Brüssel: Prozess gegen die Terror-Zelle von Verviers

Abdelhamid Abaaoud. IS-Propagandafoto

Der Zelle werden Anschlagsplanungen, Verbindungen zum IS und zu den Anschlägen in Paris und in Brüssel zur Last gelegt. Die Polizeiarbeit wirft Fragen auf

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Heute beginnt in Brüssel der Prozess vor einem Strafgericht gegen die sogenannte Zelle von Verviers. Der Prozess hat einige Eigentümlichkeiten. Vorgeladen sind 16 Personen, vorgeworfen wird ihnen die Planung eines Terroranschlags im Januar 2015.

Allerdings sind nur sieben der Angeklagten anwesend. Der Aufenthaltsort der neun anderen ist nicht bekannt, Spuren weisen laut Medienberichten zum Prozess darauf, dass sie sich in Syrien aufhalten. Ein erster Hinweis auf die Eigentümlichkeit des Prozesses, der Hell-Dunkel-Kontrast. Dem, was ans Licht kam, steht vieles nicht so genau oder gar nicht Bekanntes gegenüber.

Das Clair-obscur zeigt sich schon in der grundsätzlichen Bewertung. Dass Mitglieder der Zelle nun vor Gericht stehen und die belgische Polizei am 15.Januar 2015 - in Zusammenarbeit mit französischen Anti-Terror-Polizisten (GIGN) Mitglieder der Zelle in einem Appartement ausgehoben haben - und damit mutmaßlich einen Terroranschlag vereitelt haben, wird als Erfolg der Polizeiarbeit herausgestellt.

Allerdings wurden nach den Anschlägen in Paris, am 13. November, und in Brüssel, am 22.März, Vorwürfe an der Anti-Terror-Arbeit der Sicherheitskräfte laut, wonach die Anschläge hätten verhindert werden können, wenn aus den Informationen im Fall Verviers die richtigen Konsequenzen gezogen worden wären.

Lücken in der Arbeit der Geheimdienste und Anti-Terror-Polizeieinheiten

Konkret: Nach dem Anschlag in Brüssel war die Rede davon, dass im Zusammenhang mit der Fahndung nach Mitgliedern Zelle von Verviers Hinweise gefunden wurden, die auf einen geplanten Anschlag am Brüsseler Flughafen deuteten - und: Als Kopf der Zelle von Veviers galt damals schon Abdelhamid Abaaoud, der sich später rühmte, dass er Grenzkontrollen spielerisch umgehen konnte und neue Dschihadisten nach Belgien schleusen konnte.

Angesichts der Attentate am 13. November 2015 in Paris, an denen Abdelhamid Abaaoud maßgeblich beteiligt war, ist die Ermittlungsarbeit in der Sache "cellule de Verviers" auch die Geschichte eines Misserfolgs. Die französische Zeitung Le Monde bringt diesen neuralgischen Punkt mit der Feststellung zur Sprache, dass ein Angelpunkt des Prozesses in der Frage besteht, ob die Zelle von Verviers eine Schläferzelle der Attentate in Paris und Brüssel war. Wenn dem so ist, dann stellen sich Fragen an den Erfolg der Arbeit der Geheimdienste und Anti-Terror-Polizeieinheiten.

Die Ermittlungen zur Zelle begannen früh. Ab 15. Dezember 2014 wurden zwei Verdächtige von der belgischen Polizei in ihrem Appartement in Verviers Tag und Nacht abgehört. Was die Fahnder hörten, so Le Monde, waren immer konkretere Anschlagspläne. Nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo und den jüdischen Supermarkt Hyper Cacher (am 7.Januar, 2015 ) hatte es die Polizei eilig. Man fürchtete weitere Anschläge und schritt mit Auftauchen eines dritten Mannes zur Aktion.

Der Zugriff auf das Appartement wurde - mustertypisch - am 15. Januar, also etwa eine Woche nach den genannten Anschlägen in Paris, mit großem Feuereinsatz ausgeführt. Zwei mutmaßliche Terroristen, Soufiane Amghar und Khalid Ben Larbi, starben im Kugelhagel, ein dritter, Marouane El Bali, konnte dem Sturmgewehrfeuer entgehen. Er zählt zu den Schlüsselpersonen vor Gericht.

Sicher ist, nach den Bericht von Le Monde, dass Kalaschnikows, Handfeuerwaffen, Munition und Material zur Herstellung von Sprengstoffs (TATP) gefunden wurden. Aufzeichnungen der abgehörten Gespräche sollen Vorhaben ans Licht gebracht haben, die Anschläge auf Polizisten, ein Polizeirevier und möglicherweise einen Vertreter des Staates zum Ziel hatten. Aber: "Einiges bleibt im Trüben", schreibt Le Monde. Möglicherweise seien auch die Beziehungen zu Abdelhamid Abaaoud nur vage. Auch das soll der Prozess klären.

Interessant sind auch Fragen danach, welche Ermittlungen die belgischen und französischen Sicherheitsbehörden im Zeitraum zwischen Januar und November 2015 angestellt haben, welchen Spuren sie genau folgten. Hätten die Anschläge in Paris und später in Brüssel verhindert werden können?

Daten von Salah Abdeslam verschwunden

In diesem Zusammenhang wurde im Nachhinein der Novemberanschläge in Paris immer wieder auf Lücken der Zusammenarbeit zwischen der französischen und der belgischen Polizei verwiesen. Es zeigte sich aber auch eine andere Quelle von groben Fehlern innerhalb der belgischen Polizeibehörden. So rührte zuletzt in Belgien ein Bericht des parlamentarischen Komitées zur Kontrolle der Polizeiarbeit, das "comité P", einige Fragen auf.

Der Bericht warf der Anti-Terror-Einheit der Föderalen Polizei DR3 mehrere zum Teil schwerer wiegende Fehler vor. Darunter das Verschwinden von GMS-Daten des lange Zeit im Zusammenhang mit den Pariser Anschlägen gesuchten Salah Abdeslam, auch soll der Inhalt eines USB-Sticks von Abdeslam wie die GMS-Verbindungsdaten nicht geprüft worden sein. Beide Datenquellen gingen verloren. Keiner weiß, wie sie verschwunden sind.

Nach jüngsten Nachrichten soll nicht die DR3 dafür verantwortlich sein, sondern die lokale Polizei im Viertel Molenbeek. Auch hier bleiben noch Fragen offen. Anfang März wurde berichtet, dass mindestens zehn Mitarbeiter der DR3 Kenntnis von einer Warnung vor dem Anschlag in Paris gehabt hätten.