Beim Multitasking ist Fernsehen gegenüber dem Surfen der Verlierer

Multitasking-Forschung und der Verdrängungswettbewerb der Medien

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In der Medien-, Informations- oder Wissensgesellschaft ist die Aufmerksamkeit zu einem knappen Gut geworden, um das wegen seiner geringen Bandbreite heftig gekämpft wird. Das war zwar immer schon so, seit es die menschliche Kultur gegeben hat, aber seit dem Eintritt in die künstliche Welt der Städte und dann vor allem in die der Medien leben die Menschen in einer Umwelt, die weitgehend direkt auf die Aufmerksamkeit ausgerichtet ist, wenn nicht gleich reale oder virtuelle Räume zur Aufmerksamkeitskonzentration wie Kirchen, Kinos, Stadien, Theater oder VR-Systeme geschaffen werden.

Während die unterschiedlichsten und multimodalen Signale um die Aufmerksamkeit der Menschen konkurrieren, müssen diese natürlich auf die Anforderungen durch Umstellung, Training und Abschottungen der Aufmerksamkeit reagieren. Das wird meist als Verfallsgeschichte erzählt, als Verlust der Konzentrationsfähigkeit oder als Sucht nach Zerstreuung. Bis zur Ankunft der elektronischen Medien, die rund um die Uhr zur Verfügung stehen, thematisierte man dies noch eher im Bereich der Kulturkritik, aber auch bei der Gestaltung von technischen Informations- und Unterhaltungssystemen wie dem Bedienen von Radarsystemen oder dem Bau von Kinos sowie der Ästhetik von Filmen.

Bild: Ray eye. Lizenz: CC-BY-3.0

Jetzt wird es zunehmen interessant für den Verdrängungswettbewerb der Medien, ob und wie die Menschen gleichzeitig mehrere Medien und deren Informationsströme beobachten und vielleicht sogar bedienen können, ob sie also zum Multitasking geeignet sind. Wenn Multitasking stattfindet, dann gehen Wissenschaftler mitunter davon aus, dass Menschen mehr Informationen in weniger Zeit konsumieren oder verarbeiten können.

Wissenschaftler sind durchaus unterschiedlicher Meinung, ob und in welchem Ausmaß bzw. mit welchen Folgen Multitasking möglich ist. Am bekanntesten sind die Versuche über Multitasking im Straßenverkehr. Zwar gebe es Menschen, die gut im Multitasking sind, bei der Mehrzahl scheint aber etwa die Konzentration beim Autofahren zu sinken, wenn gleichzeitig telefoniert wird. Zudem wird jüngeren Menschen eine höhere Multitasking-Kapazität als älteren zugeschrieben.

In einer neuen Studie von Wissenschaftlern der Carroll School of Management des Boston College, die in der Zeitschrift Cyberpsychology, Behavior, and Social Networking erschienen ist, sollten die 42 Versuchspersonen im Alter zwischen 18 und 65 Jahren während einer halben Stunde ihre Aufmerksamkeit gleichzeitig Fernsehsendungen, die sie mit der Fernbedienung auswählen konnten, und dem Surfen auf dem Computer zu widmen, was viele Menschen angeblich täglich machen würden. Bei unter 30-Jährigen Amerikanern sollen angeblich bereits 30 Prozent gleichzeitig fernsehen und im Internet surfen oder kommunizieren. Jedenfalls soll überall eine Zunahme an Multitasking zu beobachten sein, vor allem eben bei Fernsehkonsum und Internetnutzung, wozu auch Notebooks und jetzt Smartphones beitragen. Den Wissenschaftlern, die aus dem Marketingbereich kommen, geht es dabei auch um die Frage, wie effektiv Werbung in den Medien beim Multitasking sein kann. Daran sieht man auch, um was es beim Multitasking in der Medienwelt wirklich geht.

Um zu beobachten, wohin die Versuchspersonen schauen, also ihre Aufmerksamkeit richten, wurden ihre Augenbewegungen mit Kameras verfolgt. Allerdings ist die Annahme, dass die Aufmerksamkeit stets direkt an die Augenrichtung gekoppelt ist, fraglich, da Aufmerksamkeit nicht nur visuell ist und bewusste Aufmerksamkeit Informationsströme verknüpfen kann, auch wenn die Augen schnell zwischen unterschiedlichen Informationsströmen hin und her hüpfen. Allerdings kann bei sehr kurzen Blicken kaum eine eingehendere Wahrnehmung erfolgen, sondern vermutlich nur eine Orientierung und eine Identifizierung etwa von Personen und Handlungen.

Surfen fesselt die Aufmerksamkeit stärker als Fernsehen

Bei dem Versuch stellte sich heraus, dass die visuelle Aufmerksamkeit deutlich stärker dem Computerbildschirm zugewandt war, obgleich die Inhalte nicht als wesentlich interessanter oder ansprechender eingeschätzt wurden. Fast 70 Prozent der Zeit richteten die Versuchspersonen ihre Blicke auf den Computerbildschirm. Sie besuchten durchschnittlich 29 Websites, wählten aber nur fünfmal ein anderes Fernsehprogramm. Fernsehen scheint also eher zu einem Hintergrundmedium zu werden.

Das zeigte sich auch an der Länge der Blicke. Während die Menschen nur kurz auf den Fernsehschirm schauten, wurde deutlich länger auf den Computerbildschirm geblickt. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass man beim Fernsehen passiv konsumiert und nur zwischen vorgefertigten Bildsequenzen zappt, während beim Surfen aktiv ausgewählt und weitere Schritte verfolgt werden, wozu auch genauer geschaut werden muss. Interessant ist, dass die Blicke sehr schnell zwischen den beiden Medien wechselten - durchschnittlich alle 14 Sekunden. Die Jüngeren wechseln öfter den Blick, der auch kürzer ausfällt, als dies bei den Älteren der Fall ist.

Schnelle Blickwechsel dominieren

Dabei unterschätzen die Menschen in der Regel deutlich die Häufigkeit ihres Blickwechsels. So gaben die Versuchspersonen an, dass sie durchschnittlich in der halben Stunde den Blick 15 Mal zwischen Fernseh- und Computerbildschirm hin und her gerichtet hatten, während es in Wirklichkeit zehnmal mehr waren. Das legt nahe, dass der Versuch, Multitasking zu leisten, im Wesentlichen unbewusst geschieht und mit schnellen Blickwechseln einhergeht. Oft waren die Versuchspersonen beispielsweise er Meinung, sie hätten ausschließlich den Computer- oder den Fernsehbildschirm beobachtet, während ihre Augen nach der Auswertung der Aufnahmen schnell wechselten.

Aber auch wenn der Computerbildschirm im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit dominiert, sind die Blicke bei beiden Medien eher kurz. Beim Fernsehen sind 78 Prozent der Blicke unter 5 Sekunden, beim Computer 49 Prozent. Sehr selten ist ein Blick, der über eine Minute auf ein Medium gerichtet ist, 7,5 Prozent beim Computer und gerade einmal 2,9 Prozent beim Fernsehen.

Würde man Smartphones in die Untersuchung einbeziehen, würde die Analyse sicherlich noch einmal anders aussehen, räumen die Wissenschaftler ein. Zudem wurde nur die visuelle Aufmerksamkeit auf der Grundlage der Blickrichtung analysiert, in Wirklichkeit ist das Multitasking sehr viel stärker, schließlich muss gleichzeitig auch auditive Information verarbeitet werden und ist man oft auch nicht alleine oder macht nebenbei noch anderes, beispielsweise trinkt oder isst etwas. Die Regeln, die man für eine Kultur der Monomedien entwickelt hat, so sagen die Wissenschaftler, gelten heutzutage nicht mehr. Aber, so muss man auch sagen, die Erforschung der Aufmerksamkeit auf nur ein Medium war auch schon immer wirklichkeitsfremd. Schließlich sind Menschen normalerweise Multitasker, weswegen sie auch Höhlen, Tempel, Kirchen, Theater oder Kinos brauchen, um nicht abgelenkt zu werden, wobei die Darbietungen aber zudem die Aufmerksamkeit fesseln müssen.