Begibt sich spanische Linksregierung auf portugiesischen Weg?
Schon auf dem ersten Treffen des Sozialpakts einigten sich Regierung, Unternehmer und Gewerkschaften auf Mindestlohnanhebung
Es war eine kleine Überraschung, dass die Arbeitsministerin Yolanda Diaz am Mittwoch ankündigen konnte, dass der Mindestlohn rückwirkend ab dem 1. Januar in Spanien um 5,5% ansteigen wird. Statt 900 Euro im Monat bekommen viele Beschäftigten nun 950 Euro. Da es in Spanien 14 Zahlungen gibt, sind es im Vergleich zu anderen Ländern, in denen es wie z. B. in Frankreich nur 12 Zahlungen gibt, umgerechnet 1.108 Euro im Monat. Nach Angaben der Ministerin beziehen gut zwei Millionen Bürger den Mindestlohn.
Mindestlohn in der Stunde bei 6,36 Euro
Bisher gaben diverse Quellen den Stundenlohn in Spanien (bei 900 Euro monatlich) mit 5,45 Euro an. Allerdings sind in diesem Fall die beiden Sonderzahlungen nicht eingerechnet. Real lag der Mindestlohn daher bisher bei 6,36 Euro. 9,19 waren es zum Beispiel in Deutschland Ende 2019 und in Frankreich 10,03 Euro. In Spanien steigt er nun real auf 6,71, während er in Deutschland zum Jahresbeginn auf 9,35 gestiegen ist.
Dazu hat die gerade neu gewählte Linksregierung Spanien gerade auch die Gehälter und Bezüge der Beschäftigten im öffentlichen Dienst ebenfalls über die offizielle Inflationsrate hinaus um 2% angehoben. Das war allerdings längst mit den Gewerkschaften vereinbart.
Der Schritt wurde aber nicht umgesetzt, weil Pedro Sánchez bis im Januar keine Regierung zustande bekam und 2019 zwei Mal wählen lassen musste. Sollte die Wirtschaft 2020 sogar um 2,5% wachsen, dann könnte die Steigerung sogar auf 3% anwachsen.
Überrascht zeigten sich Beobachter, dass das Ergebnis schnell in der ersten Verhandlungsrunde zwischen Regierung, Unternehmerverbänden und Gewerkschaften ausgehandelt wurde. Es ist der erste Erfolg der Linksregierung, die sich erst kürzlich bilden konnte. Erstaunlich ist das schnelle Einlenken der Unternehmer. Die hatten bei der letzten Anhebung zum Jahreswechsel 2018/2019 auf 900 Euro von einem "Job-Suizid" gesprochen und den Verlust vieler Stellen an die Wand gemalt.
Einlenken, um Arbeitskämpfe verhindern
Dass das reine Propaganda war, hat sich nicht nur im Laufe des vergangenen Jahres gezeigt, sondern die schnelle Zustimmung auf die Anhebung auf 950 Euro beweist das auch. Die Unternehmer lenkten ein, um Arbeitskämpfe und eine deutlichere Erhöhung durch die Linksregierung zu verhindern. Die Linkskoalition Unidas Podemos (Gemeinsam können wir es/UP) wollte sofort eine Erhöhung auf 1.000 Euro, die sie schon für 2019 gefordert hatte.
Das Ziel bleibt, den Mindestlohn in der Legislaturperiode auf die Armutsgrenze zu heben, die bei 60% des Durchschnittslohns liegt. Das wären knapp 1.200 Euro. Denn mit 950 Euro kann man bestenfalls in armen Regionen überleben. In einigen Metropolen reicht dieser Lohn gerade, um die Miete bezahlen zu können.
Teilzeitstellen und befristete Verträge
Nach dieser ersten Einigung stehen aber zwei große Problemfelder an. Da sind zwei Arbeitsmarktreformen, die den Kündigungsschutz praktisch beseitigt und die Arbeitsbedingungen haben sich enorm verschlechtert. Reformieren wollen die Sozialdemokraten (PSOE) aber nur die extrem aggressive Reform der rechten Vorgänger. Die soll, anders als versprochen, auch nicht komplett geschleift werden. Von der PSOE-Reform im Jahr 2011, die UP ebenfalls beseitigen wollte, spricht derweil praktisch niemand mehr.
Beide Reformen hatten für unzählige ungewollte Teilzeitstellen gesorgt, das sind schon etwa ein Drittel aller Stellen. Dazu kommt, dass 90% aller Verträge derzeit nur noch befristet geschlossen werden. In Spanien sind das schon 22% aller Verträge. Die Quote der befristeten Beschäftigung ist damit nun schon doppelt so hoch wie im europäischen Durchschnitt!
Fast ein Drittel dieser sehr prekären Arbeitsverhältnisse hat sogar nur eine Laufzeit von weniger als einer Woche. Diese Zahl hat sich seit Beginn der Krise 2008 praktisch verdoppelt, obwohl die beiden Arbeitsmarktreformen offiziell für mehr unbefristete Beschäftigung sorgen sollten.
Rentner gehen auf die Barrikaden
Dazu gehen aber auch die Rentner weiter auf die Barrikaden und fordern deutlichere Rentenanhebungen. Sie wurden zuletzt um die Inflationsrate um 0,9% erhöht, sie waren aber viele Jahre eingefroren. In Spanien gibt es, ausgehend vom Baskenland, eine massive Mobilisierung um eine Mindestrente von 1.080 Euro durchzusetzen. Am 30. Januar gibt es im Baskenland einen Generalstreik, um die Forderungen der Rentner aus den Betrieben zu unterstützen.
Das Problem der neuen Regierung ist, dass die rechten Vorgänger mit der Austeritätspolitik die Rentenkassen geplündert haben, die die Sozialversicherung an den Rand der Pleite geführt hat. Die Anhebungen von Löhnen, Gehältern und Pensionen sollen - nach Vorbild von Portugals Linksregierung - nun die Kaufkraft erhöhen und die schwächelnde Wirtschaft ankurbeln. Darüber soll wieder zusätzliches Geld in die Kassen der Sozialsysteme und in die der Finanzämter gespült werden.
Portugals Ausstieg aus der Austeritätspolitik
Ob das gelingt, bleibt abzuwarten, da die Voraussetzungen (auch in der Weltwirtschaft) insgesamt schlechter sind als in Portugal vor fünf Jahren. Zudem ist Spanien noch immer nicht von der hohen Arbeitslosenquote herunter, die mit 14,1% noch immer fast doppelt so hoch ist wie im EU-Durchschnitt (7,5%). Portugal hat es mit dem Ausstieg aus dem Austeritätskurs geschafft, sie auf 6,7% zu senken.
Während Spanien mit Brüssel (wieder einmal) die Lockerung der Defizitziele verhandeln will, erwartet Portugal nach bisherigen Primärüberschüssen (ohne Zinszahlungen) nun für 2020 von einem realen Haushaltsüberschuss. Das wäre der erste Überschuss in 45 Jahren. Das Land geht davon aus, dass das Defizit 2019 bei 0,1% lag und 2020 ein Überschuss von 0,2% erwirtschaftet wird.