"Bulgarien braucht das AKW Belene nicht"

RWE will sich an dem Bau des bulgarischen Atomkraftwerks beteiligen, der bulgarische Atomexperte Kastchiev erklärt, warum das ein teurer und riskanter Unsinn ist

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Dr. Gueorgui Kastchiev war von 1989 bis 1994 Leiter der bulgarischen Atomenergieaufsicht. Zuvor war er einer der führenden Manager des einzigen bulgarischen Atomkraftwerks in Kozloduj. Heute ist Dr. Kastchiev leitender Atomexperte am Institut für Risikoforschung der Universität Wien. Am Mittwoch wird sich der Bulgare auf der Jahreshauptversammlung des deutschen Energiekonzerns RWE in Essen gegen die geplante 1,5 Milliarden Euro schwere RWE-Finanzbeteiligung am bulgarischen Atomkraftwerksneubau Belene aussprechen.

Baustelle des geplanten Atomkraftwerks. Bild: Belene NPP

Warum raten Sie dem zweitgrößten deutschen Energieunternehmen vom Einstieg in den bulgarischen Atomkraftwerksneubau in Belene an der Donau ab?

Gueorgui Kastchiev: Belene ist ein hochriskantes Projekt. Auf Grund der seismischen Risiken haben sowjetische Wissenschaftler schon 1983 von diesem Standort abgeraten. Die geplante russische Technik ist noch nirgends erprobt, und es gibt für sie keine unabhängige Sicherheitsabschätzung. Hinzu kommen die niedrige Sicherheitskultur und die hohe Korruption im bulgarischen Energiesektor. All diese Risiken potenzieren sich gegenseitig und können von RWE keineswegs beherrscht werden.

RWE verweist auf seiner Website zu Belene auf andere Atomkraftwerke in seismisch aktiven Regionen – beispielsweise in Japan und den USA. Die „Erdbebensituation“ könne man nicht „zum Ausschlusskriterium“ für das Belene-Atomprojekt machen, so der deutsche Energiekonzern…

Gueorgui Kastchiev: Das wichtigste Sicherheitsprinzip besteht darin unnötige Risiken zu vermeiden. Weder RWE noch sein bulgarischer Partner haben jedoch bisher alternative Standorte untersucht. Außerdem reden wir hier über Bulgarien und nicht über die USA oder Japan. Dort gibt es strenge Baunormen, Erfahrungen mit großen Infrastrukturprojekten, gut ausgebildetes Personal, eine unabhängige Aufsichtsbehörde und viele andere Voraussetzungen, die es in Bulgarien nicht gibt. Und trotzdem hat man z.B. in Japan erlebt, dass die größte Atomanlage des Landes nicht ausreichend ausgelegt war für das Erdbeben, das dort 2007 stattfand. Seitdem stehen dort sieben Reaktoren still.

Überflüssig, teuer und riskant

Bulgarien hat in den letzten Jahren vier veraltete Reaktorblöcke seines einzigen Atomkraftwerks Kozloduj abgeschaltet – dass die bulgarische Regierung diese durch den Neubau in Belene ersetzt, scheint nur gerecht. Irgendwo muss der Strom ja herkommen…

Gueorgui Kastchiev: Bulgarien braucht Belene nicht. Trotz der Abschaltung von vier Reaktoren in Kozloduj exportieren wir immer noch große Mengen Strom ins Ausland und können unseren eigenen Strombedarf problemlos bis 2025 decken. Deshalb sprechen sich auch alle namhaften Wirtschaftsinstitute Bulgariens gegen dieses Projekt aus: Es ist überflüssig, teuer und riskant.

Gueorgui Kastchiev

Sie kritisieren insbesondere das geplante Design des Reaktors. Was ist an dem Reaktortyp so besonders?

Gueorgui Kastchiev: Das Problem ist, dass diese Technologie weder erprobt ist, noch gibt es für sie eine unabhängige Sicherheitsabschätzung. Zudem zeigen die Erfahrungen der letzten Jahre, dass es gravierende Probleme gibt, mit der Qualität des Designs und der Ausrüstung, die die russische Nuklearindustrie liefert. In Kozloduj wurde zum Beispiel eine falsche Sicherheitsausrüstung geliefert und für das chinesische Tianwan Atomkraftwerk wurden Dampfgeneratoren mit kaputten Röhren produziert.

Doch nicht nur der Reaktor macht Ihnen Sorgen …

Gueorgui Kastchiev: Es gibt einen Mangel an qualifizierten Facharbeitern für große Bauprojekte in Bulgarien. Nur ein Beispiel: Selbst wenn man alle Schweißer des Landes für Belene rekrutieren könnte, würde das immer noch nicht reichen. Deshalb sieht die gegenwärtige Planung vor, dass Schweißer aus China und Bauarbeiter aus Vietnam rekrutiert werden sollen. Wenn Sie sich dann alleine die Kommunikationsprobleme auf der Baustelle vorstellen, und daran denken, dass es hier auch keine starke Aufsichtsbehörde gibt, die die Einhaltung von Normen zuverlässig kontrolliert, sind die Probleme sozusagen vorprogrammiert.

Keine Pläne für den Umgang mit dem Abfall

RWE verweist auf deutsche Sicherheitstechnik, die im AKW-Belene zum Einsatz kommen soll. Echte Sicherheit oder will RWE damit nur seine Aktionäre beruhigen?

Gueorgui Kastchiev: Na ja, ich gebe Ihnen ein Vergleich. Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Trabi. Auch wenn Sie ihn mit französischen Reifen und einem deutschen Navigationssystem ausrüsten, haben Sie deshalb noch längst kein Citröen oder Mercedes aus ihm gemacht.

Bereits im Herbst 2008 machte Bulgariens Ministerpräsident Sergei Stanischew den ersten Spatenstich für den Kraftwerksbau in Belene - das Besucherzentrum steht bereits. Der Bau des Atomkraftwerks hat schon begonnen. Ist es nicht schon viel zu spät um das Projekt noch zu verhindern?

Gueorgui Kastchiev: Dieser symbolische Spatenstich hat schon mindestens drei oder vier Mal stattgefunden. Das ist reine PR. Wenn RWE nicht an dieser Investition festhält, wird sich die Geschichte vermutlich wiederholen und Belene wird wieder auf Eis gelegt. Es gibt letztlich keine ökonomische Begründung für das Projekt und aber sehr viele Risiken.

Wie bei allen Atomkraftwerken, stellt auch in Bulgarien der Atommüll ein großes Problem dar. Welche Lösung haben die Verantwortlichen in Bulgarien für den radioaktiven Abfall aus Belene?

Gueorgui Kastchiev: Bisher wurden keine wirklichen Pläne für den Umgang mit dem Abfall und die Behandlung der abgebrannten Brennstäbe entwickelt. Und in der Umweltverträglichkeitsprüfung wurde dieses Thema einfach ausgespart. Das steht im völligen Widerspruch zu den Prinzipien einer nachhaltigen Entwicklung.

Der Bau des Atomkraftwerks Belene wurde schon in den 1980er Jahren begonnen – kurz nach Zerfall des Ostblocks wurde das Projekt aufgrund von Finanzproblemen und massiver Sicherheitsbedenken eingestellt und erst 2003 wieder aus der Mottenkiste geholt. Wie sah es mit dem Projekt während Ihrer Zeit als Chef der bulgarischen Atomaufsicht aus?

Gueorgui Kastchiev: Während meiner Zeit in der Atomaufsicht war Belene kein Thema. Das Projekt war tot.

Warum haben Sie Ihre leitende Position aufgegeben?

Gueorgui Kastchiev: Wer auf diesem Chefposten der Atomaufsicht sitzt, merkt schnell, dass hier ein starker Wind weht. Und wer sich dem nicht beugt, muss wieder gehen.