Berliner Polizei fahndet nach Kreuzberger Steinewerfern im Netz
Gleichzeitig wird die Kritik am Polizeieinsatz zum 1. Mai immer größer
Am gestrigen Freitag hat die Kriminalpolizei Berlin eine Reihe von Fotos von vermutlichen Randalierern ins Web gestellt, die während der Krawalle in Kreuzberg am Abend des 1. Mai Steine gegen Polizisten geworfen haben sollen. Die Bilder stammen aus Videoaufnahmen der Berliner Polizei (Vorsicht: verschachtelte Frames!) und zeigen nach Angaben eines Sprechers "Straftäter, die schwerste Verletzungen in Kauf genommen haben".
Die abgebildeten Personen stehen im Verdacht, am 1.Mai zwischen 18.00 und 20.00 Uhr am Mariannenplatz in Kreuzberg – dem Zentrum der Ausschreitungen – Steine geworfen und somit Landfriedensbruch begangen zu haben, teilte die Polizei mit. Sie konnten bisher nicht namhaft gemacht werden, sodass die Kriminalpolizei die Bevölkerung nun um Mithilfe bei der Identifizierung der Gefilmten bittet.
Interessanterweise hat die Polizei die Fotos nicht auf ihre normale Fahndungsseite gestellt, wo momentan drei Schwerverbrecher zu betrachten sind. Die Steinewerfer werden vielmehr über eine Pressemitteilung "geoutet". Sie sind auf den Bildern ohne Masken, dafür größtenteils in voller Aktion direkt beim Verschleudern ihrer "Geschosse" zu erkennen. Auf eine Reihe weiterer Fotos "in hoher Auflösung", die sich mit 300 dpi auch bestens zum Ausdrucken und Mitnehmen der Exponate eignet, weist ein Link am Ende der Pressemeldung.
Die Umwandlung des Webs in einen öffentlichen Pranger ist nicht unumstritten. In den USA ist es seit längerem üblich, dass Sheriffs ihre "Wanted-Listen" im Netz veröffentlichen. Auch in Deutschland hat sich diese Fahndungsmethode inzwischen verbreitet. Bisher beschränkte sich die Suche aber auf Schwerstverbrecher, denen beispielsweise Mord oder Vergewaltigung vorgeworfen wird. Dass Fotos randalierender Demonstranten im Netz verbreitet werden, ist neu. Die Berliner Polizei verweist allerdings auf einen richterlichen Beschluss, der die Veröffentlichung der Bilder "von Landfriedensbrechern" nach ersten Auswertungen der Videodokumentation ermögliche.
Nach den Steinen hagelt es Kritik
Während die Berliner Polizei sich die moderne Video- und Kommunikationstechnik für die Strafverfolgung zunutze macht, wird die Kritik an dem Einsatz am 1. Mai und der im Vorfeld lautstark verkündeten "Null-Toleranz"-Strategie des Berliner Innensenators Eckart Werthebach (CDU) immer lauter. Die SFB-Abendschau berichtete am Mittwoch über eine mögliche schwere Panne im Verlauf des Einsatzes. Demnach seien gewaltbereite Demonstranten nach einer PDS-Kundgebung in der Oranienstraße per Lautsprecherdurchsagen aufgefordert worden, sich in Richtung Mariannenplatz zu entfernen. Dort fand allerdings gleichzeitig ein friedliches Straßenfest mit Familien und Kindern statt. Das wurde abrupt beendet, als sich auf dem Platz die Randalierer und Autonomen sammelten und sich mit den dort herumliegenden Plastersteinen bewaffneten.
Die seltsame Polizeitaktik kann sich Werthebach "nicht erklären". Gernot Piestert, Chef der Berliner Schutzpolizei, sprach von einer "törichten" Angelegenheit und konnte die Lautsprecherdurchsagen nicht dementieren. SPD-Landeschef Peter Strieder hat dem Innensenator zudem vorgeworfen, die Krawalle herbeigeredet zu haben. Werthebach wollte die traditionellen Ausschreitungen mit Demonstrationsverboten verhindern und hatte ganze Stadtbezirke dem Versammlungsverbot unterstellt. 9000 Polizisten aus dem ganzen Bundesgebiet wurden eingesetzt - so viele wie noch nie. Die schwersten Krawalle der vergangenen zehn Jahre, von denen Beobachter sprechen, konnte das Aufgebot allerdings nicht verhindern.
Nun soll untersucht werden, ob es sie nicht sogar erst verursacht hat. Einem Bericht der Berliner Zeitung zufolge will unter anderem der FU-Professor Wolf Dieter Narr die Staatsgewalt verklagen. Der Demonstrationsbeobachter für das Kölner Komitee für Grundrechte und Demokratie war einer der 616 Bürger, die von der Polizei am 1. Mai festgenommen worden waren. Die Polizei kerkerte den 64-Jährigen ohne Begründung im Landeskriminalamt ein, als er einem Jungen zu Hilfe kommen wollte, der von Polizisten am Hals über die Oranienstraße geschleift wurde. Seine Brille und sein Hörgerät gingen bei der Verhaftung zu Bruch.
Mit dem 1. Mai wird sich auch der Bundestag im Innenausschuss beschäftigten. Dabei soll nach Meinung des innenpolitischen Sprechers der SPD Dieter Wiefelspütz überlegt werden, wie die "ritualisierten Gewaltexzesse" in den kommenden Jahren tatsächlich verhindert werden können.