bestrebt, solche Unterschiede zumindest teilweise auszugleichen; eine solche Struktur fehlt auf EU-Ebene. Deshalb lässt sich ein BGE EU-weit nicht so leicht einführen; man muss die entsprechenden Strukturen immer gleich mit erfinden und mit vorschlagen. Deshalb fordert die europäische Bürgerinitiative ausdrücklich im Plural bedingungslose Grundeinkommen, die auf den unterschiedlichen Regelungen in den einzelnen Mitgliedsländern basieren. Von der EU-Kommission fordern wir, dass sie Vorschläge macht, wie solche BGE in den einzelnen Ländern gestaltet werden sollen.

Ein zweites Problem besteht darin, dass in der globalisierten Welt die Handelskompetenz bei der EU und nicht bei den Mitgliedsländern liegt. Die EU bestimmt also die Welthandelsbedingungen, aber die einzelnen Mitgliedsstaaten regulieren soziale Rechte und stehen in wirtschaftlicher Konkurrenz gegeneinander. Daraus entsteht ein Ungleichgewicht, das sich nur auf höherer Ebene ausgleichen ließe. Auf nationaler Ebene verlieren jene, die soziale Rechte einfordern, in diesem Wettbewerb um Industrie-Standorte immer. Das ist für viele Betroffene, die unter Sozialabbau leiden, nur schwer verständlich. Sie sehen nur, dass ihre konkrete Ausbeutung und ökonomische Überforderung, ihre schlechte soziale Situation vor Ort geschaffen werden und erleben die Brüsseler Institutionen als ziemlich weit weg.

Vor diesem Hintergrund fällt es uns immer noch schwer, Menschen von der europäischen Bürgerinitiative zu überzeugen. Bislang haben wir nur eine recht überschaubare Zahl von Unterschriften, sowohl EU-weit als auch in Deutschland, wo noch im Frühjahr eine Million Unterschriften für ein Corona bedingtes Kriseneinkommen gesammelt wurden. An dieser Zahl sind wir noch lange nicht dran, aber ich bin überzeugt, dass wir das noch bis im Dezember 2021 schaffen werden. Aber die Überzeugungsarbeit gestaltet sich schwieriger als ursprünglich gedacht.

Aber viele fordern dagegen, wieder mehr Kompetenz auf die Nationalstaaten zurück zu verlagern, nicht nur von politisch rechter Seite.

Werner Rätz: Die EU hat massiven Einfluss auf das Leben der Menschen vor Ort, verhandelt zugleich im globalen Rahmen über Handelsbeziehungen. Aber sie hat derzeit keine Kompetenz, hohe soziale Standards in den Nationalstaaten durchzusetzen, wobei ich der EU-Kommission nicht unterstellen möchte, dass sie das überhaupt beabsichtigt. Doch selbst, wo sie mittlere Standards nur halten will, gerät sie oft unter Druck. Um es an Konzernen wie Amazon zu verdeutlichen: Solche Unternehmen sind sogar innerhalb der EU in der Lage, Steuervermeidungspolitik zu betreiben und Nationalstaaten gegeneinander auszuspielen.

Auf nationaler Ebene besteht keine Chance, das zu verhindern. Wenn die EU Amazon nicht zum Steuerzahlen zwingen kann, dann Slowenien erst recht nicht. Die sozialen Probleme werden von den Kritikern der EU durchaus richtig beschrieben, zumindest soweit sie aus der Linken kommen und kein rechter Nationalismus dahinter steckt. Aber die Lösung solch komplexer Probleme kann nur auf der Ebene liegen, wo sie entstehen, nämlich auf globaler Ebene, dort müssen Regulierungen vereinbart werden. Deshalb wäre es eine ganz, ganz dringende Aufgabe, den Kampf um soziale Rechte auf die EU-Ebene zu übertragen.

Bedingungsloses Grundeinkommen sichert Menschenrecht

Von rechter Seite bevorzugt man dagegen wohlstandschauvinistisch die Festung Europa, die AfD möchte ein BGE nur für Deutsche.

Werner Rätz: Wenn man das BGE nicht als reine armutspolitische Maßnahme versteht, sondern als Antwort auf eine menschenrechtspolitische Diskussion, dann hat das bestimmte Konsequenzen. Wir sagen nicht, dass Geldzahlungen ein Menschenrecht seien, aber ein anständiges Leben in materieller Sicherheit. Das BGE ist ein Mittel, dies im Kapitalismus zu gewährleisten. Als Menschenrecht muss ein solches Grundeinkommen also allen Menschen gewährt werden. Ein solches BGE ist mit Vorstellungen rechter Kreise und NationalistInnen nicht vereinbar.

Die AfD hat über ihren Vorschlag, ein BGE nur an Deutsche auszuzahlen, auf ihrem Parteitag nicht einmal abgestimmt, sie sind sich ja auch intern uneins. Sie können das, was sie eigentlich wollen, nämlich ein BGE nur an sogenannte Biodeutsche zu zahlen, juristisch gar nicht verfassungsgemäß formulieren. Bei Staatsbürgern hat schon ein Großteil Migrationshintergrund. Damit will ich mich nicht weiter befassen, das ist ein Schwachsinnsansatz mit rechtsideologischem Hintergrund.

Bei unserem Ansatz basiert das BGE auf den Menschenrechten und ist Teil eines globalen Prozesses, der zu einem gewissen Ausgleich der weltweiten ökonomischen Gegensätze führt, worüber wir schon am Beispiel Namibia gesprochen haben. Solange auf dem Planeten einerseits wohlhabende Regionen bestehen, andererseits Regionen, in denen man kaum überleben kann, wird ein BGE, das nur in reichen Ländern eingeführt wird, ein Problem darstellen, man muss von vornherein die Perspektive der armen Länder mit bedenken.

Ein BGE lässt sich nicht von heute auf morgen in einer Gesellschaft verwirklichen, die Einführung müsste sich als längerer Prozess gestalten. In einer sozial gespaltenen Welt muss man über Maßnahmen nachdenken, den Spalt zu beseitigen. Man könnte mit einem BGE für Kinder beginnen. Man könnte mit BGE-Leistungen beginnen, die nicht aus Geldzahlungen bestehen. Öffentlicher Nah- und Fernverkehr könnten beispielsweise steuerfinanziert sein, so dass sich niemand eine Fahrkarte kaufen muss, dann bräuchte der einzelne deutlich weniger Geld. Viele weitere staatliche Leistungen könnten steuerfinanziert werden, so dass der einzelne sie nicht mehr bezahlen müsste.

Öffentliche Mobilität würde die Gesamtkosten deutlich verringern, weil die vielen unsinnigen Ressourcen, die der Privatverkehr benötigt, eingespart würden. Auch eine öffentliche Energieversorgung wäre günstiger als eine private. Wegen einer solch gebührenfreien Nutzung öffentlicher Infrastruktur wäre noch kein Anreiz geschaffen, massenhaft nach Deutschland zu migrieren.

Wie ist die Reaktion auf Eure Initiative in den Massenmedien? Besteht ein journalistisches Interesse am Thema, das doch das Leben der BürgerInnen entscheidend verändern könnte?

Werner Rätz: Wenig. Ein paar Berichte gab es; ich habe einen Kommentar in der Frankfurter Rundschau veröffentlicht; Ronald Blaschke publizierte einen Artikel im Neuen Deutschland und es gab weitere kleine Veröffentlichungen. Aber das ist nicht nur bei unserem Thema zu beobachten. Vor einigen Jahren war die europäische Bürgerinitiative gegen TTIP trotz des mangelnden Medienechos recht erfolgreich.

Die EU-Kommission tat damals so, als sei sie für diesen Bereich nicht zuständig, was definitiv die Unwahrheit ist. Die einzelnen Initiativen beschlossen damals, selbst eine Unterschriftenaktion zu organisieren und kamen allein in Deutschland schnell über eine Million. Auch da fehlte zu Beginn die Aufmerksamkeit. Zwar war TTIP mediales Thema, aber nicht die Initiative, die dagegen kämpfte. Erst ihr enormer Erfolg brachte sie in die Schlagzeilen.

Das könnte bei uns auch der Fall sein. Insgesamt wird über europäische Prozesse vergleichsweise wenig berichtet. In den großen deutschen Medien ist die Auslandsberichterstattung ohnehin dürftig. Die EU-Berichterstattung greift eher Skandalisierbares als schwierig darstellbare Themen auf, die den Alltag aller betreffen. Von Medien erfahren wir bislang keinerlei Unterstützung für unser Projekt, wir geben sie aber nicht auf und veröffentlichen regelmäßig Pressemitteilungen. Wir konzentrieren uns auf kleinere Medien, besonders im Online-Bereich. Wir haben erst damit begonnen, aber das ist die Öffentlichkeitsarbeit, die man machen muss.

Werner Rätz ist in Bonn im globalisierungskritischen Netzwerk Attac aktiv. Zuvor hatte er von der CDU bis zur LINKEN alle Parteien erfolglos ausprobiert. "Genutzt hat es nichts", sagt er. Der Politikwissenschaftler publiziert zu Themen wie Welthandelsbeziehungen, Lateinamerika, Europa und eben dem BGE, das im Folgenden das Gesprächsthema ist.

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