Brasilien hat die falsche Wahl
Der Rechtsextreme Bolsonaro hat nur Chancen auf das Präsidentenamt, weil die Demokratie in dem südamerikanischen Land angeschlagen ist
Brasilien erholt sich Anfang dieser Woche von einer ebenso absurden wie gefährlichen Präsidentschaftswahl: Der rechtsextreme Ex-Militär Jair Bolsonaro ging am Sonntag aus der ersten Runde der Abstimmung deutlich als Sieger hervor, obwohl er ein Außenseiter ohne institutionelle Unterstützung oder gar Erfahrung ist.
Die mögliche, vielleicht wahrscheinliche Wahl des 63-Jährigen ist auch das Ergebnis eines stillen und scheinbar unaufhaltsam fortschreitenden Putsches der Oberschicht gegen weite Teile der Bevölkerung und gegen die demokratische Ordnung. Das gefährliche Spiel der radikalen brasilianischen Oligarchie ist auch möglich, weil sie auf die Unterstützung der Finanzmärkte und der Industriestaaten, darunter auch Deutschland, setzen kann. So wird sich bei der Stichwahl am 28. Oktober zeigen, ob Brasiliens parlamentarische Demokratie in die Hände eines rechtsextremen Regimes fällt, dessen prominentester Vertreter schon jetzt unverhohlen mit schweren Menschenrechtsverletzungen droht.
Bolsonaro hatte bei der Wahl am Sonntag rund 46 Prozent der Stimmen erlangt, so die Wahlbehörde. Der linksgerichtete Fernando Haddad von der Arbeiterpartei (PT) erhielt rund 29 Prozent der Stimmen.
Das Ergebnis ist zwiespältig für Bolsonaro: Zwar hatten Umfragen ihn zuletzt bei etwa 36 Prozent der Stimmen gesehen. Dennoch hoffte der bekennende Anhänger der brasilianischen Militärdiktatur (1964-1985) auf eine absolute Mehrheit im ersten Wahlgang. Die zweite Runde dürfte für den Ultrarechten deutlich knapper werden. Zudem hat seine Partei PSL trotz großer Zugewinne im Kongress nur ein Zehntel der Sitze erlangt, im Senat sind es gerade einmal fünf von 66 Mandaten.
Damit ist schon jetzt klar, dass Bolsonaro auf ein Bündnis mit den beiden großen Machtblöcken im Kongress setzen muss: den Agrar-Unternehmern sowie den Evangelikalen, die beinahe die Hälfte der Abgeordneten kontrollieren. Die Armeeführung hat ihm indes bereits Unterstützung signalisiert. Haddad hingegen wird nun versuchen, den Widerstand der aufgeklärten Mittelschicht und der Armen, vor allem im afrobrasilianischen Nordosten, zu vereinen.
Bolsonaros Vormarsch war nur durch Manipulation möglich
Westliche Medien verwiesen nach dem Urnengang vom Sonntag wiederholt darauf, dass Bolsonaro einen Wahlkampf gegen die linke Arbeiterpartei geführt und sich als Kämpfer gegen die Korruption im Land inszeniert habe. Das stimmt durchaus, erklärt seinen Sieg aber nicht, weil diese Wahlkampfrhetorik ihre Wirkung nur bei einem Teil der Bevölkerung entfaltet hat: vor allem im reicheren und weiß geprägten Süden des Landes.
Tatsächlich ist der Teilsieg des Rechtsaußen-Kandidaten Bolsonaro das jüngste Kapitel eines schleichenden Putsches gegen die PT und das parlamentarisch-demokratische System. Dieser sanfte Staatsstreich hat mit der Amtsenthebung der letzten demokratisch gewählten Präsidentin Dilma Rousseff im August 2016 begonnen. Damals konnte - offenbar in Absprache mit der politischen Rechten - Rousseffs Vize Michel Temer die Macht ergreifen.
Zugleich wurde von Teilen der Justiz ein umstrittener Korruptionsprozess gegen den beliebten PT-Politiker und Ex-Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva initiiert - ähnlich wie das Verfahren gegen Rousseff mit dünner Indizienlage (Putschisten in Richterroben), aber starker ideologischer Motivation. Die Absetzung Rousseffs und die spätere Inhaftierung Lula da Silvas verschafften der neoliberalen Rechten einen nachhaltigen Vorteil.
Lula da Silva lag bis zuletzt, obwohl im Gefängnis, in den Umfragen weit vorne. Erst knapp vor der Wahl verbot das Wahlgericht die Kandidatur des beliebten Politikers, und das entgegen der expliziten Aufforderung des Menschenrechtsausschusses der UN, der faire Wahlen anmahnte. So hatte PT-Ersatzkandidat Haddad am Ende gerade einen Monat Zeit für seinen Wahlkampf.
Warnungen vor einem faschistischen Regime
Teil der politischen Realität ist auch, dass die skandalösen Winkelzüge der brasilianischen Oligarchie in Politik und Justiz nur mit internationaler Unterstützung möglich sind.
Die deutsche Bundesregierung mochte auf Nachfrage der Linksfraktion beim Verfahren gegen Lula da Silva keine rechtsstaatlichen Probleme erkennen (Antwort auf Frage 30), während Juristen unzählige Verfahrensfehler und Rechtsbeugungen anprangerten.
Die SPD, Schwesterpartei der brasilianischen PT, wagte einen politischen Spagat: Während der Abgeordnete Martin Schulz Lula da Silva besuchte und seine Fraktionskollegin Yasmin Fahimi als Vorsitzende der Deutsch-brasilianischen Parlamentariergruppe vor dem Konterfei des politischen Gefangenen Lula da Silva posierte, war von den deutschen Sozialdemokraten am Tag nach der Wahl nichts zu hören. Lediglich aus der Linksfraktion wurde Bolsonaro heute kritisiert und auf die Aberkennung des Wahlrechtes für 5,6 Millionen Wählerinnen und Wähler vor allem im ärmeren Nordosten des Landes verwiesen.
Maria Luísa Mendonça, Direktorin des brasilianischen Netzwerks für soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte, bezeichnete das Ergebnis der ersten Wahlrunde am Sonntag als "Folge eines politischen Diskurses, der auf Angst und Manipulation beruht". So sei mit Bolsonaro ein Bewerber für das Präsidentenamt auf dem Vormarsch, der offen für Folter und die Rückkehr der Militärdiktatur eintritt. Es liege nun an den progressiven Kräften, "die Demokratie in Brasilien zu verteidigen und eine starke Nachricht gegen den Faschismus zu senden".
Alexander Main, Direktor des US-amerikanischen Zentrums für Wirtschafts- und Politikforschung (CEPR) bezeichnete die Wahl am Sonntag als Ergebnis der "verfassungswidrigen Amtsenthebung Rousseffs und der ungerechtfertigten Inhaftierung Lula da Silvas". Der rechte Putsch gegen Rousseff und Lula da Silva habe, wenn auch unbeabsichtigt, dem Faschismus den Weg bereitet.