Brexit: Die Kontrolle zurückgewinnen

Brexit und der Streit, wer wo etwa Heringe fangen darf. Bild: Atle Grimsby/CC BY-2.0

Großbritannien steigt aus dem Londoner Fischereiabkommen aus, das anderen Ländern bisher erlaubte, in britischen Gewässern zu fischen

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Der britische Umweltminister Michael Gove hat Anfang Juli den Rückzug des Landes aus dem Londoner Fischereiabkommen von 1964 bekanntgegeben. Das Abkommen war noch vor dem Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Union unterzeichnet worden und erlaubte unter anderem britischen, dänischen, deutschen, französischen, irischen und holländischen Fischereifahrzeugen, an den Küsten der jeweils anderen Vertragsspartner in einer Entfernung von sechs bis zwölf Seemeilen zu fischen.

Im betreffenden Segment der britischen Küstengewässer machte das 2015 jedoch nur geschätzte 10000 Tonnen im Wert von 17 Millionen Pfund Sterling aus. Zum Vergleich der Größenordnung: EU-Fischereifahrzeuge fingen in allen britischen Territorialgewässern im gleichen Zeitraum 683.000 Tonnen (Wert: 484 Millionen Pfund Sterling). Der Gesamtfang der Briten belief sich 2015 auf 708.000 Tonnen, geschätzter Wert: 775 Millionen Pfund Sterling. 110.000 Tonnen (Wert: 114 Millionen Pfund Sterling) stammten aus Gewässern anderer EU-Mitgliedstaaten.

Bei den Brexit-Befürwortern von Fishing for Leave (Die gestohlene See) stieß das Ansinnen im Vorfeld auf Unverständnis. Warum sich mit einer derart obsoleten Gesetzgebung aufhalten? Mit ihrer Begrenzung auf die Zone zwischen sechs und zwölf Seemeilen hat sie ihre Relevanz längst verloren - wie an den Fangmengen erkennbar ist, steht heute die Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) bzw. die 200 Seemeilen-Zone im Mittelpunkt der Begehrlichkeiten.

Die britische AWZ entstand erst mit dem Fisheries Limits Act 1976 und wurde sofort Teil der EU-AWZ - unter Kontrolle der Europäischen Union. Für die Vertreter von Fishing for Leave ist klar: Endet die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens, endet auch jegliche rechtliche Verpflichtung zur Anerkennung historischer Fischereizugangsrechte anderer Nationen in britischen Gewässern. Insofern hat der Ausstieg aus dem Londoner Fischereiabkommen seine Berechtigung, da er eine ansonsten verbleibende Hintertür zu britischen Fanggründen schließt. Für manche Fischer ist Goves Ankündigung auch darüber hinaus ein gutes Zeichen: eine Willensbekundung der Regierung, dass es ihr mit dem Brexit tatsächlich Ernst ist.

Außengrenzen der AWZ in der Nordsee. Bild: Halava/CC BY-SA 3.0

Gove betonte in einem BBC-Programm, dass der Brexit auch den Ausstieg aus der Gemeinsamen Europäischen Fischereipolitik nach sich zieht. Die gewährt allen europäischen Staaten Zugang in die Gewässer, die in einer Entfernung zwischen zwölf und 200 Seemeilen von der Küste liegen. Die Quoten werden vom Rat der Fischereiminister festgelegt - zulässige Gesamtfangmengen, die jede Fangnation anlanden darf. Mit dem Brexit wollen die Briten nun die volle Kontrolle über ihre AWZ zurückerlangen. Zukünftige Fischereiabkommen sollen danach bilateral angelegt werden, wie etwa das zwischen Norwegen und der EU.

Geleakte Überraschung: EU beharrt auf Status quo

Erst im Februar 2017 hatten die Hoffnungen der britischen Fischer einen kapitalen Dämpfer erhalten. Ein geleaktes EU-Dokument hatte Vorkehrungen ans Tageslicht geholt, die Mitglieder des Europäischen Parlaments für eine Vereinbarung zum Ausstieg des Vereinigten Königreichs aus der EU ausgetüftelt hatten, darunter eine Klausel, die keine Anhebung des britischen Anteils an den gemeinsam bewirtschaften Fischbeständen vorsieht.

Wenn man auch weiterhin an einer nachhaltigen Fischerei interessiert sei, so die Argumentation in Brüssel, sehe man schlichtweg keine andere Alternative als die Weiterführung der Gemeinsamen Europäischen Fischereipolitik. Der künftige Zugang Großbritanniens zum europäischen Binnenmarkt solle deshalb davon abhängig gemacht werden, ob die Briten ihre bisherigen fischereilichen Rechte und Pflichten auch weiterhin wie vereinbart wahrnähmen.

Das Festhalten der EU am Status quo hat handfeste wirtschaftliche Gründe: Rund ein Drittel des Gesamtfangs aller europäischer Fangflotten stammt aus britischen Gewässern. Die europäische Industrie schätzt, dass ein Verlust des Zugangs eine Halbierung des Reingewinns nach sich ziehen wird - und den Verlust von 6000 Vollzeit-Arbeitsplätzen.

Währenddessen sorgt eine weitere geleakte Klausel für Unmut: "Quota hopper" sollen auch weiterhin in britischen Gewässern zugelassen sein: Bootseigner aus der EU, die unter britischer Flagge fischen. Im Brexit-Vorfeld hatte sich die Diskussion an der CORNELIS VROLIJK entzündet, die ein Viertel der England zugeteilten Fischereiquoten hält, oder 6% der gesamten britischen Quote. Der Trawler fährt unter britischer Flagge, gehört jedoch zum niederländischen Fischereiunternehmen Cornelis Vrolijk/ Jaczon.

Dänemark beruft sich auf historische Zugangsrechte

Dänemark sucht unterdessen einen eigenen Weg, um auch weiterhin in britischen Gewässern fischen zu können, falls die Briten tatsächlich Ernst machen sollten. Die Dänen berufen sich auf historische Zugangsrechte, die ihrer Meinung nach bis ins 15. Jahrhundert zurückreichen.

Dafür sind Kopenhagener Beamte tief ins Archiv gestiegen und haben einen Fall konstruiert, der auch vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag wasserdicht sein soll, auch wenn die Dänen ein solches Szenario vorerst vermeiden wollen. Seit Jahrhunderten fischen sie in der Nordsee. Die Gemeinsame Europäische Fischereipolitik hat diesen Zugang geregelt und über Quoten in Zahlen gegossen. Dänische Fischer fangen 40% ihres jährlichen Fangs in der britischen 200-Seemeilen-Zone.

Für die dänische Regierung sind auch diese Quoten der Nachweis ihres Anspruchs auf historische Zugangsrechte, denn sie basieren auf traditionellen Fischereigewohnheiten. Einige dänische Gemeinden sind fast vollständig vom Zugang zu den britischen Gewässern abhängig, vor allem an der Küste von Jütland.

Die Dänen wollen zur Verteidigung UNCLOS in Stellung bringen, das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, das die Staaten dazu anhält, traditionelle Fischereirechte benachbarter Länder innerhalb ihrer Hoheitsgewässer zu respektieren. Großbritannien und Dänemark sind beide Unterzeichner. Sollten sich die Briten sträuben, empfiehlt Niels Wichmann, Chef der dänischen Fischerverbands, ein Druckmittel: die Blockade des Verkaufs von britischem Fisch auf dem Kontinent. Der Anspruch der Briten auf die Reichtümer ihrer Hoheitsgewässer sei Nonsens. Für Öl und Gas gelte der vielleicht - aber nicht für Fisch.

Auch die European Fisheries Alliance, ein im März gegründetes Bündnis, das die Interessen der Fischereiindustrie europäischer Küstenanrainer bei den Brexit-Verhandlungen vertreten soll, hält die historischen Zugangsrechte für ein starkes Argument. Der Vorsitzende Gerard van Balsfoort, gleichzeitig Präsident der Pelagic Freezer-trawler Association, hatte das Gespräch mit dem zu diesem Zeitpunkt noch amtierenden Brexit-Minister David Jones gesucht und war danach etwas konsterniert: Sein Gesprächspartner hatte durchblicken lassen, dass das Vereinigte Königreich die alten Verträge zerreissen werde.

Phrasen vom Umweltschutz, Träume vom reibungslosen Handel

Umweltminister Gove verbindet das geplante Ausscheiden aus der Gemeinsamen Europäischen Fischereipolitik mit einer Hoffnung: Dieser Schritt soll der Umwelt helfen. Äußerungen von britischen Fischereivertretern lassen an der Ernsthaftigkeit dieser Aussage jedoch Zweifel aufkommen.

Bild: Bernd Schröder

Zum Beispiel Bertie Armstrong, Chef der Scottish Fishermen's Federation, für den die Branche zurzeit nur mit halber Kraft arbeitet. Dieser Umstand sei der Tatsache geschuldet, dass die Fischer keinen Zugang zu all dem ihnen zustehenden Fisch hätten. Großbritannien könne die Menge seiner Anlandungen verdoppeln - und zwar nachhaltig. Dafür brauche die pelagische Industrie größere Boote mit hoher Fangkapazität, um den Nordostatlantik auch bei schlechtem Wetter befischen zu können. Die Briten würden ihren Fisch größtenteils aus der eigenen AWZ beziehen und nur zu kleinen Teilen aus anderen Gewässern, während alle anderen sich hauptsächlich in den britischen Gewässern bedienten.

Armstrong sieht sein Land bei den anstehenden Post-Brexit-Verhandlungen gut positioniert. Das Ziel sollte die Wiedererlangung des alleinigen Zugangs zu allem Fisch in den britischen Hoheitsgewässern sein. Wenn der nicht gewährt würde, sollten die Briten die Verhandlungen verlassen. Armstrong unterlegt seine Argumentation mit Daten einer Studie der Universität Aberdeen zur räumlichen Verteilung wirtschaftlich relevanter Fischarten, die zeigten, dass der britische Quotenanteil deutlich unter dem durchschnittlichen Anteil dieser Fische in der britischen AWZ läge. Zum Beispiel der Hering: Großbritannien hält eine Quote von 15% an seinen Beständen, doch in der britischen AWZ lebten 88% der fischbaren Herings-Biomasse.

Für Barrie Deas, Geschäftsführer der National Federation of Fishermen's Organisations, ist vor allem der Handel wichtig. Zwischen dem Vereinigten Königreich und dem Kontinent soll der so frei und mit so wenigen Hindernissen wie möglich vor sich gehen. Der Beauftragte der EU-Kommission für die Austrittsverhandlungen mit Großbritannien, Michel Barnier, hat einem solchen Ansinnen jedoch erst jüngst eine klare Absage erteilt.

Auch Andrew Kuyk, Geschäftsführer der UK Seafood Industry Alliance, würde am liebsten möglichst nah am EU-Markt verbleiben. Er will gute Handelsbeziehungen mit der EU, die für den britischen Fischverarbeitungssektor sehr wichtig sind. Denn der schafft den Mehrwert und gibt vielen Menschen Arbeit, mindestens ebenso viele Arbeitsplätze wie die 11.000, die direkt im Fischfang angesiedelt sind. Der Jahresumsatz liegt bei 4.2 Milliarden Pfund Sterling. Für ihn ist klar: selbst wenn die Briten plötzlich die Herren über den Fisch in ihren Territorialgewässern würden, bliebe immer noch die Importabhängigkeit, da die Nachfrage auch dann noch das tatsächliche Angebot übersteigen würde.

Die Aussichten: Brexit-Chancen am Horizont?

Sollte der Brexit tatsächlich durchgezogen werden, sehen optimistische Beobachter Chancen, die der Austritt für die britische Fischerei und den Zustand der Bestände bringen könnte. Dafür wird ein durchdachter Neubeginn gebraucht, der aus den Fehlern der verhassten Gemeinsamen Fischereipolitik Europas und den eigenen Verfehlungen in der Vergangenheit richtige Schlüsse zieht und zwischen den Interessen aller Beteiligten ausgleicht.

Um eine Überfischung der Bestände zu vermeiden, kann sich das Herangehen an die Probleme nicht darin erschöpfen, wer welche Zone befischt - noch dazu bei Beständen, die sich nicht um Grenzen kümmern und wandern. Diese Fischbestände werden mit den anderen Anliegern geteilt. Hier sind Kooperation und ein gemeinsames Managment gefragt sowie weitere Details zu klären - wie etwa Entnahmemengen, die eine Erhaltung der Fischbestände gewährleisten.