Biopiraterie, neokoloniale Schatzpolitik und die Public Domain

Wie Biotech-Startups, Universitäten und Pharmakonzerne im Rennen um neue Wundermedikamente Entwicklungsländer ausnehmen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Pharma-Giganten und junge Firmen aus der Biotech-Branche wetteifern miteinander bei der Produktion naturheilkundlicher oder genetischer Pillen und Verfahren. Dabei bedienen sie sich - wie seit Kolonialzeiten üblich - am Wissen und an menschlichen Rohstoffen der Dritten Welt. Forscher und Wirtschaft gehen teilweise unorthodoxe Allianzen ein, bei denen die Public Domain zum Spielball ihrer eigennützigen Interessen wird. Doch die Kritik an der Biopiraterie wird lauter.

Bescheidenheit ist nicht gerade eine Tugend von Michael J. Pellini, dem Geschäftsführer der aufstrebenden Firma Genomics Collaborative in Cambridge, Massachusetts. Sein Wunschtraum, mit dem Biotech-Startup für Schlagzeilen in der New York Times zu sorgen, ist zwar noch nicht in Erfüllung gegangen. Aber immerhin hat er Genomics Collaborative bereits zu einem prominenten Auftritt im lokalen Boston Globe verholfen. Immerhin behauptet das Unternehmen ja, mit seiner Kollektion gefrorenen Bluts, tiefgekühlten Gewebeteilen und DNS-Samples von über 110.000 Patienten das größte "globale Lagerhaus" der Biotech-Industrie zu betreiben.

Täglich kommen zwischen 40 und 250 neue Proben dazu, die entweder als Blutserum ohne Zellen bei 80 Grad minus ins "Archiv" wandern oder in ursprünglicher Form auszugsweise in minus 160 Grad kalten Stickstoff eingebettet werden. Wie in einem Großmarkt geht es auf dem Betriebsgelände zu, wenn eine neue Lieferung kommt: die in Kisten verpackten Samples und das menschliche "Frischfleisch" werden über ihren Identifikations-Code "eingecheckt" in die große Computer-Datenbank und für die Einlagerung in ihre Tiefkühltruhen vorbereitet. Dabei gehen Roboter den menschlichen Koordinatoren zur Hand.

Get DNA from India

Genomics Collaborative ist "einzigartig auf der Welt", lässt der Firmenpatriarch Pellini keinen Zweifel an seiner Mission. Ziel der Firma ist es, mit Hilfe der eingelagerten Gen-Samples eine Schlüsselstellung bei der Herstellung neuer Wunderheilmittel einzunehmen. Im Kampf gegen Krebs, Diabetes oder andere menschliche Urleiden könnte das Unternehmen, das im Web unter der Adresse www.getdna.com firmiert, mit seiner jetzt schon 10 Millionen Dollar teuren Datenbank eines Tages Hilfe bei entscheidenden medizinischen Fortschritten leisten oder selbst begehrte Pillen entwickeln.

Denn die erste nahezu vollständige Sequenzierung des menschlichen Genoms, die im Rahmen des Human Genome Project (HGP sowie der Leistungen Craig Venters und der Superrechner seiner Firma Celera Genomics im Frühsommer 2000 bereits abgeschlossen wurde, war nur ein erster Schritt in der genetischen Forschung. Viel schwieriger fällt es den Molekularbiologen seitdem, die Rolle spezifischer Gene bei der Entstehung von Krankheitsherden zu entschlüsseln. Vor allem, wenn dabei mehrere Gene zusammenspielen und keine hauptverantwortliche Proteinfolge ausgemacht werden kann. Um hier voranzukommen, so Pellini, hilft nur der von Genomics Collaborative ermöglichte Abgleich großer Gen-Samples.

Die bisherige Erfolgsgeschichte des Cambridger Startups hat allerdings einen dunklen Fleck, sagt der Biochemiker Kaushik Sunder Rajan, der unweit des Firmengeländes am Massachusetts Insitute of Technology (MIT forscht. Auf der Wizards of OS II legte der Wissenschaftler dar, dass Genomics Collaborative die Proben mit Hilfe zweifelhafter Verträge aus Indien bezieht. Der selbst vom indischen Subkontinent stammende Rajan geht davon aus, dass die Lieferanten - hauptsächlich Kliniken, die mit ein paar dazuverdienten Dollars ihren Fortbestand sichern wollen - allen Rechtsansprüchen auf das menschliche Material sowie daraus eventuell zu gewinnenden Patenten entsagen müssen.

"Die Dritte Welt wird in der Bio- und Gentechnologie immer stärker als 'Quelle' angesehen", empört sich Rajan. Dass Genomics Colloborative die Samples übernimmt und daraus mit Hilfe von Patenten Gewinn schlagen will, ist für den MIT-Forscher "ein klarer Fall von Diebstahl". Indien sei davon besonders betroffen, weil dort geschichtlich bedingt nach wie vor homogene, große Familien existierten, deren Genpools kaum miteinander vermischt seien. Die billig erstandenen Samples hält Rajan daher für die Genomanalyse bestens geeignet.

US-Forschungsinstitute schürfen im Biomaterial

Aber auch an anderen Entwicklungsländern versuchen sich Unternehmen und medizinische Forschungseinrichtungen, die ihren Sitz vornehmlich in den USA haben, zu bereichern. Dabei haben sie es oft weniger auf das menschliche Gewebe als vielmehr auf das menschliche Wissen traditionell lebender Völker über bestimmte Naturheilkräfte abgesehen. Südafrikanische Buschmänner beispielsweise werfen dem Pharma-Giganten Pfizer Biopiraterie vor, weil er die im Hoodia-Kaktus enthaltenen, von der Stammesbevölkerung entdeckten Wirkstoffe in Schlankheitspillen beziehungsweise ein Riesengeschäft verwandeln will (Der Kampf um den Kaktus).

Sogar durchaus renommierte amerikanische Universitäten sind über das National Institutes of Health (NIH) sowie die National Science Foundation (NSF) der USA in den zweifelhaften Goldrausch der Bio-Schatzsucher eingebunden, sagt Cori Hayden, Expertin für das "Schürfen" von biologischen Materialien und pharmazeutische Kommerzialisierungsabkommen an der britischen Cambridge University. Die nur als "Piraterie" zu verstehenden Methoden, berichtet Hayden, laufen unter dem Deckmantel der Biodiversität ab. Unter diesem Begriff fasst die Pharmabranche eigentlich Bestrebungen, die sich des Erhalts der biologischen Vielfalt auf dem Globus verschrieben haben. Doch das von der US-Regierung unterstützte Programm International Cooperative Biodiversity Groups (ICBG) hat damit laut Hayden nur wenig am Hut.

Zwischen 1993 und 2003 sind unter ICBG insgesamt 14 Projekte gelistet, die alle nach einem ähnlichen Schema funktionieren. Amerikanische Forschungszentren wie die University of Arizona erhalten zunächst Projektbudgets in Höhe von rund 500.000 Dollar, um die Bio-Schatzsuche in "Quellenländern" wie Argentinien, Chile oder Mexiko voranzutreiben. Sie arbeiten mit "Alibi-Wissenschaftlern" vor Ort zusammen, deren Aufgabe es ist, sich über die Naturheilmethoden der einheimischen Landbevölkerung aufzuklären und über kleinstädtische Märkte zu tingeln.

Den "Trüffelschweinen" im Staatsauftrag werden nur die Spesen erstattet. Antreiben soll sie die Hoffnung auf eine minimale Beteiligung an potenziellen Lizenzeinnahmen, falls ihr "Schürfen" tatsächlich mittelbar an der Patentierung von Medikamenten einen Anteil hat. Zwischengeschaltet sind zudem junge Firmen aus dem Life-Science-Sektor, die das Material in der Regel als erste auswerten.

Die Public Domain gefällt auch den Pharmakonzernen

Zweifelhaft ist sowohl im Streit um den "Genomraub" sowie um die Bioschürfer die Rolle, die die unterschiedlichen Seiten der Public Domain zuweisen. So argumentieren die im Auftrag des ICBG-Programms tätig werdenden Forscher sowie Pharmakonzerne, dass das Wissen der Einheimischen längst Allgemeingut sei und allen zur Verfügung stehe. Mit dieser Behauptung wollen sie allerdings just ihr eigentliches Ziel, nämlich die Patentierung des medizinischen Wissens der Naturvölker, legitimieren und somit ein staatliches Privileg für die Sanktionierung ihrer räuberischen, die Public Domain gleich wieder vergessenden Methoden beanspruchen.

Dass die Pharma-Giganten auch gegenüber Datenbankfirmen wie Genomics Collaborative oder Celera die Public Domain hoch halten, hat ebenso wenig mit einem echten Interesse am freien Informationsfluss zu tun. "Dahinter stecken Marketing-Strategien", erläutert Rajan. Die großen Tanker wollen vermeiden, hohe Lizenzgebühren auf Genpatente an die agileren Biotech-Startups zu zahlen. Daher stünden sie plötzlich auf der Seite von Ökonomen wie Jeremy Rifkin und Geisteswissenschaftlern sowie der allgemeinen Öffentlichkeit, die Gensequenzen und Bioinformationen zum allen offen stehenden Gemeingut erklären wollen und den Abschluss entsprechender Grundsatzverträge fordern.

Bisher haben sich die Vereinten Nationen 1992 nur auf den Abschluss einer Biodiversitäts-Konvention einigen können. Die ist allerdings überaus löchrig und wurde zudem genauso wie die UN-Klimaschutzkonvention von Rio nicht von den USA ratifiziert.

Erste "Biopatente" zurückgenommen

Zumindest im Kampf gegen die "Schürfer" unter den Biopiraten können die Aktivisten von einschlägigen NGOs allerdings seit Mitte der Neunziger auf erste Erfolge verweisen. Wie das Third World Network berichtet, sind bereits einzelne Verfahren zur Aberkennung von Patenten und Protestbewegungen in nationalen Parlamenten in Gang gekommen. Ein zunächst dem US-amerikanischen Unternehmen W. R. Grace gewährtes Patent für eine Methode zur Extrahierung eines Öls aus dem indischen Neem-Baum, das dem Pilzbefall anderer Pflanzen entgegenwirken kann, hat das Europäische Patentamt inzwischen zurückgenommen. Die Opponenten hatten erfolgreich dargelegt, dass das Patent auf "Volkswissen" beruhe und daher nicht innovativ sei.

Auch das "Maya"-Forschungsprojekt des ICBG-Programms sei gescheitert, weil die Schatzsuche just im Kriegsgebiet Chiapas in Mexiko vonstatten gehen sollte. Das südliche Nachbarland der USA hat inzwischen sogar ein Moratorium gegen die Biopiraten verhängt, berichtet Hayden. Rundherum zufrieden ist die Forscherin mit dem sich abzeichnenden Wandel in der Biopolitik allerdings auch wieder nicht: Sie befürchtet, dass der Süden ganz bedeutungslos werden könnte, wenn die reichen Nordstaaten dort nicht mehr fündig werden können. Schließlich hätten die Forschungsabkommen zumindest noch ein paar Dollar ins Land gebracht.

Hier zu Lande wird sich der Rechtsausschuss des Bundestags am Mittwochnachmittag in einer öffentlichen Anhörung im Bundesfinanzministerium in Berlin mit dem Thema Biopiraterie und Genpatenten beschäftigen. Die Bundesregierung hat bereits im März einen Gesetzesentwurf zur Umsetzung der EU-Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen vorgestellt. Demnach ist momentan vorgesehen, dass "der menschliche Körper in den einzelnen Phasen seiner Entstehung und Entwicklung sowie die bloße Entdeckung eines seiner Bestandteile, einschließlich der Sequenz oder Teilsequenz eines Gens, keine patentierbaren Erfindungen sein" können. Patente auf Erfindungen, die Erzeugnisse biologischen Materials beinhalten, sind allerdings sehr wohl vorgesehen (Wie weit darf die Kommerzialisierung des menschlichen Lebens gehen?).

Eingeladen zu der Diskussion sind zehn Sachverständige, darunter der Präsident des Bundespatentgerichtes, Hans-Georg Landfermann, der Vorsitzende der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Professor Ernst Ludwig Winnacker, der Vorsitzende des Patentausschusses des Verbandes der forschenden Arzneimittelhersteller, Dieter Laudin, sowie Christoph Then von Greenpeace.