Brüssel droht Ankara mit "angemessener Reaktion"
Streit zwischen der EU und der Türkei um Gasbohrungen vor der Küste Nordzyperns
Am Wochenende drohte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini der türkischen Staatsführung, Brüssel werde "auf jede illegale Handlung, die die Rechte Zyperns verletzt, angemessen reagieren". Kurz vorher hatte Ankara bekannt gegeben, in Gasfeldern nördlich von Zypern Probebohrungen durchführen zu lassen. Der EU-Rat hatte solche Bohrungen im letzten Jahr als rechtswidrig eingestuft.
Ankara fordert Beteiligung der Regierung Nordzyperns an allen zypriotischen Gasbohrungen
Der zypriotische Außenminister Ioannis Kasoulidis wertete die Ankündigung Ankaras als "Provokation" und meinte, sein Land habe "alle notwendigen Maßnahmen getroffen, um die Situation anzugehen". Welche Schritte konkret folgen sollen, wenn die Türken bohren, verrieten weder Mogherini noch Kasoulidis. Denkbar wären beispielsweise Sanktionen, wie sie 2014 und in den Jahren danach gegen Russland verhängt wurden (vgl. Griechischer Außenminister vergleicht Ostukraine mit Nordzypern).
Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu verneinte eine Verletzung der Souveränitätsrechte Zyperns durch die angekündigten Probebohrungen und warf Nikosia seinerseits vor, durch Öl- und Gasverträge mit dem italienischen Energieunternahmen ENI, dem französischen Total-Konzern und der amerikanischen Firma ExxonMobil "unveräußerliche Rechte der türkischen Zyprioten" zu verletzen.
An solchen Vorhaben (und an den daraus resultierenden Einnahmen) muss Nikosia seiner Ansicht nach die nur von der Türkei anerkannte Regierung Nordzyperns beteiligen. Vor diesem Hintergrund verzögerte die türkische Staatsführung im letzten Jahr durch ein kurzfristig angesetztes Seemanöver Probebohrungen südöstlich der Insel, was Brüssel als Verstoß gegen Internationales Recht verurteilte (vgl. Great Game im Mittelmeer).
Außer Brüssel hat der EU-Mitgliedsstaat Zypern in der Erdgasfrage auch die ägyptische Staatsführung auf seiner Seite, die ebenfalls hofft, von dem auf einen Wert von mehr als 600 Milliarden Euro geschätzten Energieträger unter dem östlichen Mittelmeer zu profitieren. Die Egyptian Natural Gas Holding Company (EGAS) hat dazu für 15 Areale Prospektionslizenzen an BP, Petroceltic International, Edison, Sea Dragon, Dana Gas und Pura Vida Energy vergeben. Mehrere davon befinden sich im Herodotus-Basin, das südwestlich von Zypern und nördlich des Nildeltas liegt (vgl. Ägypten unterstützt Griechenland und Zypern gegen die Türkei).
Türkische Staatsführung verweigert Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz an die Familien von Getöteten und Vertriebenen
Nordzypern ist von Zypern getrennt, seit dort am 20. Juli 1974 türkische Truppen einmarschierten. Anlass für den Marschbefehl aus Ankara war, dass sich in Zypern fünf Tage vorher eine Militärjunta an die Macht geputscht hatte. Deshalb, so die damalige türkische Regierung, müsse sie sicherstellen, dass die neue Staatsführung in Nikosia keinen Anschluss der Insel an Griechenland betreiben könne, der den Zyprern im Londoner Abkommen von 1958 verboten worden war. Außerdem erinnerte man an das Weihnachtsmassaker vom 21. Dezember 1963, bei dem eine hohe dreistellige Zahl türkischer Zyprer gewaltsam ums Leben kam.
Obwohl der türkische Bevölkerungsanteil in Zypern 1974 deutlich unter 20 Prozent lag und obwohl die Militärjunta bereits kurz nach Beginn der Invasion stürzte, besetzte das türkische Militär im Rahmen seiner "Operation Attila" bis zum 14. August 1974 37 Prozent der Insel - darunter auch die damals wirtschaftlich stärksten Gebiete, aus denen viele der griechischen Zyprer flüchteten. Anschließend lockte man zahlreiche Siedler vom türkischen Festland in den neu ausgerufenen "Türkischen Bundesstaat Zypern".
2014 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dass der türkische Staat der Regierung von Zypern insgesamt 90 Millionen Euro Schadensersatz und Schmerzensgeld zahlen soll, weil beim Einmarsch und während der darauf folgenden Besatzung gegen mehrere in der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Grundrechte verstoßen wurde.
30 der 90 Millionen sollen als Schmerzensgeld an die Familien von insgesamt 1.456 griechischen Zyprioten gehen, die seit dem Einmarsch vermisst werden und wahrscheinlich von türkischen Soldaten oder von der nordzyprischen Guerillatruppe Türk Mukavemet Teşkilatı (TMT) getötet wurden. Pro Kopf sind das gut 20.000 Euro. 60 Millionen sind für die Opfer von Enteignungen und anderen nichttödlichen Benachteiligungen bestimmt. Erdoğans damaliger Außenminister verlautbarte nämlich nach der Entscheidung, die türkische Regierung werde die Entschädigung nicht zahlen, weil sie das EGMR-Urteil "nicht binde" (vgl. 90 Millionen Euro für Tötungen und Enteignungen von Griechen).
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