Von "Cyberdemocracy" zu "Cybersecurity"

ICANN's Flucht zur Seite

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ICANN, the Internet Corporation for Assigned Names and Numbers, wird am Wochenende auf ihrer Jahrestagung in Amsterdam einen umfassenden Reformplan verabschieden. Was mit der Vision einer "Cyber-Demokratie" gestartet war, ist jetzt primär ein Mechanismus für "Cyber-Sicherheit".

Die Gründung von ICANN 1998 wurde gefeiert als ein Pilotprojekt zur Selbst-Verwaltung des Internet (Die Zukunft der Demokratie). Nicht Regierungen oder die Vereinten Nationen sollten über die Kernressourcen des Internet - Domain Namen, IP Adressen, Internet Protokolle und Root Server - bestimmen, sondern die "Netzbürger" selbst, d.h. die Entwickler, Anbieter und Nutzer von Internet Diensten. Ein von Regierungen kontrolliertes Internet, das war die allgemeine Befürchtung, könnte zur Beschneidung von Freiheiten im Cyberspace und zur Abbremsung der Dynamik beim eCommerce führen.

Prioritäten in der Weltpolitik haben sich verändert

Die US-Regierung, die bei ICANN als Geburtshelfer fungierte und sich dabei nicht unerhebliche Sonderrechte sicherte, sanktionierte mit Zustimmung der Europäischen Kommission ICANNs Verfassung als eine "private Gesellschaft unter kalifornischem Recht". ICANN sollte von einem Direktorium geleitet werden, zusammengesetzt je zur Hälfte aus Vertretern der Diensteanbieter und der Internetnutzer. Regierungsvertreter waren nicht wählbar als ICANN Direktoren, "Empfehlungen" des "Beratenden Regierungsausschusses" nicht bindend für das ICANN Direktorium.

Vier Jahre später, nach dem Platzen der Dotcom-Blase, nach dem 11. September 2001 und mit einer neuen Administration in Washington, wird das innovative Konzept der "Internet Selbst-Regulierung" mit anderen Augen gesehen. Die Prioritäten in der Weltpolitik haben sich geändert. ICANNs technische Mission ist untrennbar mit politischen und wirtschaftlichen Fragen verbunden, die Regierungen als ihr traditionelles Zuständigkeitsfeld sehen. Um gegen Cyberkriminalität oder Terrorismus im Netz vorzugehen, verlangen Regierungen schnellen Zugang zu Kommunikations- und Kontaktdaten im Internet. ICANNs technische Entscheidungen zur Registrierung von Domain Namen oder zur Zuordnung von IP-Adressen lassen sich nicht ohne weiteres von staatlicher Territorial- und Personalhoheit trennen.

Zu welchen globalen Komplikationen dies führen kann demonstrierte jüngst der Fall der Internet Domain "batasuna.org". Nachdem ein Gericht in Spanien die baskische Partei Batasuna als verfassungswidrig erklärt hatte, schloss die spanische Regierung nicht nur die Parteibüros im Baskenland, sondern wollte auch die Website "batasuna.org" vom Netz nehmen. Dabei musste sie lernen, dass die Second Level Domain (SLD) "batasuna" bei dem von ICANN akkreditierten australischen Registrar "Melbourne IT" registriert ist und dass "VeriSign Inc." in Kalifornien, gleichfalls ein Vertragspartner von ICANN, die Registry für die Top Level Domain (TLD) ".org" verwaltet. Die Redaktion von "batasuna.org" saß übrigens im Süden Frankreichs und bekam ihre Artikel via Email von Sympathisanten rund um den Globus.

Insofern konnte es nicht überraschen, das ICANNs CEO, Stuart Lynn, ein halbes Jahr nach den Anschlägen auf das World Trade Center, einen grundlegenden Reformprozess einleitete. Je länger die Reform-Diskussion dauerte, desto klarer wurde jedoch, dass ICANN unter den obwaltenden Umständen nicht einen Schritt nach vorn anstrebte, sondern eher die "Flucht zur Seite" antrat. Das Konzept der "Selbstverwaltung des Internet" sollte ersetzt werden durch eine "Public Private Partnership". Nach neun Monaten furioser on- und offline Diskussion versucht nun der "Amsterdam Plan" das Kräftegleichgewicht im Cyberspace neu zu sortieren.

Stärkung der Rolle der Regierungen

Es wäre sicher übertrieben, wollte man die ICANN-Reform als eine Art "Regierungsübernahme" charakterisieren. Fakt aber ist, dass sich das Verhältnis zwischen den privaten "Internet Stakeholdern" und den Regierungen in der neuen ICANN grundlegend verändert. Zwar bleibt das ICANN-Direktorium nach wie vor die letztendlich entscheidende Instanz, aber im Direktorium sitzt jetzt ein von den Regierungen nominierter "Verbindungsoffizier". Und sollte das ICANN-Direktorium "Empfehlungen" des "Beratenden Regierungsauschusses" zurückweisen, kann der eine "schriftliche Begründung" und "Konsultationen" über den strittigen Punkt verlangen.

Die Stärkung der Rolle von Regierungen macht die globale Internetverwaltung nicht einfacher. Konflikte existieren nicht nur zwischen den unterschiedlichen nichtstaatlichen Gruppen der globalen Internetgemeinschaft, sondern auch zwischen Regierungen und zwischen einigen Regierungen und ihrer nationalen Internet Community. Die Betonung des Konzepts der "Informationssouveränität" kann Regierungen, die es mit Grund- und Menschenrechten nicht allzuernst nehmen, dazu ermutigen, mit restriktiven Gesetzen das Recht auf freie Meinungsäußerung ebenso zu beeinträchtigen wie den Schutz der Privatsphäre. Der Manager einer Länderdomain (ccTLD), der de facto darüber entscheiden kann, welcher Domain Name registriert wird und welcher nicht, kann schnell zum "Zensor des Internet" avancieren, wenn er per Gesetz zum ausführenden Organ einer Regierung gemacht wird.

Auf der zwischenstaatlichen Ebene rückt indes die Frage der Kontrolle über die Root Server wieder ins Rampenlicht. Die 13 Root Server - zehn davon sind in den USA - verwalten die Zone Files nicht nur der 16 generischen Top Level Domains (gTLDs wie .com, .net oder .info), sondern auch die der 243 Länder Top Level Domains (ccTLDs wie .uk, .tv oder .de). Das Handelsministerium der Bush-Regierung ist die einzigste Institution der Welt, die dem Manager des "A Root Servers" Anweisungen geben kann, welche Top Level Domain er ins Internet einstellen oder aussperren soll. Die anderen Ländern haben diesem System, das allerdings bislang problemlos funktionierte, zu vertrauen. Vor dem Hintergrund der immer weiter wachsenden Bedeutung des Internet meinen aber nicht wenige Regierungen, dass auch in Cyberspace Verträge besser sind als Vertrauen.

Entmachtung der Nutzer

Die Verlierer der Machtverschiebung im Cyberspace sind die Internetnutzer. Ursprünglich wollte ICANN seine Legitimation mit einer direkten Online-Wahl von neun Direktoren durch eine sogenannte "At Large Membership" - jedermann mit einer Email Adresse - erlangen. Die im Jahr 2000 durchgeführten Testwahlen von fünf Direktoren ließen jedoch Zweifel an dieser Form von praktizierter direkter Cyber-Demokratie aufkommen (Babylon 3.0.: Die Dialektik Digitaler Demokratie). Eine ICANN-Studienkommission unter Leitung des ehemaligen schwedischen Ministerpräsidenten Carl Bildt empfahl später, die Zahl der die Nutzer vertretenen Direktoren auf sechs zu reduzieren und nicht jeden mit einer Email-Adresse, sondern nur die Besitzer von Domainnamen an Wahlen teilnehmen zu lassen (Zensuswahl im Internet).

Während dies bei der ICANN Tagung Anfang September 2001 in Montevideo noch als eine "Rückkehr ins Mittelalter", wo nur "Landbesitzer" wählen durften, kritisiert wurde, veränderte der zwei Tage später stattgefundene Terroranschlag auch hier die Rahmenbedingungen. Im Gefolge des 11. September ging die Idee der Nutzer-Mitbestimmung beim Management der Internet-Kernressourcen fast gänzlich den Bach runter. ICANN 2.0 hat keine sogenannten "At-Large Direktoren" mehr. Als Rest des ehemaligen basisdemokratisch orientierten Konzepts gibt es jetzt ein externes "At Large Advisory Committee" (ALAC) das einen nicht-stimmberechtigten Vertreter in das ICANN Direktorium entsenden kann.

Ob mehr Regierungskontrolle und die Entmachtung der Nutzer jene Stabilität ins Internet bringt, die als übergreifendes Ziel der ICANN Reform deklariert wurde, bleibt abzuwarten. Es bedarf jedoch keiner großer prophetische Gaben zu prognostizieren, dass auch die neue ICANN bald unter Beschuss geraten wird.

Wolfgang Kleinwächter ist Professor für Internationale Kommunikationspolitik an der Universität Aarhus in Dänemark und Autor eines demnächst beim Beck Verlag erscheinenden Buches "ICANN: Der lange Weg zur Selbst-Regulierung des Internet".