Berufsverbot für Klimaaktivistin: Zu links für Bayern?

Lisa Poettinger

Lisa Poettinger

(Bild: X)

Die Münchner Klimaaktivistin Lisa Pöttinger wird als Referendarin abgelehnt. Warum das an vergangene Zeiten erinnert. Eine Analyse.

Sie ist ein Novum und ein Phänomen der jungen linken Generation: Klimaaktivistin, Marxistin und Berufsverbotlerin. Die junge Demoanmelderin Lisa Poettinger verkörpert phänotypisch nicht das medial präsente, klassische Bild einer linken Krawalltouristin. Gewalt, Vermummung und Randale sind ihr fremd.

Die adrett gekleidete, zierliche junge Frau wirkt im Gespräch klar und aufgeräumt, drei Staatsexamina kann sie vorweisen. Und doch: Der CSU-geführte Freistaat Bayern sieht in ihr eine Gefahr – ihr Aktivismus, so berichtet die Süddeutsche Zeitung, sei mit der bayerischen Verfassung nicht vereinbar.

Die Ablehnung folgt auf dem Fuße: das Referendariat, die zweite Ausbildungsphase für Lehrer, kann Lisa nicht antreten. Auch wenn ihr Fall vor Gericht noch anhängig ist, unterliegt sie derzeit de facto einem Ausbildungsverbot. Das Ausbildungsverbot ist Teil einer Praxis, die aus der Vergangenheit bekannt ist.

In den Jahren der Systemkonkurrenz, der Konkurrenz zwischen der sozialistischen DDR und der kapitalistischen Bundesrepublik, wurden in dem dem Kapital verpflichteten Staat unliebsame Beamte aus dem Staatsdienst entfernt oder an der Einstellung gehindert. Eine weltweit einzigartige, repressive Rechtspraxis – kaum eine Sprache kennt eine deckungsgleiche Übersetzung für das Wort Berufsverbot.

Lisa Poettinger reiht sich ein in eine klangvolle Liste: Sylvia Gingold, DKP-Mitglieder und Asta-Angestellte, Kerem Schamberger und SDS-Aktive. Die Bildungsgewerkschaft GEW hat ausgerechnet, dass in Deutschland bald 110.000 Lehrer fehlen könnten – kann es sich der deutsche Staat leisten, Menschen wie Lisa auszusortieren? Und ist das in einem Rechtsstaat legal?

(K)eine Schwerverbrecherin

Schon früh begann die aus dem bayerischen Kleinod Murnau stammende Lisa Poettinger, sich politisch zu engagieren.

Noch 2016 wurde sie in einer Reportage des Merkur als lebhafte, hilfsbereite Musterschülerin porträtiert.

Schon während der Schulzeit engagiert sie sich sozial. Sie hilft Flüchtlingen, begeistert Kinder in Kochkursen und ist in der Bezirksschülervertretung aktiv. Nach dem erfolgreichen Abitur geht sie nach Kapstadt, als begeisterte Fußballerin will sie – mitten in einem Schulpraktikum – die erste Schulturnhalle bauen. Neben dem Studium arbeitet sie im Waldkindergarten.

Nach Kapstadt kommt der Klimawandel. Wie ein Orkan bricht er in ihr Leben ein und beschert ihr 2021 erstmals heftigen Gegenwind. Nach ihrem Einsatz für die Rettung von Mutter Natur klingelt der Staatsschutz. Gefährderansprache, Lisa zittern die Hände.

Sie kommt sich vor wie eine Schwerverbrecherin. Doch die Klimakrise und die Rettung von Menschenleben sind wichtiger als ihre Karriere. Die persönlichen Opfer lohnen sich.

Dass ihr Handeln Konsequenzen haben kann, sogar ihren Traum von der Professur zerstören kann, ist ihr ab 2021 bewusst. Ein Zivilpolizist spricht sie in ihrer damaligen Funktion als Pressesprecherin der Extinction Rebellion direkt auf ihren Wunsch an, Lehrerin zu werden. Eine unverhohlene Drohung eines Staatsschützers, wie sie im Interview mit dem ND berichtet.

Liebesbriefe von den Freien Wählern

Doch dabei bleibt es nicht: Poettinger wird vom Referendariat abgewiesen.

Die Begründung hat es in sich: Englisch, Schulpsychologie, Deutsch als Zweitsprache, Ethik als studierte Fächer reichen als Qualifikation nicht aus.

Bayerns Kultusministerium, ausgerechnet von einer Gefolgsfrau des mit Antisemitismus-Geruch behafteten Hubert Aiwanger, erklärt, dass die Mitgliedschaft der Aktivistin in "extremistischen Organisationen" nicht mit den Pflichten eines Beamten vereinbar sei.

Das bayerische Kultusministerium ergeht sich in einer kleinen Kanonade von Vorwürfen gegen die junge Nachwuchskraft. Sie benutze "kommunistische Begriffe", habe sich aktiv an Protesten gegen die Internationale Automobil-Ausstellung in München sowie gegen den Braunkohleabbau in Lützerath beteiligt, eine Großdemonstration gegen Rechts angemeldet und sei Mitglied und Sprecherin der, legalen (!), Gruppe "Offenes antikapitalistisches Klimatreffen München".

Das von den Freien Wählern geführte Kultusministerium sieht rot. Staatskanzleichef Florian Hermann (CSU) biegt auf einer Pressekonferenz das Hufeisen: Man wolle "weder Nazis noch Kommunisten an unseren Schulen".

Doch was wird Pöttinger vorgeworfen?

Zunächst einmal gilt ein eiserner Grundsatz: Das Verfahren läuft noch, es gilt die Unschuldsvermutung.

Nicht Poettinger ist in der Bringschuld, sondern die ermittelnde Staatsanwaltschaft. Für ein endgültiges Urteil muss der Ausgang der Verfahren abgewartet werden. Der Vorwurf: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Zerstörung von AfD-Wahlplakaten, wie der Merkur berichtet.

Doch der Ablehnungsbescheid der bayerischen Behörde greift tiefer.

Giftküche Wirtschaftslexikon

Das Gabler Wirtschaftslexikon gibt eine kurze Definition des Begriffs Gewinnmaximierung. Danach ist die Gewinnmaximierung das Ziel unternehmerischen Verhaltens.

Ersetzt man Gewinn durch Profit und schenkt dem bayerischen Kultusministerium Glauben, verbirgt sich hinter dem Onlinelexikon eine kommunistische Zelle.

Da Pöttinger in Bezug auf die Automobilmesse IAA von einem "Symbol der Gewinnmaximierung" sprach, analysiert die Behörde ihre Aussage als der kommunistischen Ideologie zuzuordnen, die mit dem geltenden Grundgesetz nicht in Einklang zu bringen sei.

Obwohl Pöttinger sich selbst als Marxistin betrachtet, sieht sie keine Anhaltspunkte für ein begründetes Berufsverbot.

Das Grundgesetz, dessen Verfechterin sie ist, schreibt die Wirtschaftsordnung nicht genau vor. Ihre Äußerungen bewegten sich daher im Rahmen des Möglichen. Wird die junge Frau ernsthaft wegen einer Allerweltsdefinition ihrer beruflichen Perspektive beraubt?

Zweifel sind angebracht: Poettinger ist der nächste Fall auf einer immer länger werdenden Liste von linke Oppositionellen. In München traf es zuvor den Geoinformatiker Benjamin Ruß und den Kommunikationswissenschaftler Kerem Schamberger.

Gemeinsam ist beiden, dass sie wegen ihres politischen Engagements und ihrer weltanschaulichen Haltung aus ihrer akademischen Karriere gedrängt wurden. In Duisburg traf es den palästinensischen Aktivisten Ahmad Othman, er verlor seinen Job in einer IT-Firma.

Sie alle eint: Aufstehen gegen Krieg, Kapitalismus und Umweltzerstörung.

Radikalenerlass 2.0?

Geschichte wiederholt sich: In den 1970/80er Jahren wurden Tausende aus dem Staatsdienst entlassen. Millionen wurden vom Verfassungsschutz überprüft.

Die Seite "Berufsverbote" dokumentiert akribisch eine Vielzahl erschütternder Biografien: Ehen und Menschen zerbrachen, es traf Briefträger und Schaffnerinnen, Lehrer und Verwaltungsangestellte. Was blieb: das Klima der Angst und die Ursachen des Radikalenerlasses.

Wenn Deutschland wieder nach Osten marschiert, wirbt die Bundeswehr im Klassenzimmer. Mögliche Nestbeschmutzer sollen aus dem Verkehr gezogen werden. Lisa Pöttinger als bewusste Lehrerin steht damit sinnbildlich für die desintegrative Funktion von Disziplinierung und Bestrafung.

Nur: Deutschland hat die Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ratifiziert, Existenzvernichtung aus politischen Gründen ist weltweit gesetzlich verboten. Ein gewerkschaftlicher Kampf, nicht nur, aber auch direkt um das Schicksal der jungen Münchnerin, ist die Folge.

Während in Hamburg die Regelanfrage wieder eingeführt werden soll, Brandenburg und Sachsen Bewerber auf ihre "Verfassungstreue" überprüfen, erklärt Ministerin Stolz: "Wer nicht mit beiden Beinen fest auf dem Boden unserer Verfassung steht, den lassen wir nicht in den staatlichen Schuldienst!".

Bleibt die Frage: wie konnten dann Hubert Aiwanger Minister und Björn Höcke Lehrer werden? Vielleicht, weil die beiden Herren eines eint: Sie sind bisher nicht durch Kritik an Kapitalismus, Krieg und Krise aufgefallen.