Boris Johnson und die Anti-EU-Achse UK, Polen, Baltikum und Ukraine
Die ukrainischen Nationalisten wie der Rechte Sektor oder Asow wollen nicht in die EU, ausgebrütet wird eine osteuropäische Alternative zur EU, Großbritannien mischt mit
Die Phrasen sind bekannt, dass die Ukraine den Westen, die Demokratie und Freiheit verteidigt. Die ukrainische Regierung strebte die Aufnahme in die Nato an, sowohl der Beitritt zur Nato als auch der zur EU wurde 2019 in die Verfassung aufgenommen. Weil dies in absehbarer Zeit nicht geschieht, obgleich die Nato auch gegenüber der Ukraine an der Politik der offenen Türe festhält, bemüht sich Kiew nun verstärkt darum, möglichst schnell in die EU aufgenommen zu werden.
Seit 2017 gibt es ein Assoziierungsabkommen. Ende Juni wird die EU darüber entscheiden, ob die Ukraine den Status eines Beitrittskandidaten erhält, womit die Beitrittsverhandlungen beginnen können, die sich aber, wie die französische Regierung warnte, über Jahrzehnte hinziehen könnten.
Die ukrainischen Nationalisten wie der Rechte Sektor und Dmytro Jarosch haben zwar bei den Selbstverteidigungskräften der Maidan-Proteste mitgewirkt und haben dann mit der Finanzhilfe von Oligarchen Freiwilligenverbände wie Asow gegründet, die gegen die Separatisten kämpften und jetzt gegen die russischen Truppen, aber sie wollen nicht, dass die Ukraine der EU beitritt.
"Brauchen wir diese impotente Union?"
Dmytro Jarosch, der kurzzeitig Berater oder Assistent des Oberbefehlshabers der ukrainischen Armee, Walerij Saluschnyj, gewesen war, aber dessen anschließende Funktion unter Geheimhaltung steht, ist Kommandeur der "Ukrainischen Freiwilligenarmee" und seit Beginn des Krieges sehr aktiv. Er hatte Selenskyj 2019 schon mal mit dem Tod gedroht, wenn er das Minsker Abkommen umsetzen sollte, und sich erst Ende März hinter den Präsidenten gestellt, als im Krieg die Nation offenbar geeint Widerstand leistete.
Am 9. Mai erklärte er sich wieder einmal zur EU "Brauchen wir diese impotente Union? Was sind diese ‚Europäer‘ eigentlich wert?" Er verweist auf die Unterstützung durch Boris Johnson, von Polen, Litauen, Lettland, Estland und den USA:
Deshalb denke ich, dass wir nicht um die EU betteln sollten, denn die historische Entwicklung selbst fordert die Ukrainer auf, nicht irgendwo einzutreten, sondern etwas Eigenes zu schaffen. Wenn wir die Horde besiegen, werden wir die osteuropäische militärisch-politische Union gründen, die die Ukraine, Polen, Litauen, Lettland, Estland und das befreite Weißrussland umfassen wird. Wir werben für die Unterstützung Großbritanniens und der Vereinigten Staaten. Und wir werden zu einer Kraft, die hundert Jahre lang die Politik in Europa und der Welt prägen wird.
Dmytro Jarosch, Übersetzung Google
Von UK dominiertes Bündnis als Alternative zur EU
Man wird sich erinnern, dass die britische Außenministerin Liz Truss Ende Januar davon sprach, neue trilaterale Beziehungen zwischen der Ukraine, Polen und UK herstellen zu wollen.
Großbritannien ist auch deswegen daran interessiert, eine Achse UK-Polen-Ukraine aufzubauen, um sich mehr Einfluss in der Region zu sichern, aber auch um die EU zu schwächen, was auch im Interesse der USA sein dürfte.
Der Corriere della Serra berichtete vergangene Woche, dass der ukrainische Außenminister Kuleba bei einem geplanten Treffen auf dem Weltwirtschaftsforum mit den belgischen, griechischen und spanischen Ministerpräsidenten, der Präsidentin der Europäischen Zentralbank Christine Lagarde, den EU-Kommissaren Paolo Gentiloni und Frans Timmermas und Minister aus einigen Ländern nicht erschienen sei. Das wird als Zeichen der wachsenden Spannung zwischen der Ukraine und einigen EU-Mitgliedsländern interpretiert.
Im Hintergrund steht, dass der britische Regierungschef Boris Johnson, dessen Stuhl seit geraumer Zeit wackelt, bei seinem Besuch in Kiew am 9. April dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj einen "geheimen Vorschlag" gemacht habe. Tatsächlich hatte sich nach dem Besuch die Haltung der ukrainischen Führung verändert. Von Verhandlungen war kaum mehr die Rede, dafür von einem Sieg der Ukraine, bei dem das Land alle Gebiete zurückerobert oder zurückerhält.
Johnson schlug ein neues Bündnis als Alternative zur EU vor, natürlich mit der dominanten Position des Brexit-Großbritanniens. Dabei geht es nicht nur um die Achse mit Polen und der Ukraine, sondern auch mit den baltischen Ländern – und später vielleicht auch der Türkei, um einen neuen Halbmond zu bilden, der die EU von Russland abtrennt und die EU spaltet.
Die italienische Zeitung will den Plan, für den Johnson seit einem Monat ein Netz spinnt, von einigen informierten Quellen vernommen haben, die auch am WEF teilnahmen. Die Ukraine selbst habe sich noch nicht zu dem Plan direkt geäußert, dem aber auch nicht widersprochen.
Es werde wahrscheinlich auf die Entscheidung am 23. Juni ankommen, also ob die EU der Ukraine den Status eines Kandidaten mit der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen gewährt oder sich, wie das etwa der französische Präsident vorgeschlagen hat, dem Land nur eine "europäische Perspektive" ("Thessaloniki-Formel") bietet.
Der Corriere della Serra gibt zu bedenken, dass die Verbreitung des angeblichen britischen Plans lediglich dazu dienen könnte, die EU unter Druck zu setzen. Großbritannien zählt zwar neben den USA zu den wichtigsten Unterstützern der Ukraine, vor allem, was Waffenlieferungen betrifft, aber es hätte nicht die finanziellen Mittel, die die Ukraine zum Wiederaufbau oder auch nur zum Überleben benötigt.
Allein um die staatlichen Strukturen aufrechtzuerhalten, braucht die Ukraine fünf Milliarden US-Dollar pro Monat. Und ob Polen, das auf die Gelder aus Brüssel angewiesen und mit weitem Abstand der größte Netto-Empfänger ist, sich auf das Abenteuer einer Loslösung von der EU einlassen würde, ist höchst fraglich, zumal die Unzufriedenheit mit der PiS-Regierung wächst. Auch Litauen, Estland und Lettland sind Netto-Empfänger.
Mit der Aufnahme der Ukraine in die EU müssten die Netto-Empfängerländer damit rechnen, nichts mehr von Brüssel zu erhalten oder gar selbst mehr zahlen zu müssen.
Dass Johnson versucht, seine Vorstellung von Great Britain als Global Britain schon als Rettung vor seinem möglichen Untergang auch mit einer Ausdehnung der militärischen, politischen und wirtschaftlichen Allianzen zu betreiben, ist, siehe oben, evident. Möglicherweise will er auch nur ein Erpressungsmittel in der Hand haben, um die die EU etwa im Hinblick auf das Nordirland-Protokoll unter Druck zu setzen.
Großbritannien, das gemeinsam mit Polen in Europa am stärksten die ukrainische Regierung unterstützt, verstärkt auf jeden Fall die Risse in der EU in der Haltung gegenüber dem Ukraine-Krieg und der Ukraine zwischen den bedingungslosen Unterstützern einer militärischen Lösung, die auch eine Erweiterung des Kriegs riskieren, und denjenigen, die den Krieg beenden wollen und auf Verhandlungen setzen.
Die Biden-Regierung steht, was die Unterstützung von Kiew angeht, eher auf der Seite von UK und Polen, aber ob sie jetzt eine weitere Schwächung der EU riskieren will, die lange Zeit von den USA angestrebt wurde, ist fraglich, weil das auch den Zusammenhalt der Nato gefährden könnte.
Wenn die USA doch weitreichende MLRS-Mehrfachraketenwerfer der Ukraine übergeben, dann könnte dies möglicherweise als Kriegseintritt gewertet werden, da mit diesen Waffen, die eine Reichweite von 300 Kilometer haben, auch Ziele in Russland und Weißrussland angegriffen werden können.
Der Beitrag erschien zuerst auf Krass & Konkret