Brüssel: Mekka der Lobbyisten
Erstmals Preis für die schlimmste EU-Lobbyorganisation vergeben
Am Mittwoch Abend wurde in Brüssel erstmals der Preis für die "irreführendste und problematischste Lobbyorganisation" in der EU, der Worst EU Lobbying Award, vergeben. Bei der Beeinflussung der EU-Politik – und nicht nur dort - wird mit harten Bandagen und fragwürdigen Methoden gearbeitet. Zehn Organisationen, die sich dabei besonders hervorgetan haben, waren nominiert. Die Veranstalter der Preisverleihung, darunter die Organisation LobbyControl aus Köln, sehen in dieser Aktion auch einen Appell an die EU-Kommission, "ihr eigenes Haus in Ordnung zu bringen". Mehr als 8.000 Bürgerinnen und Bürger der EU haben sich an der Online-Abstimmung im Internet beteiligt.
Ihren Ursprung in Brüssel haben deutlich mehr als die Hälfte der nationalen Gesetzgebungen in den EU-Mitgliedsstaaten. Richtlinien, Verordnungen, Gesetze und Weißbücher bestimmen viele Politikbereiche der Mitgliedsstaaten: Wirtschaft, Verbraucherschutz und internationale Handelspolitik zum Beispiel.
Brüssel ist mit seiner EU-Kommission und dem Ministerrat, den Abgeordneten des Europäischen Parlaments und den ständigen Vertretungen der Mitgliedsstaaten zum europäischen Mekka der Lobbyisten geworden: Knapp 15.000 sind es nach Expertenschätzungen. Die Dunkelziffer ist hoch, denn es gibt Anwaltskanzleien, die von großen Konzernen beauftragt werden und sich gar nicht offiziell als Lobby bezeichnen. Es gibt wissenschaftliche Vereinigungen, die sich den Anstrich der Neutralität geben, obwohl sie vor allem von einer Geldquelle abhängig sind, meistens von einem großen Unternehmen. Mit Seminaren, in vertraulichen Gesprächen, fertigen Gesetzesentwürfen, kleinen Gefälligkeiten und manchmal auch mit Drohungen versuchen diese Lobbyisten, die Interessen ihrer Auftraggeber durchzusetzen.
Zahlreiche Ereignisse der vergangenen Jahre haben das Misstrauen gegen den Berufszweig der Lobbyisten in der Öffentlichkeit geweckt. Zuletzt bei der Chemierichtlinie REACH, deren Vorlage so verwässert wurde, dass sie kaum noch als Schutz vor gefährlichen Chemikalien wirksam werden dürfte. Die 140 Beschäftigten des Dachverbandes der Europäischen Chemieindustrie haben erfolgreich gearbeitet. Schon die Zahlenverhältnisse machen klar, wer in Brüssel das Sagen hat. Bei Greenpeace etwa sind es gerade einmal zwei Personen, die sich mit Chemie-Fragen beschäftigen. Die Interessen der Umwelt- und Verbraucherschutzverbände sind denen der Wirtschaft also weit unterlegen.
Einige Nichtregierungsorganisationen, darunter Corporate Europe Observatory aus Amsterdam und die Kölner Organisation LobbyControl, haben nun erstmals einen "Worst EU-Lobbying Award", einen Preis für das schlimmste Lobbying in der EU, ausgelobt. Zehn Organisationen und Konzerne waren nominiert, unter anderem der europäische Dachverband der Chemieindustrie und die Europäische Partnerschaft für Energie und Umwelt. Hinter dieser Lobbyorganisation, die ihrem Namen nach den Eindruck erweckt, als trete sie für eine umweltfreundliche Energiepolitik ein, stecken nach Angaben der Preisverleiher die Großen im Geschäft mit den F-Gasen. F-Gase sind die Nachfolger der FCKW-Kühlmittel, die Anfang der 90er Jahre wegen der Schädigung der Ozon-Schicht aus dem Verkehr gezogen wurden. Der Umweltausschuss des Europaparlaments plädierte für einen schnellen Gesamtausstieg, weil alle F-Gase sich als klimaschädlich erwiesen haben. Der Ausschuss legte einen ehrgeizigen Gesetzesentwurf vor. Doch die Rechnung wurde ohne die Industrielobby gemacht. Ende Oktober stimmte die Mehrheit des Parlaments gegen diese Vorlage.
"Sechs Monate gab es massives Lobbying, mit Emails, Schreiben, Anrufen und Faxen, ohne Unterbrechung", berichtete die Irin Avril Doyle, Vorstandsmitglied der konservativen EVP-Fraktion und des Umweltausschusses. Einige ihrer Kollegen wären sogar von Industrieunternehmen in ihren Wahlkreisen angeschrieben worden, man habe mit massiven Jobverlusten gedroht. Bei der Abstimmung über die F-Gase seien die Abgeordneten dann reihenweise umgekippt. "Diese Gesetzgebung war stark von Lobbyisten beeinflusst und gesteuert", so Doyle.
Seitdem die Öffentlichkeit sensibilisiert ist, bemüht sich die EU-Kommission um Schadensbegrenzung. EU-Kommissar Siim Kallas hat im März eine Transparenz-Initiative aufgelegt und übt Kritik am ungezügelten Industrie-Lobbyismus. Damit dieser Kritik keine Taten folgen, gibt es die Society of European Affairs Professionals, eine Lobbyorganisation für Lobbyisten. Sie plusterte sich mit einer freiwilligen Selbstverpflichtungserklärung auf. Auch Kommissar Siim Kallas schlägt vor, "etwas auf freiwilliger Basis einzuführen" und lediglich einen allgemeinen "Verhaltenskodex" und ein öffentliches Register der Lobbys anzulegen, die in Brüssel arbeiten. Eine bindende Gesetzgebung will er nicht. "Die Kommission hat ja die allgemein gültige Devise, möglichst wenige neue Regeln einzuführen", so Kallas im Deutschlandfunk. Für die Kritiker des intransparenten EU-Lobbyismus eine klare Sache: Auch diese Organisation gehört auf der Liste für den Worst EU-Lobbying Award.
Aber keine der bisher genannten Organisationen hat es auf Platz eins geschafft. Bei der Online-Abstimmung lag eine ganz spezielle Lobby-Organisation vorne. Sie behaupte, so die Organisatoren der Abstimmung, "dass sie die Interessen von Künstlern, Musikern, Designern und Software-Entwicklern vertritt". Dabei werde die Campaign for Creativity, die Kampagne für Kreativität, von den Software-Riesen Microsoft und SAP finanziert. Deren Interesse ist es, die freie Nutzung von Software einschränken. Deshalb fordern sie die EU-Gremien auf, sich für einen stärkeren Patentschutz für ihre Produkte einzusetzen. Grund genug für viele Freunde der kreativen Freiheit und frei zugänglicher Software, im Internet ihre Stimme für den Sieger im Worst-EU-Lobbying Award abzugeben: Das trojanische Pferd der Softwareriesen, die Campaign for Creativity. Sie erhielt mehr als 7000 Stimmen.