Brauchen wir einen EU-Wiederaufbaufonds?
- Brauchen wir einen EU-Wiederaufbaufonds?
- Keine Alternative: einfache Verzinsung ohne Risikoprämie
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Und weshalb das Bundesverfassungsgericht die EU-Kommission außer Acht lassen und sich auf den Schutz des Grundgesetzes konzentrieren kann
Derzeit beschäftigt man sich in Karlsruhe mit einer Verfassungsbeschwerde gegen den EU-Wiederaufbaufonds NextGenerationEU1, dessen Notwendigkeit die EU-Kommission und die Regierungen von Mitgliedsstaaten mit der Corona-Pandemie begründen.2
Die Argumente für und gegen den Fonds wiegen schwer, weshalb sich das Bundesverfassungsgericht unter Druck gesetzt fühlen könnte: entscheidet es gegen den Fonds werden Medien, Politiker und EU-Kommission voraussichtlich die Verfassungsrichter für drohende Verschärfungen der Wirtschafts- und Klimakrisen verantwortlich machen.
Demgegenüber steht die Verschuldung, die auch künftigen Generationen weniger finanzwirtschaftlichen Gestaltungsraum lassen wird und damit die wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte aller beschränkt. Die Bundesbank, als Organ des Eurosystems, fasst die wirtschaftlichen und rechtlichen Probleme die durch NextGenerationEU geschaffen würden im Monatsbericht für August 2020 (Seite 87) so zusammen:
Die umfangreiche Schuldenfinanzierung, insbesondere von Transfers, ist demgegenüber ein bedenkliches Novum. Eine Kreditaufnahme auf der EU-Ebene ist in den EU-Verträgen eigentlich nicht vorgesehen. Die umfangreichen EU-Schulden werden deshalb damit gerechtfertigt, dass es sich um ein außergewöhnliches und vorübergehendes Instrument zur Krisenbewältigung handelt.
Eine für das Verfassungsgericht typische Kompromisslösung, die beiden Seiten Zugeständnisse abverlangt, dürfte hingegen von der EU-Kommission und den anderen Staaten ignoriert werden und so die Stellung des Bundesverfassungsgerichtes schwächen.
Doch was, wenn der Fonds gar nicht erforderlich wäre, weil in der EU und sogar weltweit genug Geld verfügbar wäre, um die Krisen zu überwinden und das Geld automatisch direkt dort vorhanden wäre, wo es am nötigsten ist - bei den Bürgern, den Unternehmen und beim Staat?
Für das Bundesverfassungsgericht würde dies vereinfacht gesagt bedeuten, dass es eigentlich die Verhältnismäßigkeit des EU-Wiederaufbaufonds gar nicht mehr zu prüfen hätte, da diese generell nur dann diskutiert werden muss, wenn die fragliche Maßnahme zunächst erforderlich ist.
Erforderlich ist der EU-Wiederaufbaufonds dann nicht, wenn sich das Ziel der EU-Kommission und der Bundesregierung genauso erreichen ließe, jedoch ohne oder mit weniger schweren Grundrechtseingriffen.
Was soll der Wiederaufbaufonds also erreichen? Die EU-Kommission kündigt "NextGenerationEU" als größtes Konjunkturpaket aller Zeiten an.
Laut Kommission wird NextGenerationEU dabei helfen, mit über 800 Milliarden Euro "(…) die unmittelbar coronabedingten Schäden für Wirtschaft und Gesellschaft abzufedern. Das Europa nach Corona wird umweltfreundlicher, digitaler und krisenfester sein und aktuellen wie künftigen Herausforderungen besser standhalten."
Auf die Aufbau- und Resilienzfazilität allein entfallen Kredite in Höhe von 385,8 Milliarden Euro und Zuschüsse im Umfang von 338,0 Milliarden Euro. Die Finanzierung dieser Projekte soll über eine Gemeinschafts-Kreditaufnahme auf den Finanzmärkten erfolgen, da die EU im Gegensatz zu einigen Mitgliedstaaten über eine exzellente Bonität verfügt, so dass sie ihren Preisvorteil an die Mitgliedsstaaten weitergeben kann.
Die gemeinsame Schuldenaufnahme soll die Belastung der Mitgliedstaaten bei der Bezahlung der Kredite verringern. Bei den Kosten und der Rechtslage stellt sich jedoch die Frage, ob die 385,8 Milliarden Euro nicht in einer Art und Weise aufgebracht werden könnten, die die Bürger jetzt und auch in absehbarer Zeit weniger finanziell und rechtlich belastet, als die gemeinsame Kreditaufnahme?
Kunden mit exzellenten Sicherheiten werden bevorzugt behandelt
Die Herangehensweise der EU-Kommission entspricht dem vorherrschenden Zinssystem, in dem riskante Kunden mehr für dasselbe Darlehen zahlen, als weniger riskante, da die risikogewichteten Zinsen hauptsächlich vom Vorhandensein und der Qualität der Kreditsicherheiten abhängen.
Das heißt, Kunden mit exzellenten Sicherheiten wie beispielsweise Immobilien in optimaler Lage zahlen kaum Risikoprämien, solche mit schlechten Kreditsicherheiten oder ohne zahlen erheblich höhere Risikoprämien, die auf die Zinsen aufgeschlagen und mit diesen verrechnet werden.
Dieses Zinssystem behandelt Kreditsicherheiten und Risikoprämien in den Zinsen demnach als austauschbar 3, unklar ist aber, warum dann am Ende der Kreditlaufzeit nur die Kreditsicherheit an den Kunden zurückgegeben wird, nicht aber die Risikoprämie.
Anstatt des veralteten "cost-plus loan-pricing model"4 der Finanzindustrie, verwenden Banken nun das "price-leadership model", um den Zins als Preis von Krediten festzulegen. Im price-leadership model bietet die Bank ihrem kreditwürdigsten Kunden für kurzfristige Darlehen eine sogenannte prime rate (auch base rate genannt), die als Messlatte für sämtliche Darlehen dient, die allen anderen weniger kreditwürdigeren Kunden angeboten werden.5
Die Bonitätseinstufung per credit scoring (und credit rating im Fall von Staaten und Unternehmen) dient der Festlegung von Risikoprämien die den prime rate Zinsen aufgeschlagen werden und die von allen riskanteren Kunden bezahlt werden müssen. Sind alle anderen Umstände wie Darlehenssumme und Cashflow bei den Kunden identisch, wird die Risikoprämie hauptsächlich von zwei Faktoren bestimmt: von der Kreditsicherheit und Laufzeit.
Das Risiko des Darlehensgebers verringert sich, wenn das Darlehen durch eine möglichst wertvolle Kreditsicherheit abgesichert ist. Und nachdem sich die Zahlungsfähigkeit des Kunden in naher Zukunft voraussichtlich nicht sofort ändert, ist das Risiko des Darlehensgebers umso geringer, je kürzer die Darlehenslaufzeit ist. Diese Risikogewichtung per Risikoprämie in Zinsen wird von den Basel Accords vorgeschrieben.6
Neben Risikoprämien und Zinsen ist die Art der Zinskalkulation für die finanzielle Belastung entscheidend. Standardmäßig verwendet die Finanzindustrie die Zinseszinsmethode in Kombination mit Risikoprämien aufgrund der geforderten Risikogewichtung. Das wirtschaftliche Ergebnis ist bei dieser Kombination erheblich anders als bei der einfachen Verzinsung.
Deshalb ist es wichtig den rechtlichen Charakter der Risikoprämie zu bestimmen, indem man die Vorteile der Risikoprämie für beiden Seiten des Darlehensvertrages analysiert. Offensichtlich handelt es sich bei der Risikoprämie um keine Versicherung, wenn die Finanzindustrie Credit Default Swaps zur Absicherung gegen das Ausfallrisiko nutzt.
Risikoprämien werden auch nicht für Mischkalkulationen verwendet: "Die risikogewichtete Preisbildung ermöglicht es dem kreditwürdigeren Kunden ein Darlehen zu einem reduzierten Preis zu erhalten, was die Erwartung der Bank hinsichtlich des erwarteten geringeren Ausfallrisikos widerspiegelt. Im Ergebnis subventionieren weniger riskante Darlehensnehmer nicht die Kreditkosten der riskanten Kunden."7
Ein aufgrund seiner exzellenten Kreditsicherheit praktisch risikoloser Kunde stellt für den Darlehensgeber kein Risiko dar, selbst wenn die vollständige Zahlung der ursprünglichen Darlehenssumme an den Darlehensgeber erst zu einem späten Zeitpunkt erfolgt.
Der Zahlungsausfall von Darlehensnehmern ohne oder mit lediglich unzureichenden Kreditsicherheiten sind besonders zu Beginn des Darlehens riskant, wenn nur ein paar wenige Raten beglichen wurden, weil der Darlehensgeber die Darlehenssumme kaum eintreiben kann.