Berlin und Warschau auf Kollisionskurs

Seite 3: Reparationsfrage - die Argumente

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Die Frage der deutschen Reparationen für den Vernichtungsfeldzug im Osten wurde somit zu einer Zeit von der PiS aufgeworfen, in der die Spannenungen zwischen Warschau, Berlin und Brüssel wegen der Justizreform rasch zunehmen: Mitglieder der polnischen Rechtsregierung haben Anfang August diese Initiative angekündigt. Am 2. August erklärte Arkadiusz Mularczyk, Abgeordneter der Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit), den wissenschaftliche Dienst des polnischen Parlaments, des Sejm, mit der Anfertigung eines entsprechenden Gutachtens beauftragt zu haben. Man müsse den Deutschen "eine Rechnung" ausstellen für den Zweiten Weltkrieg, erklärte der PiS-Politiker gegenüber dem polnischen Radio.

Hierbei handelte es sich nicht um eine isolierte Initiative. Die Gazeta Wyborcza berichtete am 6. August, dass die graue Eminenz der polnischen Rechtsregierung, der im Hintergrund agierende Parteichef Kaczynksi, diesen Vorstoß angeregt habe.

Auch der polnische Verteidigungsminister Antoni Macierewicz bekräftigte die Forderungen nach Reparationen in einem Interview mit dem Fernsehsender TVP-Info. Es sei "nicht wahr, dass Polen auf Entschädigungszahlungen verzichtet" habe, die dem Land aus Deutschland weiterhin zustünden, so Macierewicz: "Ohne jede Diskussion sind die Deutschen den Polen Kriegsreparationen schuldig."

Macierewicz bezog sich in seinen Ausführungen auf die übliche Argumentationslinie, mit der man solchen polnischen Forderungen bislang in Berlin begegnete. Auch diesmal erklärte die stellvertretende Berliner Regierungssprecherin Ulrike Demmer umgehend, dass Deutschland selbstverständlich zu seiner historischen Verantwortung politisch, moralisch und finanziell stehe, dass aber Polen bereits 1953 auf jegliche weiteren Reparationszahlungen verzichtet habe. Polen wollte damals "einen weiteren Beitrag zur Lösung der deutschen Frage im Geiste der Demokratie und des Friedens" leisten, zitierte Demmer aus dem Vertragswerk, womit die Reparationsfrage rechtlich und politisch abschließend geregelt sei.

Den deutschen Standpunkt in der Reparationsfrage legte die Zeitung Die Welt umfassend dar: Niemand, der in Deutschland noch "klaren Verstandes" sei, würde die Verbrechen bestreiten, die "Hitler-Deutschland" in Polen beging, doch würde dies keinen Anspruch auf Reparationen nach sich ziehen. Demnach wurde bereits im Potsdamer Abkommen zwischen den Alliierten festgelegt, dass Polen seine Reparationsansprüche aus dem Anteil der sowjetischen Reparationen befriedigen werde. Die DDR habe folglich anfänglich Reparationen an Polen geleistet.

Neben dem Verzicht Warschaus auf Entschädigungszahlungen im Rahmen des deutsch-sowjetischen Vertrags von 1953 führte Die Welt noch den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag von 1991 auf, in dem sich beide Seiten auf eine "Regelung noch offener Entschädigungsfragen" verständigten. Dieses sei im Rahmen der mit 500 Millionen Mark ausgetesteten Stiftung "Polnisch-Deutsche Aussöhnung", sowie weiterer Zahlungen um Umfang von zwei Milliarden Mark an polnische Zwangsarbeiter geleistet worden.

Die polnische Seite argumentiert wiederum, dass es sich bei der Volksrepublik Polen nicht um ein souveränes Land, sondern um einen Satellitenstaat der Sowjetunion gehandelt habe, der bei dem Verzicht auf Entschädigungsansprüche 1953 von Moskau unter Druck gesetzt worden sei. Zudem sei der Adressat des polnischen Reparationsverzichts von 1953, der einen Tag nach dem Verzicht der UdSSR publik gemacht wurde, nicht Gesamtdeutschland, sondern nur die DDR gewesen.

Schließlich stünden die bislang geleisteten deutschen Zahlungen in keinem Verhältnis zu den Schäden und Verlusten, die Polen im Zweiten Weltkrieg durch Deutschland erlitten habe. Allein für die Zerstörung Warschaus bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes wäre eine Summe von rund 45,3 Milliarden US-Dollar fällig, wie es der damalige Warschauer Bürgermeister Lech Kaczynski im Jahr 2004 ausrechnen ließ. Die Gesamtschäden sind damals auf rund 640 Milliarden US-Dollar in den Wechselkursen von 2004 berechnet worden, meldeten US-Medien.