Beschleunigungsfalle: Wenn Städte dem Tempo nicht standhalten

Stadtplanung muss neu gedacht werden. Warum temporäre Nutzungen wichtig sind.

In seinem hellsichtigen, lange vor dem Internet – d.h. Ende der 1980er-Jahre – erschienenen Buch "Uhrwerk Universum" hat Jeremy Rifkin erzählt, wie die ersten Turmuhren nichts anderes waren als soziale Netzwerke.

Sie wurden in der Mitte des Stadtplatzes aufgestellt und ersetzten bald die Kirchenglocken als Treffpunkt und Bezugspunkt für die Koordination der komplexen Interaktionen des Stadtlebens.

Arbeitszeiten und Lebensgewohnheiten

Das war einmal. Die Einteilung des sozialen Lebens in präzise Raum-Zeit-Zonen ist brüchig geworden. Unter den Bedingungen der Globalisierung gewinnt der Wandel der Zeitstrukturen generell an Dynamik.

Deren Auswirkungen wiederum offenbaren sich zuerst – und wohl auch am stärksten – in den Städten: Und zwar nicht nur in der Ausdifferenzierung der Arbeitszeiten nach Dauer und Lage, in modifizierten Lebensgewohnheiten oder der Veränderung der Ladenöffnungszeiten.

Städte im Zeitraffer: Leben im Schnelldurchlauf

Hartmut Rosa bemüht unzählige Studien, die belegen, wie sehr sich Zeitwahrnehmung und Temporalstrukturen beschleunigen, wie Unruhe und Zeitnot wachsen, Vergangenheit verdämmert, Gegenwart schrumpft und Zukunft schwindet.

Konnten die Menschen der klassischen Moderne noch halbwegs das Gefühl haben, ihre Identität in einer gerichteten Zeit stabilisieren zu können, so geht heute die Balance zwischen Beharrung und Beschleunigung verloren. Es sei die Zeit selbst, die sich "entzeitliche".1

Die Koexistenz verschiedender Zeiten

Deshalb der Begriff der Ungleichzeitigkeit zur Beschreibung der widersprüchlichen Wirklichkeit kapitalistischer Gesellschaften durchaus brauchbar. Er verweist auf die Koexistenz verschiedener Zeiten in einer Gegenwart, auf Wirkweisen unerledigter Vergangenheit und verhinderter Zukunft, auf Widersprüche in und zwischen den gesellschaftlichen Verhältnissen.

Man kann, so Bruno Latour, Zeit definieren "als eine 'Ordnung der Aufeinanderfolge' und Raum als eine der 'Gleichzeitigkeit'. Solange wir alles unter der Macht des Fortschritts zu den Akten nahmen, lebten wir in der Zeit der Aufeinanderfolge. Kronos fraß alles Archaische und Irrationale in seiner Nachkommenschaft auf und verschonte nur jene Nachkommen, denen eine strahlende Zukunft bestimmt war […] Anders gesagt, der Raum hat die Zeit als prinzipielles Ordnungssystem abgelöst."2

Ortszeit wird um Echtzeit ergänzt

Und doch gestaltet sich das Wechselverhältnis von Raum und Zeit offenkundig immer komplexer: Ortszeit wird um Echtzeit ergänzt; Kommunikationstechnologien machen die Gleichzeitigkeit zu einer weltweiten Erfahrung.

Die Globalisierung lässt die Entfernung zwischen den verschiedenen Lebenswelten schrumpfen.

Am konkreten Ort häuft sich indes das Kontrafaktische: Wachstum und Schrumpfung vollziehen sich heute kleinräumig neben- und ineinander; zur selben Zeit und in der gleichen Stadt expandieren Gewerbe und Wohnen gen Suburbia, während in der City Gebäude leerstehen und Flächen brachfallen.