Bewegt sich ICANN?

Nach dem Weltgipfel der Informationsgesellschaft hat sich die Situation für die ICANN verändert

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Der 2. Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS II) hat im November 2005 das Umfeld für die International Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) nicht unerheblich verändert (Erbsenzählen nach der Cyberschlacht). Zwar bekam ICANN, deren Legitimität durch das Unterordnungsverhältnis zur US-Regierung von vielen in Zweifel gezogen wurde, durch den Tunis-Gipfel eine de-facto-Anerkennung. Zukünftig aber muss sich ICANN an den WSIS-Maßtäben – Offenheit, Transparenz, Demokratie und Multistakeholderismus - messen lassen. Und mit dem neuen ”Internet Governance Forum” (IGF) hat ICANN einen Wachhund an die Seite bekommen, der darauf achten wird, dass die Kernressourcen des Internet – Domainnamen, IP-Adressen und Root Server – tatsächlich im Interesse der globalen Internetgemeinschaft verwaltet werden.

Einen ersten Test, wie ICANN mit der neuen Situation umgeht, gab es jüngst im kanadischen Vancouver, wo ICANN seine 24. Tagung absolvierte. Für die 700 Konferenzteilnehmer war zunächst vieles ”business as usual”. Beim genaueren Hinsehen konnte man aber in zumindest vier Punkten eine nicht unerhebliche Bewegung im ICANN Direktorium feststellen die offensichtlich dem WSIS Druck geschuldet ist.

Neues Verhältnis zu den Regierungen

An erster Stelle steht das sichtbare Bemühen von ICANN, das Verhältnis zu den Regierungen neu zu gestalten. Der bei WSIS diskutierte Vorschlag der Schaffung eines ”UN-Internet-Regierungsrates” fiel in Tunis zwar durch, aber viele Regierungen sind nach wie vor der Meinung, dass die Regierungen bei der globalen Verwaltung des Internet mehr zu sagen haben sollten, als lediglich Ratschläge an eine private Gesellschaft mit Sitz in den USA zu geben.

ICANNs Vorsitzender Vint Cerf hatte daher bereits vor dem Tunis-Gipfel die Flucht nach vorn angetreten und die Regierungen zu einem gesonderten Dialog eingeladen, um darüber zu reden, wie man am effektivsten zukünftig zusammenarbeiten kann. Cerf ergriff auch bei dem Gespräch in Vancouver gleich die Initiative und bot an, die Präsenz der Regierungen im ICANN-Direktorium zu vergrößern - bislang ist das ”Governmental Advisory Committee” (GAC) mit seinem Vorsitzenden als nichtstimmberechtigtes Mitglied im Direktorium vertreten - und darüber hinaus auch noch die Kosten für das GAC-Sekretariat, die momentan auf freiwilliger Basis von der Europäischen Kommission getragen werden, aus dem ICANN-Budget zu begleichen.

Nicht alle GAC-Mitglieder waren jedoch über die generösen Angebote erfreut. Einige fühlten sich in die Defensive gedrängt, andere sahen in dem Finanzierungsvorschlag ein Angebot mit einem Pferdefuß, der die Unabhängigkeit des GAC untergraben könnte. Zwar konnte man sich in Vancouver noch nicht einigen, immerhin aber hat man eine gemeinsame Arbeitsgruppe gebildet, die bis zur nächsten ICANN-Tagung in Wellington herausfinden soll, wie das Verhältnis zukünftig zu gestalten sei. Vorbei sind jedenfalls die Zeiten, als die damalige ICANN-Vorsitzende Esther Dyson dem damaligen Vorsitzenden des GAC, Paul Twomey, darauf hinwies, dass die GAC-Empfehlungen für das ICANN-Direktorium keine Verbindlichkeit besitzen. Twomey, heute CEO von ICANN, teilte seinerseits in Vancouver den Regierungen mit, dass ihre Einwände gegen die Einführung der neue Top Level Domain .xxx sehr ernst genommen würden und deshalb auch eine Entscheidung erneut vertagt werde. Damit forderte zwar das ICANN-Direktorium den Protest der sich bewerbenden Registry ICM heraus, offensichtlich ist aber ICANN momentan mehr daran interessiert, mit den Regierungen ins Reine zu kommen und riskiert dafür lieber einen Gerichtsprozess in den USA.

Dies fällt insofern etwas leichter, da im Vorfeld ICANN die Last eines anderen Gerichtsprozesses mit VeriSign vom Tisch geräumt bekam. VeriSign hatte seine Klage wegen des Sitefinder-Falles vor dem Hintergrund des neu auszuhandelden Vertrages zu .com zurückgezogen. Damit hatte aber ICANN zunächst die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn im Vorfeld der Vancouver-Tagung gab es empörte Aufschreie quer durch alle ICANN-Constituencies hinsichtlich der Details des neuen Vertragswerks, das u.a. eine zeitlich nicht mehr begrenzte Delegierung von .com an VeriSign vorsah sowie ein Recht zu einer Preiserhøhung von jährlich bis zu sieben Prozent und einen Blankoscheck für Datamining enthielt.

Mit dem Proteststurm entlud sich auch der noch immer nicht verarbeitete Groll über die erst kürzlich erfolgte Re-Delegierung von .net an VeriSign. Die Vorwürfe reichten von einer einseitigen Förderung von ICANN für das Monopol eines US-Unternehmens bis zu dem Verdacht der Vetternwirtschaft mit Blick auf die genehmigten Preiserhöhungen. Immerhin ist VeriSign ICANNs größter Beitragszahler. Früher hätte jedoch das ICANN-Direktorium diesen Protest ”von unten” in den Wind geschlagen. Diesmal reagierte Vint Cerf weitaus feinfühliger, räumte eigene Fehler ein und sicherte eine neue öffentliche Diskussionsrunde zu dem Vertragswerk zu.

CcTLDs und Internet-Nutzer

Kritische Selbstreflexion und Hören auf die Meinung untergeordneter Constituencies war bislang auch kein Prinzip von ICANN im Umgang mit den Managern der Länderdomains (ccTLDs). Eine Folge dieser Arroganz war, dass die größten ccTLDs, wie DENIC in Deutschland oder NOMINET in Großbritannien, der ccTLD Organisation CNSO nicht beitraten. In Vancouver nun akzeptierte das ICANN-Direktorat eine nicht unwesentliche Veränderung der ICANN-Bylaws, die wesentliche Einwände von DENIC und anderen aufgreift und damit signalisiert, dass man gewillt ist, auch hier ein neues konstruktives Verhältnis herzustellen. Überdies weiß ICANN sehr genau, dass ohne die großen ccTLDs an Bord das US-Handelsministerium ICANN kaum in die Unabhängigkeit entlassen wird.

Eine neue Flexibilität zeichnet sich auch im Verhältnis zu den Internetnutzern ab. 1998 waren den Nutzern ja 9 Sitze im ICANN-Direktorium versprochen wurden (Die Zukunft der Demokratie). Daraus wurden nach den ICANN-Wahlen im Jahr 2000 ganze fünf. Und nach der ICANN-Reform im Jahr 2002 hatten die Nutzer zwar ein eigenes At Large Advisory Commitee (ALAC), aber keinen stimmberechtigten Direktor mehr (Von "Cyberdemocracy" zu "Cybersecurity"). Überdies war das ALAC derart buerokratisch strukturiert worden, sodass das einstmals große Interesse von individuellen Internetnutzern, sich in den ICANN-Prozess einzumischen, drastisch zurückging.

Nach WSIS I erkannte aber Paul Twomey, dass eine demonstrierte Einbeziehung der Nutzer ein wichtiges Schutzschild für ICANN gegenüber einer Regierungsübernahme durch die ITU ist, wo Nutzer gleich gar nichts zu sagen haben. Die verbale Aufwertung des ALAC aber war bislang ein reines Lippenbekenntnis. In Vancouver nun akzeptierte das ICANN-Direktorium immerhin eine erste Statutenänderung, die zunächst die Akkreditierung sogenannter ”At Large Structures” erleichtern soll. Dazu gab es erstmals ein offizielles Treffen zwischen dem ICANN-Direktorium und dem ALAC. Und auch das GAC traf sich erstmals offiziell mit der Nutzerorganisation. Auf diese Weise erhielt das bei WSIS in Tunis bekräftiger Prinzip des Multistakeholderism weiteren Auftrieb.

Internet Governance Forum

Die neue Flexibilität des ICANN-Direktoriums ist nicht zuletzt auch der Tatsache geschuldet, dass WSIS mit dem ”Internet Governance Forum” (IGF) eine neue globale Plattform geschaffen hat, an der ICANN nicht vorbeihandeln kann. Insofern war es nicht überraschend, dass in Vancouver ICANN sich darum bemühte, bereits frühzeitig beste Plätze im neuen IGF zu besetzen. Das IGF, dessen erste Tagung noch 2006 in Griechenland stattfinden soll, ist ja zunächst noch ein relativ vages Projekt. Die Details, wie denn das Forum gestaltet werden und wie es arbeiten soll, sind ziemlich unklar.

In Vancouver nun kündigte George Papavou vom griechischen Außenministerium an, dass man in Athen mit bis zu 3.000 Teilnehmern rechnet. Man sei durch die Olympischen Sommerspiele 2004 für eine solche Internet-Olympiade gut präpariert.

Den Auftrag, das IGF zu konstituieren, hat der Tunis-Gipfel an UN-Generalsekretär Kofi Annan erteilt. Letzte Woche wurde dafür bei einem Arbeitstreffen in New York in Annans Kabinett erste Weichen gestellt. Demnach soll das Forum, wie zuvor die UN-Working Group on Internet Governance (WGIG) ein kleines Sekretariat mit Sitz in Genf erhalten. Der Schweizer Botschafter Markus Kummer, der schon das WGIG-Sekretariat geleitet hat, hat somit beste Chancen, auch das IGF-Sekretariat zu übernehmen. Zur Vorbereitung des ersten Forums wird es aller Wahrscheinlichkeit nach Ende Februar/Anfang März 2006 eine öffentliche Konsultation in Genf geben, die wiederum durch eine Fragebogenaktion zu den Modalitäten und Aufgaben des IGF vorbereitet werden soll. Im Lichte der Empfehlungen der Konsultationen könnte dann Kofi Annan noch im Juni 2006 das ”Internet Governance Forum” formell installieren.

Wann dann tatsächlich das erste Forum stattfindet ist jedoch noch offen. Nicht wenige Beobachter aber würden einen Termin im Dezember 2006 für sinnvoll erachten. Bis dahin muss sich die US-Regierung entschieden haben, wie sie mit dem im Oktober 2006 auslaufenden Memorandum of Understanding (MoU) mit ICANN umgehen will. Und dann hat auch die ITU ihre alle viere Jahre stattfindende Vollversammlung, auf der das Thema Internet Governance gleichfalls auf der Tagesordnung steht, beendet.