Beschleunigungsfalle: Wenn Städte dem Tempo nicht standhalten
Seite 2: Schrumpfung und Wachstum: Stadtplanung am Limit
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Freilich, dass die Zeit gleichsam eine aktiv eigenständige Rolle übernimmt, stellt ein vergleichsweise junges Phänomen dar: Erst die Industrialisierung verkoppelte Produktion, Transport, Verteilung und Verbrauch der Güter auf der Grundlage des Prinzips der abstrakten Zeit.
Sie sorgte für eine Beschleunigung von der Produktion bis zum Konsum durch den Einsatz von Zeitverkürzungsmaschinen und -techniken.
Sie forderte alle Beteiligten zu einem neuen Umgang mit der Zeit auf: zu ihrer wirtschaftlichen Nutzung. Sie führte zur Bewirtschaftung der Zeit, die zu einem anerkannt ökonomischen Faktor wurde. Die vermehrte Arbeitsteilung machte gleichzeitig eine Synchronisierung von einzelnen Produktionsbereichen unumgänglich, die sich in Terminabsprachen und dem Einhalten von Terminen äußerte.
Die effiziente Ausnutzung der Investitionen zwang die Unternehmer zudem zu einem rascheren Umschlag des Anlagekapitals sowie zu einer strengeren Disziplinierung der Arbeiter hinsichtlich der Zeit.
Mit der Elektrifizierung des Alltags verstärkte sich aber auch die soziale Disziplinierung; ein rationales, "zeitgemäßes" Denken setzte sich allenthalben durch. Und dies war zugleich der Ausgangspunkt, von dem aus auch im übrigen Leben der Geschwindigkeit zur Herrschaft verholfen wurde.3
Zeit optimal nutzen, schneller arbeiten und schneller leben
Implizit steckte dahinter die Aufforderung, die Zeit optimal zu nutzen, schneller zu arbeiten und schneller zu leben. Geschwindigkeit und Tempo infizierten die Gesellschaft als Ganzes. Damit setzte ein zivilisatorischer Prozess ein, der das Alltagsleben immer weiter verregelte – und der bis heute keineswegs obsolet ist.
Strukturbildung ist nicht bloß ein geographischer oder räumlicher Akt, sondern auch ein zeitlicher. Doch unsere gesellschaftliche Kurzatmigkeit widmet der Temporarität keine besondere Aufmerksamkeit. Sie erscheint eher wie der blinde Fleck im Auge des Betrachters.
Tatsächlich artikuliert Zeit sich als Abfolge, aber auch als Nebeneinander und wechselseitige Überlappung von Phasen und Perioden.
Der zeitliche Rhythmus der Stadt wird geprägt durch die unterschiedlichsten Taktgeber formeller und informeller Art. Dazu gehören Betriebszeiten genauso wie natürliche Rhythmen, Lebensgewohnheiten oder sozial-kulturelle Orientierungen.
Herausforderungen der Stadtplanung
Desgleichen sind – gerade in der Stadt – die Zeit und die traditionellen drei Raumdimensionen untrennbar miteinander verbunden. Denn hier "verschmelzen räumliche und zeitliche Merkmale zu einem sinnvollen und konkreten Ganzen. Die Zeit verdichtet sich hierbei […] der Raum gewinnt Intensität […]. Die Merkmale der Zeit offenbaren sich Raum, und der Raum wird von der Zeit mit Sinn erfüllt und dimensioniert."4
Das Beispiel des Fordismus macht das sinnfällig. Er hat nicht nur Binnenmarkt und Massenkonsum in den Mittelpunkt gerückt, sondern auch die Systeme sozialer Sicherung, einen hoch arbeitsteiligen Arbeitsalltag, die Mobilität und die Familienzelle als Kompensation dieses dicht regulierten Alltags.
Das ordnende Prinzip der Zonierung
Das den Raum ordnende Prinzip dieser Phase war die Zonierung: Nicht nur Wohnen und Arbeit wurden in unterschiedlichen Gebieten organisiert; vom Kinderspielplatz über die Fußgängerzone bis hin zum Landschaftsschutzgebiet bildet dieses Prinzip den roten Faden. Die Architektursprache dieser Zeit war – ausweislich nicht nur der industriell erstellten Großsiedlungen – der Standardisierung und Gleichmacherei verpflichtet.
Spätestens die Postmoderne hat zwar mit dieser Vorstellung aufgeräumt. Geblieben aber ist die Auffassung von einer linearen Entwicklung mit einem festen Fluchtpunkt.
Alle Rettungsaktionen und alle Präventionen sind rückwärtsgewandt
Dem ist allerdings nicht so. Bereits die Veränderungen der Arbeitswelt – oder die der Ladenöffnungszeiten – hat ungeahnte Folgen. Grundsätzlich, auf gesellschaftlicher Ebene, wird man auch konzedieren müssen: Alle Rettungsaktionen und alle Präventionen sind rückwärtsgewandt.
Je mehr sie für sich beanspruchen, die Zukunft zu beherrschen, umso gefährlicher werden sie. Politiker, Intellektuelle, Planer, Unternehmer möchten die Zukunft in den Griff nehmen, um Planungssicherheit zu geben.
Sie wollen den Zufall eliminieren. Aber sie haben nicht alle Informationen, und sie wissen noch nicht einmal, welche Informationen relevant sein werden.
Und selbst wenn sie es wüssten, könnten sie nicht ahnen, ob sich deren Relevanz im Zeitverlauf ändert. Denn die Zukunft ist eine spontane Ordnung, sie ist "Ergebnis menschlichen Handeln, nicht menschlichen Entwurfs", wie der schottische Aufklärer Adam Ferguson einmal schrieb.
Handeln aber ist immer ein Akt der menschlichen Freiheit, bezogen auf die Freiheit anderer, nicht denkbar ohne Zufall und überraschende Konstellation, sei sie glücklich oder unglücklich. All das entzieht sich der Planbarkeit.
So nimmt es nicht wunder, wenn die Kategorie Zeit sich in der Stadtentwicklung durchaus diffus und widersprüchlich bemerkbar macht.