Bundeswehr-Kampagne "Was zählt": Werben für den Krieg

Aufrüstung gegen Russland genügt nicht: Es müssen mehr Leute her, die sie anwenden. Eine neue Kampagne wirbt um sie. Über das Töten und sterben für eine "gute Sache".

Die Bundeswehr ist im Aufwind. Quer durch die herrschenden Parteien bekommt sie einen Zuspruch wie noch nie. Auch in der Bevölkerung trifft sie auf mehr Wohlwollen und Interesse. Die hohen Beliebtheitswerte für Bundesverteidigungsminister Pistorius rühren daher.

Deutschland "muss" sich wieder verteidigen gegen den "Aggressor" aus dem Osten. Der hat zwar weder den Krieg erklärt noch hat er das augenscheinlich vor. Damit rechnet auch hierzulande im Moment keiner.

Aber in der politischen Elite weiß man schon: Die deutsche Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland segelt hart am Rande einer Kriegsbeteiligung. Die von der Gegenseite als solche aufgefasst werden könnte, mit entsprechender Antwort.

Den Aufmarsch an der Ostflanke "verteidigen"

Also fahren Scholz, Kiesewetter, Hofreiter, Strack-Zimmermann und Co. zweigleisig: Natürlich will man keinen Krieg mit Moskau. Das sollte dort möglichst verstanden werden. Denn für eine militärische Auseinandersetzung ist Deutschland nicht gerüstet – bisher nicht.

Aber verfeindet ist man schon. Daher muss eine gigantische Aufrüstung her, und zwar schnell. Außerdem werden einige Bundeswehreinheiten an die "Ostflanke" nach Litauen verlegt. Sie sollen zeigen, dass es kein Zurück mehr gibt für Russland in eine Zeit, in der die Nato bisher nicht bis an die russische Grenze vorgerückt war.

Große Manöver zu Land und zur See unterstreichen den Willen des westlichen Bündnisses, mit aller Gewalt den errungenen Status quo – eine Front gegen Russland vom Nordkap bis zum Schwarzen Meer, mit allen ehemaligen Verbündeten Moskaus, ausgenommen Belarus – zu, ja, "verteidigen".

Da "muss" Deutschland selbstverständlich vorn dabei sein als europäische Führungsmacht. Denn das ist auch klar: Die überragenden Erfolge der deutschen Wirtschaft sind ohne eine sie begleitende beeindruckende Gewalt nicht zu haben.

Im Verein mit der Nato tritt die Bundesregierung in der Welt als Teil der mit Abstand größten Militärmacht auf. Das verleiht Verhandlungen über Handelsverträge und Zugänge zu ausländischen Märkten und Rohstoffen noch einmal mehr Wucht als nur wirtschaftliche Druckmittel.

Die Nato-Mitgliedschaft hat jedoch einen Preis – aktuell zwei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt, die für Rüstung zu investieren sind.

Töten und sterben für die "gute Sache"

Lange hatte sich Deutschland dagegen gesträubt. Man glaubte, mit weniger durchzukommen, ohne sich der Rückendeckung der Nato zu berauben. Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat sich das geändert.

Moskau macht Ernst mit seinem Anspruch, das weitere Vorrücken der Nato an seine Grenzen zu unterbinden. Nachdem der Westen entsprechende Forderungen und Vorschläge monatelang ignoriert hatte, setzte Präsident Putin seine Militärmaschinerie in Gang.

Seither töten und sterben Menschen auf beiden Seiten für die jeweiligen staatlichen Interessen: die Ukrainer für den unbedingten Willen der ukrainischen Herrschaft, in die Nato aufgenommen zu werden; die Russen für den unbedingten Willen der russischen Herrschaft, genau dies zu verhindern.

Das ist sie also, die "gute Sache", für die es sich nach Ansicht der jeweiligen Seite zu töten und zu sterben lohnt. So wird sie aber in der hiesigen Öffentlichkeit nicht verhandelt.

Vielmehr attackieren böse Russen ohne akzeptablen Grund freiheitsliebende Ukrainer – die sich mit allem Recht gegen dieses verachtungswürdige Volk geradezu heldenhaft wehren. Da ist es für ebensolche freiheitsliebenden Deutschen selbstverständlich, sie in diesem Kampf zu unterstützen.

Immer noch zu wenige wehrfähige Deutsche in den Kasernen

Und nun auch selbst sich für einen etwaigen Kampf zu rüsten – materiell und mental. Die Aufrüstung der Bundeswehr ruft deshalb keine Friedensbewegung zu Hunderttausenden auf den Plan, wie noch vor rund 40 Jahren gegen die Nachrüstung mit Mittelstreckenraketen.

Allerdings lässt der Zulauf in die Kasernen immer noch zu wünschen übrig. Die Kriegsbereitschaft der wehrfähigen Deutschen hat noch viel Luft nach oben, trotz bereits zahlreicher Werbekampagnen für die Bundeswehr.

Eine neue Kampagne muss also her. Und seit Mitte vergangenen Jahres läuft sie: "Was zählt" lautet ihr Leitmotiv. Das ist zwar nicht neu, auch die vorigen Werbeaktionen arbeiteten mit diesem Claim.

Nun jedoch kommt sie betont realistisch daher. Das war schließlich ein Hauptkritikpunkt gewesen, unter anderem von der Wehrbeauftragten Eva Högl (SPD). Die bisherigen Kampagnen suggerierten, "dass es Spaß macht, dass man dort Ausbildung machen kann". Dabei könne es nun wirklich ernst werden, was manchen Soldaten erst am 24. Februar 2022 klar geworden sei (ebenda).

Vorbei die Zeiten, als es noch im Bundeswehr-Journal 2015 hieß:

Junge Menschen fragen heute immer mehr nach dem Sinn ihrer Arbeit und was ihnen diese neben einem Einkommen eigentlich bringt. Darauf haben wir in der Bundeswehr starke Antworten. Die Bundeswehr bietet als Arbeitgeber vielfältige und attraktive Möglichkeiten.

Obwohl, das mit dem Sinn ist nicht ganz gestrichen – sondern auf einen schlichten Satz reduziert1:

Deutschland braucht eine starke Bundeswehr. Arbeite mit uns daran.

Die Agentur Castenow hat diese zeitgemäße Antwort auf die Sinnfrage gefunden. So kam sie darauf:

Mit der neuen Imagekampagne wollen wir wesentliche Fragen unserer Zeit aufwerfen und Haltung zeigen. Und zwar mit aktivierenden Text- und emotionalen Bildmotiven, mit "Was zählt?-Fragen" und starken Persönlichkeiten. Dabei bilden wir Angehörige der Bundeswehr "on the Job" ab und vermitteln einen plastischen Eindruck, wie Menschen die Zeitenwende bei der Bundeswehr gestalten.

Für Menschen, denen die Formulierungen gehobener Public Relations vielleicht nicht so geläufig sind, hier die Übersetzung: Die Kampagne plappert die aktuellen politischen Ansagen über die Bedrohung durch den Feind im Osten nach ("wesentliche Fragen unserer Zeit") und steht deshalb stramm dahinter ("Haltung zeigen").

Die Zielgruppe – junge, wehrfähige Männer, gern auch Frauen – wird mit Fragen nach dem Muster "er oder ich" umworben. Denn wenn der Feind vor der Tür steht, was zählt? Da muss man doch schießen, oder? Echte Krieger werden in Aktion gezeigt ("on the job"), und das scheint wirklich gut zu laufen, so entschlossen, wie die aussehen ("plastischer Eindruck").

Das hat also Olaf Scholz mit "Zeitenwende" gemeint: Junge Menschen, die zur Bundeswehr gehen, um die Feindschaft Deutschlands gegen Russland mit Leben zu füllen – oder es verlieren, wenn es falsch läuft.

Die Verbreitung der Kampagne ist selbstverständlich professionell organisiert: "(Sie) wird national auf analogen und digitalen Plakatmotiven und auf Riesenpostern an strategisch wichtigen Stellen in ganz Deutschland ausgespielt. Eine Landingpage klärt weiter auf, was die Bundeswehr bereits leistet und welchen Beitrag jede und jeder selbst dazu leisten kann." (ebenda)

Ein Videospot steht dabei im Zentrum und listet die zentralen "Was zählt"-Fragen auf. Unterlegt mit einem bedrohlichen, martialischen Sound, der in mehreren Sequenzen alle Bereiche der Bundeswehr in spektakulären Filmaufnahmen zeigt.

Er beginnt mit:

Was zählt, wenn wir wieder Stärke zeigen müssen?

Da darf man sich natürlich nicht fragen, wer '"wir" sind. Alle Menschen halt, die qua Personalausweis dem deutschen Staat unterstehen, deshalb gefälligst sich seine Interessen zu eigen machen und dafür Angehörige von zu Feinden erklärte Nationen umbringen.

Abweichende Meinungen sind da nicht vorgesehen von der Art: Man fühlt sich dem "wir" nicht zugehörig. Undenkbar, weil wenn Deutschland seine Interessen gegen andere Staaten durchsetzen will, haben alle Deutsche dafür mit ihrem Leben einzustehen. Entweder freiwillig oder erzwungen.

Interessant auch das "wieder" in dem Spruch: Auf welche Vergangenheit nimmt er Bezug? Etwa der Kalte Krieg mit der Drohung atomarer Vernichtung oder die Zeit zwischen 1939 und 1945, als Deutschland seine "Stärke" in ganz Europa eindrucksvoll unter Beweis stellte …? Wie dem auch sei, in beiden Fällen bedeutet "wieder Stärke zeigen" die Vorbereitung auf Krieg.

Von "müssen" kann übrigens keine Rede sein. Es liegt ganz in der Entscheidung der führenden Politiker, ob und wie sie ihre Gegensätze gegenüber Herrschaften anderer Länder austragen. Nur wenn sie beschließen, Konflikte mit Gewalt zu "lösen", "müssen" sie "Stärke zeigen".

Die folgenden Fragen im Spot folgen der gleichen Logik: Irgendwie hat sich die Lage verändert, und Deutschland "muss" darauf reagieren. Es ist kein maßgeblicher Akteur im Geschehen, sondern wird mit einer neuen Situation konfrontiert. Als hätte Deutschland damit nichts zu tun, "muss" aber nun, leider, leider, sich dazu stellen:

Wenn die Welt um uns rauer wird?

Schlimm, vorher lief ja auch für Deutschland alles so schön glatt. Man hatte doch die Russen im Griff, dachte man. Und nun schießen sie quer, und auch die Chinesen sind nicht ohne.

"Wenn Sicherheit plötzlich wieder das Thema ist?"

Die Sicherheit, die Ukraine auf die Seite des Westens zu ziehen und dass Russland das geschehen lässt. Jetzt macht doch dieses Russland dem einen Strich durch die Rechnung! Noch dazu "plötzlich", wo doch der Westen jahrelang erlebt hat, wie Moskau sich fast alles gefallen ließ. Da ist die deutsche Sicherheit, auf keine Gegenwehr zu treffen, wirklich gefährdet.

Wenn wir über den Wolken Grenzen aufzeigen müssen?

Das ist ein wenig unfair gegenüber den anderen Truppenteilen, also Marine und Heer. Denn auch auf und unter Wasser und natürlich vor allem auf dem Land "müssen" die Grenzen aufgezeigt werden.

Wieder wirkt ein anonymer Zwang, der nichts mit der exklusiven Gewalt zu tun hat, die ein Staat für sein Gebiet und sein Volk gegen alle anderen Staaten beansprucht. Grenzfragen sind daher stets Gewaltfragen. Entsprechend brutal lassen Staaten ihr Volk dafür antreten und bluten.

Was zählt, wenn unsere Freiheit auf dem Spiel steht?

Die Freiheit, ihre Staatsführer alle paar Jahre zu wählen, haben deutsche Bürger nicht exklusiv. Auch nicht die Freiheit, mit Kapital oder mit abhängiger Beschäftigung sich durchs Leben bringen zu müssen. Die ist mittlerweile ebenfalls weltweit durchgesetzt.

Was also ist gemeint? Ganz einfach: Die Sorte Herrschaft, die in Deutschland regiert. Die will nicht dulden, dass eine andere Sorte Herrschaft im Osten ihre Interessen durchsetzt. Die deshalb natürlich super böse ist, während hierzulande die Guten zu Hause sind.

Der Videospot mündet in dem bekannten Claim, wie auch alle anderen Werbemedien:

Mach, was wirklich zählt.

Könnte es vielleicht sein, dass in dieser Situation nur eines zählt: Sich den Machthabern in ihrer Kriegstreiberei zu verweigern und ihnen in den Arm zu fallen? Falls das nicht klappt, weil es zu wenige tun, hilft wohl dann im Ernstfall nur eins: Mach, dass du wegkommst.

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