Bernie Sanders: Vorwärts zum Sozialismus?
Seite 2: Gegen "Sozialismus für Reiche"
- Bernie Sanders: Vorwärts zum Sozialismus?
- Gegen "Sozialismus für Reiche"
- Auf einer Seite lesen
Den inflationären Gebrauch des Begriffs Sozialismus durch die US-Rechte, die inzwischen jegliche Sozialpolitik mit diesem Schimpfwort belegt, stellte Sanders den Kampf gegen den Sozialismus für Reiche gegenüber. Donald Trump und "seine Oligarchen" würden Sozialismus nur dann bekämpfen, wenn er der lohnabhängigen Bevölkerung zugutekäme, so Sanders. Tatsächlich liebten die Reichen und die Konzerne den "Sozialismus", solange er ihnen "jährlich Hunderte von Millionen Dollar" an staatlichen Subventionen einbringe, während zugleich "dieselben Leute versuchen, Sozialprogramme zu beschneiden, die einfachen Amerikanern helfen".
Der demokratische Sozialist erinnerte in diesem Zusammenhang an ein Zitat von Dr. Martin Luther King, Jr.: "Dieses Land ist Sozialismus für die Reichen, und rauer Individualismus für die Armen." Donald Trump glaube "an den Sozialismus für Reiche und für Konzerne", während er, Sanders, an den Demokratischen Sozialismus glaube, der den Lohnabhängigen zugutekomme.
Schließlich verknüpfte Sanders den Begriff der Freiheit mit den ökonomischen Rechten, die der Demokratische Sozialismus realisieren solle. Solange die zunehmenden ökonomischen Sachzwänge einem Großteil der amerikanischen Bevölkerung immer stärker die Luft zum Leben abschnürten, könne keine Rede von wahrer Freiheit sein. Sanders nannte in diesem Zusammenhang überteuerte medizinische Behandlungen oder Medikamente, Wochenarbeitszeiten von "60 bis 80 Stunden", die zusammenbrechende Altersversorgung, die grassierende Obdachlosigkeit und die absurd hohen Kosten der Ausbildung von Kindern und Jugendlichen.
Während die Bill of Rights uns vor der Tyrannei einer gewalttätigen Regierung schützt, würden viele im Establishment es gerne sehen, wenn Amerikaner sich der Tyrannei von Oligarchen, Konzernen, Milliardären und der Wall-Street-Banken beugten. Es ist Zeit für die Menschen Amerikas aufzustehen und für ihr Recht auf Freiheit, Würde und Sicherheit zu kämpfen. Dies ist der Kern meiner Politik.
Bernie Sanders
Die Rede traf in der veröffentlichten Meinung der Vereinigten Staaten, die geprägt ist durch große Medienkonzerne, auf ein überwiegend negatives Echo. Die Nachrichtenagentur des Oligarchen Michael Bloomberg titelte, Sanders verkaufte in seiner Rede eine "sozialistische Fantasie". Die New York Times bezeichnete, hier etwas subtiler agierend, die Ausführungen des demokratischen Sozialisten als "Ideologie".
CNN meldete, dass die Argumentation des demokratischen Sozialisten auch die "gemäßigten Demokraten beunruhigen" würde. Liberale demokratische Politiker und Präsidentschaftsanwärter wären dazu übergegangen, Sanders deutlicher anzugreifen. CNN nannte in diesem Zusammenhang den ehemaligen Gouverneur von Colorado, John Hickenlooper, der davor warnte, das Wort Sozialismus zu benutzen, da es "die effektivste Attacke der Republikaner" gegen Demokraten sei. Ähnlich abwehrend reagierte Elizabeth Warren, eine weitere, von den Massenmedien hochgeschätzte linksliberale Anwärterin auf die Nominierung zur demokratischen Präsidentschaftskandidatin.
Warren hat sich bei der manipulierten demokratischen Vorwahl 2016 für Hillary Clinton, für die Kandidatin des Parteiestablishments, ausgesprochen - und gegen Sanders. Erst ein Jahr später räumte sie ein, dass diese Vorwahl manipuliert war. Derzeit führt bei den Umfragen, gegen die bereits Manipulationsvorwürfe laut wurden, der konservative Demokrat Joe Biden, gefolgt von Warren und Sanders.
Politikwechsel - nicht Systemwechsel
Was bei den ganzen Auseinandersetzungen um das Wörtchen "Sozialismus" gänzlich unberücksichtigt bleibt, ist die schlichte Tatsache, dass Sanders eine im Kern sozialdemokratische Politik betreiben will, die auf die gerechtere Verteilung gesellschaftlichen Reichtums und einen binnenkapitalistischen Modernisierungsschub qua Investitionsprogramm abzielt (Green New Deal). Höhere Steuern für Reiche, Sozialleistungen für Arme, Investitionen in die Infrastruktur - dies ist der politische Kern der im Gefolge der Krisenschübe der in den vergangenen Jahrzehnten untergegangenen Sozialdemokratie. Auch die SPD hat ja noch den Demokratischen Sozialismus in ihrem Parteiprogramm stehen, wie es etwa dem Juso-Vorsitzenden Kühnert jüngst auffiel.
Sanders plädiert somit für einen grundlegenden Politikwechsel, doch ist damit noch lange kein Systemwechsel intendiert. Dies ist nicht wenig angesichts des zerrütteten Zustandes der verarmten, zur autoritären Oligarchie verkommenen US-Gesellschaft - doch stellt sich hierbei die Frage, ob bloße Reformen angesichts der eskalierenden Klimakrise nicht zu kurz greifen.
Die fixe Idee, sozialdemokratische Reformpolitik - die bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts den politischen Mainstream bildete - als Sozialismus, als "Ideologie" (New York Times), zu bezeichnen, ist letztendlich nur ideologischer Ausfluss der beständigen Rechtsverschiebung des politischen Spektrums in der Ära des Neoliberalismus.