Bundeswehr-Kitas in Litauen – die deutsche Rolle in der Nato

Seite 2: Viele Fragen offen

Um möglichst schnell verlegbar zu sein, sollen die neuen Divisionen über eine "Kaltstartfähigkeit" verfügen, das heißt, ihr Ausstattungsniveau muss dafür sogar deutlich über 100 Prozent liegen:

Konsequent zu Ende gedacht, erfordert eine Kaltstartfähigkeit eine Vollausstattung in Höhe von etwa 130 Prozent an Material sowie eine gewisse, noch zu definierende Personalreserve. Alles andere wäre nur ein "Verfügbarkeitsmanagement" auf einem höheren Niveau.


Soldat & Technik, 24. März 2022

Ob dies allerdings auch nur ansatzweise gelingen wird, ist mehr als fraglich. Um nur ein Beispiel zu nennen: Um im Verbund mit anderen Nato-Truppen agieren zu können, benötigt die Bundeswehr unter anderem vor allem in allen Fahrzeugen zehntausende neue abhörsichere und internetfähige Funkgeräte.

Die wurden zwar bestellt und laufen auch zu, weil sich aber anscheinend niemand Gedanken darüber gemacht hat, dass sie auch eingebaut werden müssen, kommt es nun zu erheblichen Verzögerungen.

Unlängst wurde nun gemeldet, der Einbau verspäte sich um mindestens zwei Jahre auf 2027, was auch für die Division 2025 nicht ohne Folgen bleibt, die also mehrere Jahre ohne eine von der Nato als Kernfähigkeit beschriebene Eigenschaft ihren Dienst antreten wird:

Diese Division werde "quantitativ und qualitativ in ihrer Führungsfähigkeit im hochintensiven Einsatz zunächst nicht ihre volle Leistungsfähigkeit entfalten können", heißt es nach Angaben des Handelsblatts in einem vertraulichen Bericht des Bundesverteidigungsministeriums zum Rüstungsprogramm "Digitalisierung Landbasierter Operationen", der dem Medium vorliegt.

Das ist allerdings nur eine der zahlreichen materiellen Baustellen, so steht zum Beispiel auch hinter der Praxistauglichkeit der Schützenpanzer vom Typ Puma ein dickes Fragezeichen.

Personalziele auf dem Prüfstand

Auch personell dürfte es eng werden: Ursprünglich plante die Bundeswehr mit einem Aufwuchs von derzeit rund 180.000 auf 203.000 Soldat:innen, um die anvisierten Großverbände auch bestücken zu können. Da die Truppe aber ihre Mühe und Not hat, ihren Umfang auch nur konstant zu halten, werden inzwischen vermehrt Stimmen laut, die Personalziele fallen zu lassen.

Woher dann allerdings das Personal für die Division 2025 und noch mehr für die Division 2027 kommen soll, steht in den Sternen.

Apropos Personal: Das könnte sich auch als der neuralgische Punkt für den Aufbau der Litauen-Brigade erweisen. Anfangs hieß es aus den Reihen der Bundeswehr, sie wolle für die Brigade auf Freiwilligkeit, garniert mit finanziellen Anreizen setzen: "Der Zuschlag pro Kopf dürfte sich auf rund 2.000 Euro monatlich belaufen – abhängig vom Grundgehalt", berichtete im Juli Spiegel Online.

"Hinzu kämen weitere Kosten, etwa für Mietzuschuss und Pauschalen für Ehepartner. Insgesamt sind pro Soldat und Monat Zusatzkosten in Höhe von rund 4.000 Euro realistisch."

Nur kurze Zeit später wurde dann allerdings berichtet, der Run auf die freien Plätze halte sich in engen Grenzen:

Eine Schnellumfrage in den Verbänden, die infrage kämen, machte den Planern wenig Hoffnung. Nur jeder fünfte Soldat gab an, freiwillig an die Nato-Ostflanke ziehen zu wollen. In den Leitlinien für das Projekt mahnt [Bundeswehr-Generalinspekteur] Breuer nun an, die »vielfältigen Belange und Interessen« der Soldaten und ihrer Familien müssten »bestmöglich« berücksichtigt werden. Attraktivität müsse Priorität haben.


Spiegel Online, 1. September 2023

Diese Entwicklung dürfte Verteidigungsminister Pistorius nun zu seiner – wenn auch verklausulierten – Rolle rückwärts in Sachen Freiwilligkeit veranlasst haben.

Der Verteidigungsminister betonte gegenüber den Pressevertretern, dass für die Zusammenstellung der Brigade das Prinzip der Freiwilligkeit gelte. Er fügte aber auch hinzu, dass am Ende das Ergebnis zähle.

"Ich habe ein großes Zutrauen, dass wir genügend Männer und Frauen finden werden, die das freiwillig tun", so Pistorius. Auf die Frage, was denn passiere, wenn sich nicht genügend Freiwillige melden sollten, fügte er hinzu: "Ich hege diese Zweifel an der Freiwilligkeit nicht und für den Fall B, werden wir uns damit beschäftigen".


Europäische Sicherheit & Technik, 11. Oktober 2023

Außerdem gab Pistorius vor der Presse an, "Wir gehen de facto all in", um zu signalisieren, Deutschland gehe mit seinen Beiträgen zum Nato-Streitkräftemodell bis an die Belastungsgrenze – mehr und mehr Beobachter*innen kommen allerdings zu dem Ergebnis, dass die schon längst überschritten ist:

Unter Militärs wächst die Sorge, ob die Mission am Ende überhaupt zu stemmen ist – schließlich hat die Bundesregierung nicht nur die Brigade in Litauen versprochen, sondern weitere umfangreiche Zusagen bei der Nato gemacht.

Ab 2025 soll eine voll ausgestattete und einsatzbereite Heeresdivision mit etwa 15.000 Soldaten stehen, und schon jetzt weiß niemand, woher die Ausrüstung kommen soll, vom Schützenpanzer bis zum Nachtsichtgerät. 2027 soll eine weitere Division marschbereit sein, so jedenfalls der Plan. Wie soll da noch die Brigade in Litauen finanziert werden?


Spiegel Online, 1. September 2023

Erste Überschlagsrechnungen gehen demnach von vier Milliarden Euro Mehrbedarf aus.

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