Blind für die Gefahr: Der Westen unterschätzt IS in Zentralasien
- Blind für die Gefahr: Der Westen unterschätzt IS in Zentralasien
- Die Positionierung des IS in Zentralasien
- Ein neues Niveau der Propaganda
- Auf einer Seite lesen
Während sich der Westen auf die Ukraine konzentriert, erstarken IS-Gruppen in der Region unbemerkt. Sie nutzen Spannungen zwischen Nato-Staaten, Russland und China.
Laut Behauptungen des Direktors der russischen Auslandsaufklärung, Sergej Naryschkin, sind auch "US-amerikanische und britische Sonderdienste im Spiel, welche mit Terrorgruppen kooperieren, um die Lage in zentralasiatischen Ländern zu destabilisieren."
(…) Trotz der eher beschämenden Flucht der Amerikaner aus Afghanistan vor einigen Jahren sehen britische und amerikanische Geheimdienste noch immer nicht davon ab, mit terroristischen Untergrundgruppen zu kooperieren mit dem Ziel, nicht nur Afghanistan, sondern auch die Nachbarstaaten Zentralasiens sowie Eurasiens zu destabilisieren.
Sergej Naryschkin
Die IS-Gruppierung Vilayatu Khorasan orientiert sich vorrangig auf die historische Region Khorasan, die sich über Teile Afghanistans, Pakistans, Turkmenistans, Tadschikistanstans, Usbekistans und Iran erstreckte. Gegenwärtig konzentriert die Terrorgruppe ihre Aktivitäten auf Zentralasien.
Die Bedrohung für zentralasiatische Staaten und Gesellschaften
Der Leser erfährt vom kirgisischen Autor, Dr. Kadyr Malikow, in welche komplizierte Lage Zentralasiens Staaten und Gesellschaften dadurch geraten, dass islamische, terroristisch agierende Organisationen, wie der IS Vilayatu Khorasan, die Unwägbarkeiten und Gefahren des "hybriden Kriegs der Konfrontation des Westens gegen Russland, angeführt von den Vereinigten Staaten", vermittels "interreligiöser und interethnischer Faktoren" zu ihrem Vorteil weiter eskalieren.
Dies erklärt Dr. Arne C. Seifert, Botschafter a.D., Senior Research Fellow am Institut für Internationale Politik WeltTrends. Er ist Initiator und Übersetzer der folgenden Analyse.
"Der weiche Unterleib": Zentralasien im Konflikt zwischen den Blöcken
Die wachsende Konfrontation zwischen dem kollektiven Westen, angeführt von den Vereinigten Staaten, sowie Russland und seinen Verbündeten löst bei den politischen Eliten der zentralasiatischen Länder Befürchtungen aus, dass sich die Region als "weicher Unterleib" früher oder später in eine Plattform für Projekte zur Eindämmung Russlands, Chinas und Irans verwandeln könnte.
Die Aussicht auf neue Konfrontationen zwischen dem kollektiven Westen und antiwestlichen Verbündeten – Russland, China und Iran – hat neue Bedingungen für die geopolitische Lage der zentralasiatischen Region geschaffen.
Wachstumsdynamik des politischen Islam
Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan haben jeweils Landgrenzen zum dauerhaft instabilen Afghanistan, wo neben der Taliban-Bewegung auch die Bedrohung durch den IS Khorasan wächst.
Und in jüngster Zeit haben diese beiden Oppositionsgruppen aus Afghanistan die Propaganda ihrer Ideologien in den sozialen Netzwerken spürbar intensiviert, um zentralasiatische Bürger für sich zu gewinnen.
Der Völkermord an den Palästinensern im Gaza-Streifen, die Eskalation dieses Konflikts im Nahen Osten sowie dessen mögliche Ausweitung zeugen von der Ohnmacht der internationalen Gemeinschaft und des Völkerrechts.
All diese Faktoren werden direkt oder indirekt die Wachstumsdynamik des politischen Islam von gemäßigten bis zu radikalen Gruppen und Bewegungen in der gesamten islamischen Welt, vom Nahen und Mittleren Osten über Nordafrika bis hin zu zentralasiatischen Ländern, beeinflussen.
Vor dem Hintergrund dieser neuen globalen Herausforderungen erhöht der anhaltende Krieg in der Ukraine zunehmend den Druck der großen "Player" auf die Länder der zentralasiatischen Region. Und man sieht, dass die politischen Eliten dieser Länder der ehemaligen UdSSR Signale zur Annäherung senden.
Dazu gehören Fragen der Grenzziehung und der Beilegung von Wasserstreitigkeiten sowie die Überprüfung der Position gegenüber Russland und dem Westen, um den Status quo aufrechtzuerhalten und eine mehr sektorale Außenpolitik zu verfolgen.
Verschärfung des Autoritarismus
Einerseits sind die Länder Zentralasiens derzeit gezwungen, in einem geopolitischen Konflikt zwischen dem Westblock (USA, EU-Länder) und dem Ostblock (Russland, China, Iran) zu balancieren. Auf der anderen Seite streben diese gleichzeitig nach einer Verschärfung des Autoritarismus in ihren eigenen Ländern.
Indem sie den Sicherheitskräften weitreichende Befugnisse verleihen, verschärfen sie gleichzeitig die Kontrolle über NGOs (die westliche Zuschüsse erhalten), den religiösen Bereich sowie die Zivilgesellschaft. Zudem schränken sie die Medienfreiheit ein und modernisieren ihre Streitkräfte.
Die Befürchtung, dass aufgrund von politischer Instabilität kopflos reagierende herrschende Eliten die gesamte Region ins "Chaos" stürzen könnten, verwandelt das Problem der Stabilität und Sicherheit jedes einzelnen Staats zu einem gesamtregionalen.
Es geht nicht nur um Machtverlust, sondern auch um die drohende Gefahr vollständigen oder teilweisen Verlustes der Souveränität der Region.
Instrumentalisierung der sunnitischen Muslime
In der Expertengemeinschaft gibt es bereits hitzige Diskussionen und unterschiedliche Einschätzungen der Ereignisse, Prognosen über die mögliche Aussicht auf hybride Kriege, die Ausweitung von Instabilität im zentralasiatischen Raum unter Beteiligung externer Zentren, verschiedener Länder und Kräfte, Clans und krimineller Gruppen, destruktiver religiöser Bewegungen aus Afghanistan sowie Terroristen des IS Vilayatu Khorasan.
Vor dem Hintergrund der Ereignisse in der Russischen Föderation nahm der Expertenrat unter dem Präsidenten der Kirgisischen Republik für ethnische Politik und Staatspolitik im religiösen Bereich im Jahr 2024 seine Arbeit wieder auf.
Bedenkt man, dass in den zentralasiatischen Ländern die Mehrheit der Bevölkerung sunnitische Muslime sind, steigt die Gefahr, religiöse und zugleich ethnische Faktoren als Instrument zur Reduzierung des Einflusses der Russischen Föderation im zentralasiatischen Raum zu nutzen.
Denn angesichts von Online-Rekrutierung durch den IS Khorasan hat die antirussische und antiiranische Propaganda in Telegramkanälen bereits begonnen.
Beispiel Balkankonflikt
Das Beispiel des Balkankonflikts, in dem der ethnische Faktor durch den konfessionellen Konflikt – orthodoxe Serben – katholische Kroaten – muslimische Bosnier – verschärft wurde, verdeutlicht einen solchen Zusammenhang. Ein solches Szenario könnte eine Bedrohung sowohl für die innere Einheit Russlands selbst als auch für die Zunahme von Islamophobie und Fremdenfeindlichkeit gegenüber Arbeitsmigranten aus Zentralasien darstellen.
Es ist möglich, dass in der Konfrontation des Westens, angeführt von den Vereinigten Staaten, gegen Russland aufgrund militärischer Misserfolge in der Ukraine und der Unfähigkeit, Russland auf dem Schlachtfeld zu besiegen, sowie der Unwirksamkeit westlicher Wirtschaftssanktionen gegen Russland andere Instrumente zum Einsatz kommen, um den bereits gegenwärtig hybriden Charakter des Kriegs noch weiter anzuheben.