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USA entwickeln eines der größten Überwachungssysteme im Dienste der Flugsicherheit
Seit dem 11. September macht das Fliegen in den USA kein besonderes Vergnügen mehr. Die Sicherheitskontrollen sind verschärft, Fehlalarme machen Personal und Reisenden das Leben schwer. Exzessive Schuhkontrollen sind für die Sprengstoffhunde eine Qual. Behörden und Fluglinien wollen dem ein Ende setzen, wie die Washington Post berichtete: Zukünftig soll jeder Reisende präventiv überprüft werden. Bald beginnen die ersten Tests.
Konkret sehen die Pläne vor, alle Flugreservierungssysteme des Landes mit einer riesigen Datenbank zu koppeln. Darin sollen sowohl Datensätze aus staatlichen als auch aus privaten Quellen zusammengefasst werden. Anhand bestimmter Kriterien werden dann verdächtige Personen ausgefiltert. "Data Mining" im Dienste der Sicherheit.
Kreditkarteninformationen, Telefonnummern, Sozialversicherungsnummer, Adressen - diese und viele weitere Daten sollen zusammengeführt werden. "Merkwürdige" Reisebewegungen werden dann über Jahre in der Datenbank abgespeichert bleiben. Passagier um Passagier wird genau geprüft. Hat er verdächtige Reiseziele in seiner Vita? Oder hat er die selbe Postanschrift wie ein potentieller Terrorist? Oder hatte er sie vor zwei Jahren? Verdächtig wäre es auch, wenn zwei Tickets mit der selben Kreditkarte bezahlt werden, die Sitzplätze aber in unterschiedlichen Teilen des Flugzeuges liegen. Pro Person könnten so 1.000 oder mehr Detailinformationen zusammen, die mit der Datenbank abgeglichen werden.
Die einzelnen Kriterien werden in einem Punktesystem gewichtet. Wird ein bestimmtes Punkteniveau überschritten, schaut man sich den Passagier genauer an. Nach Meinung der Verantwortlichen ein unaufdringliches Verfahren, das die Wartezeit an den Sicherheitsschleusen erheblich verkürzen könnte.
Um die notwendigen Daten zusammenzubekommen, müssten freilich noch einige Gesetze geändert werden. So stehen der Fair Credit Reporting Act und der Driver's Privacy Protection Act zur Debatte. In Bereichen, in denen solche Gesetze noch gar nicht existieren, ist die Bahn frei für viele weitere interessante Verknüpfungen. So könnte der Hollywood-Streifen "Sieben" als Vorlage dienen. In diesem Film kann der Bösewicht nur ausfindig gemacht werden, weil seine verdächtigen Buchbestellungen vom Bibliothekscomputer erfasst und an das FBI weitergeleitet wurden.
Die Lektüre der Passagiere zu überprüfen, könnte ohnehin ein durchaus lohnendes Unterfangen sein. Onlinebuchhändler wie Amazon sind ja bekanntlich für diverse Datenbankspiele zu haben (Amazon im Kreuzfeuer). Vorschlag zur Bewertung: Das Kommunistische Manifest - 3 Punkte. No Logo - 4 Punkte. Der Koran - 5 Punkte. Ein Buch über den Microsoft Flight Simulator - 25 Punkte. Irreale Gedankenspiele? Leider nein. Der Schriftsteller Tariq Ali wusste zu berichten, wie die falsche Lektüre Reisende in Verdacht bringen können (Mit solchen Büchern sollte man nicht verreisen)
Das Überwachungssystem ist auch ein gewaltiges Geschäft. Gleich mehrere Konsortien basteln an Prototypen. Dabei ist nicht nur die Technik entscheidend, sondern auch die vorhandenen Datensätze, die die Partner einbringen können.
Bei einer Lösung ist das Unternehmen HNC Software federführend. Die Firma verdient ihr Geld mit Vorhersagen, ob bestimmte Personen ihre Schulden pünktlich zurückzuzahlen. Bisher gehörten Kreditkartenunternehmen, Versicherungen und Telefonfirmen zu den Auftraggebern. Der Slogan: "Recognize opportunities. Identify risks. Capture efficiencies." Mit im Boot sitzt PROS Revenue Management, in deren Datenbank die kompletten Sitzplatzreservierungen der letzten Jahren in den USA verzeichnet sind. Dritter im Bunde ist der Marketingdienstleister Acxiom Corporation, der zum Beispiel Informationen über Einkommen, Grundbesitz und Zeitschriftenabonnements der US-Bürger besitzt.
"Durch ausgereifte Risikoanalyse und Entscheidungsautomatismen können wir Fluglinien, Flughäfen und Strafverfolgungsbehörden dabei helfen, Muster zu identifizieren, die weitere Ermittlungen rechtfertigen", erklärt HNC-Geschäftsführer John Mutch. Aber auch andere Konsortien schmieden an ähnlichen Systemen.
Egal für welches System sich die Bundesflugbehörde FAA entscheidet: die Effektivität dürfte daran zu leiden haben, dass es schlichtweg zu wenig Daten über Menschen gibt, die sich mit Flugzeugen in Hochhäuser stürzen. Und selbst wenn diese zuverlässig ausgefiltert werden könnten, hätten Terroristen keine großen Probleme, sich einen anderen Anschlag auszudenken oder sich völlig legal mit automatischen Waffen auszustatten.
Datenschützer vermuten, dass das System ausgeweitet wird. "Es gibt eine lange Geschichte von Daten, die zu anderen Zwecken benutzt werden, als sie gesammelt wurden. Das Missbrauchspotential ist enorm", sagt Steve Kobrin, Professor an der Universität von Pennsylvania. Und er stellt die Frage: "Ist es wirklich nötig, jede Bewegung jedes Luftreisenden aufzuzeichnen, um den Flugverkehr zu sichern?
Vielleicht nicht unbedingt, Auf alle Fälle wird es sich für die Sicherheitsfirmen lohnen: neben der Lizenz zum Datenscheffeln wollen sie für den Sicherheitscheck pro Passagier zwei Dollar berechnen. Ein Millionengeschäft. Sicherheit hat eben ihren Preis.