Böser Porno. Guter Porno?

Was bedeutet heterosexuelle Pornografie für die Stellung der Frau in der Gesellschaft?

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Kürzlich fand zum sechsten Mal das Pornfilmfest Berlin statt und PorYes, der Feministische Porno-Filmpreis Europa wurde zum zweiten Mal verliehen. In mehreren Blättern wie der Berliner tageszeitung1 oder auch dem Britischen Guardian2 erschienen Artikel zum Thema Pornographie - und von Spiegel Online wurde kürzlich die ehemalige Pornodarstellerin Sasha Grey interviewt.3 Frauen haben bei der Produktion, Darstellung und Bewertung von Pornographie eine Stimme. Man geilt sich nicht nur auf oder wendet sich angewidert ab: Man hört ihnen zu. Das ist neu.

Lange Zeit war Pornographie ohne größere Debatte produziert und konsumiert worden. Dann, in den 1970ern, begannen Feministinnen vor allem aus den USA, auf Sexismus und Gewalt in der Pornographie aufmerksam zu machen. Im Jahr 1975 erschien Susan Brownmillers Studie über Vergewaltigung und Männerherrschaft, in der sie Vergewaltigung als eben nicht irrational, spontan oder unkontrollierbar triebhaft, sondern als bewussten, feindlichen und gewalttätigen Akt der Demütigung und Inbesitznahme mit dem Ziel der Einschüchterung und Ängstigung beschreibt und als politisches Verbrechen bezeichnet.4 Brownmiller fragte, welche Elemente diese Einstellungen bei Vergewaltigern fördern und propagieren, und vermutete sie unter anderem bei Prostitution und eben Pornographie: Pornographie ist, wie auch Vergewaltigung, eine männliche Erfindung, dazu bestimmt, die Frau zu entmenschlichen, sie auf ein sexuelles Opfer zu reduzieren […]5 Im Jahr 1978 wurde die Gruppe „Women Against Pornography“ (Frauen gegen Porno) gegründet, die unter diesen Prämissen Pornographie verbieten lassen wollte.

In neuerer Zeit haben jedoch weitere Sichtweisen Gestalt gewonnen, die Pornographie weder geistlos konsumieren noch generell ablehnen, sondern eine andere Art der Pornographie fordern: Eine Art, die den Geschlechtsakt als intime Handlung wertschätzt oder auch als (heterosexuelle) Gewalt gegen Männer darstellt, oder die von und für Frauen gemacht ist. Auch der Zusammenhang zwischen (traditionell-sexistischer) Pornographie und Vergewaltigung wird heute wieder in Frage gestellt, wenn nicht sogar umgekehrt postuliert.

Die eingangs genannten Veranstaltungen und Texte bieten hierfür beredte Beispiele: Auf dem Pornfilmfest bekam „Gang Bang Barbie“ den ersten Preis in der Kategorie Kurzfilm. In diesem Film der schwedischen Künstlerin Joanna Rytel wird ein Mann von einer Gruppe Barbiepuppen vergewaltigt. Und die Initiatorinnen von PorYes wollen einen Kontrapunkt zur sexistischen Mainstream-Pornografie setzen. Die Autoren der tageszeitung - dieses Blatt unterstützt PorYes – stellen den älteren und den neueren Feminismus anhand des Umgangs mit Pornographie einander gegenüber: Alice Schwarzer habe Pornos verbieten wollen, ihre Nachfolgerinnen drehten sie lieber selbst, seien aber noch zu schwanzfixiert. Die Autorin des Guardian behauptet sogar, dass Porno gut für die Gesellschaft sei und verweist auf eine Studie des US-Kriminologen Anthony D'Amato6, der zufolge der Rückgang an Vergewaltigungen in den USA mit dem erleichtertem Zugang zu Pornographie korreliere und seiner Ansicht nach sogar darauf zurückzuführen sei. Ex-Pornostar Sasha Grey erzählt, dass sie sich mit knapp 18 Jahren sehr bewusst für ihre Laufbahn als Pornodarstellerin entschieden und mit Dildos und Unterleibsmuskeltraining zielstrebig drauf vorbereitet habe. Als der Erfolg kam, habe sie ihre Popularität für die Überwindung der traditionellen Geschlechterrollen in Pornofilmen genutzt. Mit 23 sei sie ebenso bewusst aus der Branche wieder ausgestiegen. - Weil sie begann, sich zu langweilen.

Dies sind nur wenige Beispiele für eine geänderte Einstellung gegenüber Pornographie: Nicht immer sind Frauen Sexobjekte, nicht immer bestimmen Männer, wo es lang geht. Und wenn doch, tut es vielleicht auch Frauen gut, weil weniger von ihnen vergewaltigt werden - was zynisch klingt, aber nützlich wäre. Angesichts solcher Sichtweisen kommt die Frage auf, ob die Produktion und der Konsum von Pornos die Gleichberechtigung möglicherweise unterstützen.

Gibt es dank Pornographie weniger Vergewaltigungen?

Durch diese Debatte um Pornographie ziehen sich zwei unterschiedliche Diskussionsstränge hindurch. Einerseits geht es um die Rolle der Frauen in den Pornofilmen selbst: Verherrlichen Pornos die Unterdrückung von Frauen? Wenn ja: Darf so etwas sein – die Unterdrückung von Juden oder Farbigen dürfte schließlich auch nicht verherrlicht werden. So argumentierte Brownmiller und sprach Pornos deswegen die Daseinsberechtigung ab.7 Auch heute noch dürften die meisten Pornos auf den Geschmack heterosexueller Männer ausgerichtet sein und die teilnehmenden Frauen tatsächlich eher als Sexobjekte darstellen. Dies Argument behält also seinen Wert.

Andererseits geht es bei der Debatte um die Frage: Beeinflussen Medien ihre Konsumenten? Und wenn ja: Wie? Hier wird etwa gefragt, ob Pornos Vergewaltigungen fördern, oder ob sie diese im Gegenteil verhindern. Anthony D'Amato nennt in seiner Studie Zahlen, denen zufolge die Rate von Vergewaltigungen – ihre Anzahl pro 1.000 Menschen über 12 Jahren - US-weit zwischen 1973 und 2003 deutlich zurückgegangen ist. Gleichzeitig wurde es, unter anderem dank Internet, deutlich einfacher, sich Pornos zu verschaffen.

Um einen möglichen Kausalzusammenhang herauszufinden, verglich D'Amato Zahlen aus acht US-Bundesstaaten: Er stellt die jeweils vier Staaten mit den wenigsten und den meisten Internetzugängen pro Tausend Menschen im Jahr 2001 neben die Vergewaltigungsrate jeweils aus den Jahren 1980 und 2000. Diese Rate ist in den vier Staaten mit dem geringsten Internet-Zugang deutlich gestiegen, und zwar insgesamt um 53 Prozent. In den Staaten mit der höchsten Internet-Zugangrate ist sie dagegen um insgesamt 27 Prozent gesunken. Als einziger Ausnahme Alaska, hier ist die Vergewaltigungsrate gestiegen, allerdings beträgt die Einwohnerzahl weniger als ein Zehntel von jener der drei anderen Staaten mit hoher Internetzugangsrate. Wenn es 1980 vergleichsweise schwierig war, sich Pornos zu verschaffen und im Jahr 2000 bzw. 2001 dank Internet dagegen einfach, wenn also mehr Pornos mit weniger Vergewaltigungen einhergehen, kann man nach einem Zusammenhang fragen.

Nun bedeutet Korrelation natürlich nicht automatisch Kausalität – sonst könnte man auch schlussfolgern, dass der Rückgang der Geburtenrate bei Deutschen mit dem Rückgang der Population von Störchen zusammenhängt. D'Amato vermutet jedoch tatsächlich eine Kausalität zwischen vereinfachtem Zugang zu Pornographie und dem Rückgang der Vergewaltigungsrate: Erstens, weil die Zahlen in beide Richtungen korrelieren, es also nicht nur weniger Vergewaltigungen bei mehr Internet, sondern auch mehr Vergewaltigungen bei weniger Internet gibt. Zweitens habe er im Jahr 1970 eine Kommission beraten, deren Untersuchungen zufolge es keinen Kausalzusammenhang gebe dazwischen, explizit sexuellen Inhalten ausgesetzt zu sein und sich in krimineller Weise zu verhalten. D'Amato nennt zudem mehrere Gründe, aus denen der erleichterte Zugang zu Pornos die Vergewaltigungsrate vermindern könne: Manch ein potenzieller Vergewaltiger gebe sich vielleicht mit Pornos zufrieden. Und: Pornos demystifizierten Sex, so dass Neugier und Begierde sinken und nicht mehr gewaltsam befriedigt werden „müssen".

D'Amatos Studie bietet gute Denkanstöße. Aber sie beendet nicht die Diskussion. Zu untersuchen ist etwa, warum die Vergewaltigungsraten in US-Bundesstaaten mit niedrigem Internetzugang anstiegen: Auch in diesen Staaten dürfte es zwischen 1980 und 2000 einfacher geworden sein, sich Pornos zu besorgen – also sollte man auch hier eine sinkende Vergewaltigungsrate erwarten, die nur eben weniger stark absinkt als anderswo. Außerdem sank die Vergewaltigungsrate nach D'Amatos eigenen Zahlen auch schon ab 1973, also schon vor der Verbreitung von Pornos über das Internet. Nicht so stetig wie danach, aber dennoch, sie sank. D'Amato sieht als Grund dafür das vergrößerte Offline-Angebot an Pornos seit „Deep Throat" (1972). Aber man könnte ebenso gut die aufkommende feministische Diskussion als Grund für den Rückgang sehen. Oder etwas ganz anderes – wenn die Rate nämlich vorher auch schon sank. Um dies zu überprüfen, sollte man die Zahlen von vor 1973 kennen. Aber D'Amatos Quelle, die National Crime Victimization Survey, gibt es erst seit 1973.

Trotzdem: Die Zahlen von 1980 und 2000/2001 und ihre Korrelation in beide Richtungen sprechen für einen Zusammenhang. Auch wenn der erleichterte Zugang zu Pornographie, wenn er tatsächlich ein Grund für den Rückgang der Vergewaltigungsrate ist, nur ein Grund von vielen sein dürfte. Andere wichtige Gründe könnten die gelockerte Sexualmoral sein: Sex in allen Spielarten ist einfacher zu haben als vor 30 oder 40 Jahren. Außerdem gehen Frauen und Männer heutzutage selbstverständlicher miteinander um - und je erfahrener eine Frau im Umgang mit Männern ist, desto besser kann sie sich ihnen gegenüber durchsetzen. Je mehr Männer über Frauen wissen, desto eher verstehen sie, dass eine Vergewaltigung ein schreckliches Verbrechen ist. Vielleicht wehren Frauen sich heutzutage auch eher – nicht nur physisch, sondern auch mit Anzeigen und Strafverfolgung. - Dies übrigens dank des Engagements von Feministinnen. Diese werden zwar etwa im Guardian-Artikel eher kritisch gesehen, dennoch gebührt ihnen der Verdienst, Sexismus in Pornos und der Gesellschaft in die Diskussion gebracht zu haben.

Sexismus und Gewalt in Pornos sind nämlich heikel. Denn selbst, wenn Pornographie tatsächlich gut für die Gesellschaft ist und die Vergewaltigungsrate sinken lässt – selbst dann stellen sich doch viele Fragen. Die beiden vielleicht wichtigsten:

Erstens: Wollen jene Männer, die Pornos schauen, statt Vergewaltigungen zu verüben, eigentlich Sex - oder wollen sie Gewalt? Ist es der Geschlechtsakt, oder ist es der Gewaltaspekt in vielen traditionellen Pornofilmen, der sie abhält von dem Verbrechen gegenüber einer Frau? Wenn es bei einer Vergewaltigung seltener um Sex und häufiger um (sexualisierte) Gewalt geht – und es spricht Einiges für diese These der Feministinnen der 1970er: Dann wollen diese Männer vor allem Gewalt. Es dürften definitiv nicht die „guten" Pornos emanzipierter Regisseurinnen sein, welche diese Funktion erfüllen, sondern solche, in denen Frauen gewaltsam erniedrigt werden. Und man darf sich die Frage stellen, ob dies nicht eben doch eine latente Un-Gleichberechtigung unterstützt. Diese Pornos mögen Vergewaltigungen verhindern, aber ob sie auch andere Arten der Unterdrückung verhindern, ist fraglich. Womöglich fördern sie diese sogar.

Zweitens bleibt ein deutliches Unbehagen angesichts des möglichen Umkehrschlusses: Wenn es nämlich dank Pornographie weniger Vergewaltigungen gibt, könnte es sein, dass es ohne Pornographie mehr Vergewaltigungen geben würde. Dann wäre es Pornographie, die potentielle Gewalttäter von Verbrechen abhält, Pornographie, und nicht Vernunft, nicht die Selbstverständlichkeit der Rechte der Frauen in einer modernen Gesellschaft, und auch nicht das Risiko der Strafverfolgung. Und Pornographie als Stütze für Recht und Gesellschaft: Ist dies nicht wackelig und ethisch fragwürdig?

Dennoch - wenn sich bei weiteren Untersuchungen herausstellte, dass Pornographie diese Funktion erfüllte, dann sollte man sie definitiv nicht mehr verteufeln.

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