Bluff aus dem französischen Innenministerium?
Der eilig aus Frankreich abgeschobene Mitarbeiter von Radio Dreyeckland befindet sich nun erneut auf dem Weg zum Gegengipfel gegen den G7-Gipfel im Baskenland
Vermutlich wird sich der freie Mitarbeiter von Radio Dreyeckland (RDL) Freiburg nun doch an den Protesten gegen den G7-Gipfel im baskischen Biarritz beteiligen können. Wie Telepolis erfahren hat, befindet sich "Luc" (sein kompletter Name ist der Redaktion bekannt) erneut auf dem Weg durch Frankreich, um ab Mittwoch am Gegengipfel im französisch-baskischen Hendaye und im spanisch-baskischen Irun teilzunehmen.
Der findet dort im Vorfeld des Gipfels der Staats- und Regierungschefs von sieben Industrienationen im Seebad Biarritz statt. Noch bis zum späten Montag war unklar, ob der freie RDL-Mitarbeiter erneut in Frankreich festgenommen und zum zweiten Mal nach Deutschland abgeschoben werden würde. Der Aktivist wurde offensichtlich Opfer einer der Listen, auf denen unter "Politisch Motivierte Kriminalität Links" (PMK Links) sogenannte "Störer" oder "Gefährder" geführt werden.
Luc geriet vor fast zwei Wochen bei Dijon, wo er wohnt und arbeitet, in eine Polizeikontrolle. Dort wurde er festgenommen, in eine Abschiebezelle gesperrt und nach fast 24 Stunden nach Deutschland abgeschoben. Gedroht wurde ihm mit einer dreijährigen Haftstrafe, sollte er erneut Frankreich vor dem 29. August betreten. Damit wurde der Zusammenhang zu seiner geplanten Reise zum G7 deutlich. Luc hatte im Laufe des Montags versucht, seine Lage bei deutschen und französischen Behörden zu klären.
Seine Anwältin Muriel Ruef hatte vergangene Woche in einer Eilentscheidung vor dem Verwaltungsgericht in Paris feststellen lassen, dass das Vorgehen der französischen Behörden und der Beschluss des Innenministeriums illegal waren. Wie an dieser Stelle berichtet, wurde ihm sogar eine Entschädigung von 1000 Euro zugesprochen. Doch im Verfahren war der Anwältin eröffnet worden, dass aus dem Innenministerium bereits ein neuer Beschluss gegen ihn vorliege.
Der Inhalt ist bis heute niemandem bekannt. Vermutet wurde, man werde versuchen, ihm die Einreise zu verweigern, was rechtlich einfacher als eine Abschiebung ist. Das stellte sich am Montag aber als falsch heraus. Bei der deutschen Polizei erklärte man ihm an der Grenze zu Frankreich in Kehl nur, dass "nichts gegen mich vorliegt", berichtete er von der Grenze. Schließlich betrat er Frankreich und versuchte auf Polizeistationen in Straßburg seine Lage zu klären, um nach Möglichkeit auch an den neuen Beschluss des Innenministers zu kommen.
Doch eine stundenlange Odyssee ergab keine Erkenntnisse. Auch die französische Polizei wollte ihn weder festnehmen noch abschieben. So machte er sich erneut auf den Weg ins Baskenland, wollte aber zunächst in Dijon bei seinem Arbeitgeber vorbeischauen, denn seinen Arbeitsvertrag konnte seit der Abschiebung am 9. August nicht mehr erfüllen.
Ob der Aktivist in einer der vielen Kontrollen hier im Baskenland doch noch festgenommen und erneut abgeschoben wird, darüber ist er sich nicht sicher. Er hat "ein mulmiges Gefühl", aber es sei auch "schön, die Unfähigkeit des Staates zu erleben". Seine Anwältin hatte ihm zum Versuch geraten, die Lage im Vorfeld zu klären: "Nach ihrer Ansicht habe ich nun aber genug getan."
Großeinsatz von Polizei und Militär
So stellt sich zunächst die Frage, ob der zweite Beschluss des Innenministeriums nur ein Bluff war, um den freien Journalisten abzuschrecken und doch an einer kritischen Berichterstattung zu hindern? Für Radio Dreyeckland war klar, dass Luc über die illegale Ausweisung daran gehindert werden sollte, am Gegengipfel und den Protesten gegen den G7 teilzunehmen.
Der Sender hatte deshalb "aufs Schärfste" gegen die Maßnahme protestiert, die "fatal" an die Vorgänge beim G20-Gipfel in Hamburg erinnerten und von einer vergleichbaren Einschränkung der Pressefreiheit gewarnt. Der Sender hat sich nun mit einer umfassenden Frageliste an die französischen Behörden gewandt, die Telepolis vorliegt, und Luc will mit seiner Anwältin die rechtliche Lage definitiv klären.
Bisher ist, nachdem das Pariser Gericht dem Innenminister Christophe Castaner mit dem Urteil vor den Bug geschossen hat, kein ähnlicher Fall mehr bekannt geworden. Castaner befindet sich heute in Biarritz und will "in situ" die Lage "im Bunker" inspizieren, wie die Menschen hier an der Atlantikküste allseits das "verrückte" Vorgehen bezeichnen. Mit Protesten wird er aber in der Hochsicherheitszone, in der sich nicht einmal die Anwohner normal bewegen können, kaum zu rechnen haben.
Am Wochenende wird, da Grenzschließungen und die massiven Kontrollen im Laufe der Woche noch massiv ausgeweitet werden sollen, mit einem Verkehrschaos ungeahnten Ausmaßes gerechnet. Immer mehr Menschen drängt sich angesichts der völlig überzogenen Sicherheitsmaßnahmen und Kontrollen der Eindruck auf, dass sie zum Ziel haben, Menschen vom legitimen Protest abzuschrecken und abzuhalten.
Hinter vorgehaltener Hand wird vermutet, dass Krawalle provoziert werden müssen, um den riesigen Einsatz von Polizei und Militär zu rechtfertigen. Im spanischen Baskenland werden schon Turnhallen als Notaufnahmelager für Touristen vorbereitet, die hier stranden und wegen des französischen Vorgehens vielleicht tagelang die Grenze nicht passieren können.