Berlin und Warschau auf Kollisionskurs

Seite 4: Geschichte der Reparationsfrage

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Zuletzt belasteten Reparationsansprüche das deutsch-polnische Verhältnis 2004, als revanchistische deutsche Gruppen Entschädigungszahlungen von Polen forderten. Eine "Preußische Treuhand" aus dem Umfeld der deutschen "Vertriebenenverbände" hatte ein Beschwerdeverfahren gegen die Republik Polen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angestrengt. Hierdurch sollte Druck auf Warschau ausgeübt werden, Entschädigungen für deutsche Staatsbürger zu leisten, die gegen Ende des Zweiten Weltkrieges enteignet und umgesiedelt wurden.

Die Deutschen hätten durch diese Forderungen "eine Lawine losgetreten", warnte der ehemalige Außenminister Wladyslaw Bartoszewski schon damals. Der Sejm forderte daraufhin die damalige polnische Regierung in einer Resolution auf, ihrerseits die Entschädigungsfrage auf die politische Tagesordnung zu heben. Dies wurde aber von der damaligen sozialdemokratischen Regierung abgelehnt.

Erst 2006, nachdem die PiS in Folge der Wahlen von 2005 ihre erste Koalitionsregierung bilden konnte, wurde die Reparationsfrage von dem damaligen Premierminister Jaroslaw Kaczynski abermals thematisiert. Damals forderte Kaczynski - ganz unter Eindruck der Forderungen der Preußischen Treuhand - von Merkel eine bilaterale Vereinbarung, die es deutschen Staatsbürgern künftig unmöglich machen würde, Entschädigungen für Enteignungen im Zuge der Umsiedlungen gegen Kriegsende anzustrengen.

Im Gegenzug für einen solchen Vertrag war der damalige polnische Premier bereit, alle polnischen Anstrengungen vertraglich zu blockieren, von Deutschland Reparationen für die während des Zweiten Weltkrieges erlittenen Schäden zu erhalten. Merkel lehnte das Ansinnen Kaczynskis damals ab, da dies "die Dinge nur weiter komplizieren würde", wie es der Spiegel im Oktober 2006 formulierte.

Die eigentliche Ursache dieser aktuellen Auseinandersetzungen lässt sich aber in einem historischen entschädigungspolitischen Sieg der deutschen Diplomatie verorten. Deutschland hat es in den Nachkriegsjahrzehnten vermocht, die Frage der Entschädigungen für den Vernichtungskrieg, den es in Europa führte, konsequent abzuwehren, wie die Deutsche Welle ausführte: "Ein regulärer Vertrag über deutsche Reparationszahlungen wurde nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch nie geschlossen."

In dem Londoner Schuldenabkommen von 1953, in dem der Bundesrepublik ein großzügiger Schuldenschnitt gewährt wurde, wurden alle "erdenklichen Ansprüche aus der Kriegszeit auf einen späteren Friedensvertrag vertagt", was aufgrund des tobenden Kalten Kriegs bedeutete, die Frage der Reparationen zu den Akten zu legen.

Nach dem Ende des Kalten Kriegs, als die Frage der Wiedervereinigung aktuell wurde, galt es für die deutsche Außenpolitik, diese ohne einen formellen Friedensvertrag zu realisieren. Die Abwehr finanzieller Wiedergutmachung für den deutschen Vernichtungskrieg, die über rein symbolische Gesten hinausgehen würde, avancierte zu einer Maxime der deutschen Politik in dieser Umbruchszeit, erläuterte die Deutsche Welle:

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs gibt es zunächst keinen Friedensvertrag, in dem Reparationsleistungen geregelt werden können. Deutschland ist geteilt und unter alliierter Verwaltung. Als 1989 die deutsche Wiedervereinigung Wirklichkeit wird, versuchte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl, zu verhindern, dass die Reparationsfrage aufgeworfen wird. Kohl fürchtet Reparationsforderungen aller 62 Staaten, die mit Deutschland einst im Kriegszustand waren. Im "Zwei-plus-Vier-Vertrag" genanntem Abkommen, das die Einheit und Souveränität Deutschlands herstellt, setzt er sich durch: Reparationen werden darin nicht erwähnt. Um möglichen Reparationsforderungen einzelner Staaten nicht nachkommen zu müssen, wird die Sprachregelung "Anstatt eines Friedensvertrags" getroffen.

Deutsche Welle

Durch einen rechtlich-formalistischen Taschenspielertrick wurde die Reparationsfrage, wie sie etwa auch von Griechenland immer wieder aufgeworfen wird, zu den Akten gelegt. An die Stelle einer finanziellen Wiedergutmachung, die in irgendeinem angemessenen Verhältnis zu den von Nazideutschland angerichteten Verwüstungen stünde, rückten buchstäblich billige Beileidsbekundungen deutscher Staatsoberhäupter in den von der Wehrmacht heimgesuchten Ländern.