Bekommen die USA Julian Assange doch noch in ihre Hände?
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Richter erweitert Berufungsantrag der USA für mögliche Auslieferung. US-Vertreterin versucht Gutachter zu diskreditieren, Assange schildert permanente Bedrohungslage
Nach einer juristischen Niederlage vor dem Londoner High Court ist der seit zwei Jahren in Großbritannien inhaftierte Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks, Julian Assange, wieder unmittelbarer von einer Auslieferung in die USA bedroht. Dort sähe der Australier einer Haftstrafe von bis zu 175 Jahren entgegen.
Die US-Staatsanwaltschaft wirft dem 50-jährigen Journalisten Spionagedelikte vor. Dieser Vorwurf könnte auch gegen Medien erhoben werden, die mit Wikileaks zusammenarbeiteten, darunter die US-Tageszeitung New York Times und das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel.
Der Richter am High Court, Timothy Holroyde, ließ nach der Anhörung am Mittwoch zu, dass der Antrag der US-Vertreter bei einer Berufungsverhandlung im Oktober von drei auf fünf Punkte ausgeweitet wird.
Am 27. und 28. Oktober wird es darum gehen, ob Julian Assage nach sieben Jahren Asyl in der Botschaft von Ecuador in London und zwei folgenden Jahren im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh doch noch an die USA ausgeliefert werden kann.
Im Januar hatte eine Richterin in London dieses Verfahren auf Basis eines Gutachtens gestoppt, das Assange im Falle einer Auslieferung an die USA eine Suizidgefährdung attestierte. Angesichts dieser Perspektive und möglicher inhumaner Haftbedingungen in den USA dürfe der Journalist nicht abgeschoben werden, befand die Richterin.
Dagegen hat nun die US-Vertreterin Clair Dobbin erfolgreich Widerspruch einlegen können. Die Diagnose einer stressinduzierten psychischen Erkrankung Assanges müsse erneut überprüft werden, so Dobbin, die technisch argumentierte: Der psychologische Gutachter Michael Kopelman habe in seiner Einschätzung "verschwiegen", dass Assange eine Beziehung mit der Juristin Stella Moris unterhalte und mit ihr im Botschaftsasyl zwei Kinder gezeugt hat.
Damit habe Kopelman gegen seine schriftliche Zusicherung verstoßen, als Gutachter alle ihm zur Verfügung stehenden Informationen wiederzugeben, so die US-Vertreterin. Wie Telepolis aus dem Kreis der Teilnehmer und Beobachter erfuhr, stellte Dobbin aber auch die medizinisch-fachliche Qualifikation des Gutachters infrage. "Wer eine Beziehung in einer Botschaft hat und zwei Kinder zeugt, könne nicht psychisch labil sein", gab eine Prozessbeobachterin die Juristin gegenüber Telepolis wieder.
USA greifen Gutachter persönlich und fachlich an
Bei der Berufungsverhandlung im Oktober wird die US-Seite neben drei bisher zugelassenen Themen damit auch die Unabhängigkeit des Gutachters Kopelman und seine Expertise infrage stellen können.
Dobbin forderte am Mittwoch bereits, ein entgegengesetztes Gutachten stärker zu berücksichtigen, dass bei Assange eine uneingeschränkte Zurechnungs- und Prozessfähigkeit sieht.
Der Enthüllungsplattform Wikileaks und Assange wird von den USA vor allem zur Last gelegt, in den Jahren 2010 und 2011 hunderttausende geheime US-Regierungsdokumente veröffentlicht zu haben. Das Material behandelte vor allem die US-Kriege in Afghanistan sowie im Irak und machte eine Reihe von Kriegsverbrechen öffentlich.
Die Dokumente zum Irak-Krieg waren Wikileaks nach Ansicht der US-Justiz von der früheren US-Soldatin Chelsea Manning zugespielt worden. Damit wurde bekannt, in welchem Ausmaß die US-Truppen im Irak gefoltert und gemordet haben.
Angesichts des Prozesses und der Haftbedingungen in Großbritannien war in den vergangenen Jahren auch die passive Rolle der Bundesregierung in die Kritik geraten. So warf der UN-Sonderberichterstatter zum Thema Folter, Nils Melzer, der Bundesregierung vor, öffentliche Informationen über Misshandlungen des Journalisten zu ignorieren:
Dass Assange ohne Rechtsgrundlage seit Monaten in Isolationshaft gehalten und seiner Menschenwürde und Verteidigungsrechte beraubt wurde, ließ bei den deutschen Menschenrechtsbürokraten offenbar keine Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit des britischen Verfahrens aufkommen. Stattdessen bedachten sie meine Einwände mit den gleichen leeren Blicken wie die Regierungssprecher, welche an der wöchentlichen Bundespressekonferenz jeweils jede Anfrage zum Fall Assange mit steinernen Gesichtern und gequälten Worthülsen abwimmeln - eine veritable Realityshow zum Thema Wirklichkeitsverdrängung.
Nils Melzer
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