COP27 in Ägypten: Sind Klimagipfel ein gefährliches Ablenkungsmanöver?

Eröffnungssitzung des Klimagipfels COP26 in Glasgow letztes Jahr. Bild: UNclimatechange / CC BY-NC-SA 2.0

Die Treibhausgase steigen, obwohl seit fast drei Jahrzehnten Klimakonferenzen stattfinden. Der Grund für das historische Versagen: Es wird erpresst und bestochen. Wie USA und EU Klimadiplomatie torpedieren. (Teil 1)

Die Bilanz ist nüchtern betrachtet katastrophal. Nach 26 Klimakonferenzen sind die Treibhausgas-Emissionen nicht nur nicht gesunken, sondern um über 60 Prozent gestiegen, während die Klimakrise ungebremst eskaliert.

Jetzt startet in Ägypten die 27. sogenannte COP ("Conference of the Parties"). Von dem internationalen Klima-Treffen erwartet sich niemand ernsthaft eine plötzliche Kehrtwende, obwohl gerade das überlebenswichtig für die Spezies Mensch wäre.

Viele Klimaschützer:innen und Aktivist:innen reisen erst gar nicht an, auch, weil das ägyptische Regime kaum Spielraum für zivilgesellschaftliches Engagement und Proteste vor Ort zulässt. Auch Greta Thunberg hat angekündigt, aus Protest gegen die Menschenrechtsverstöße und die Repressionen nicht zum Konferenzort Scharm El-Scheich zu fahren.

Die Frage stellt sich grundsätzlich – und viele Klimaschützer:innen stellen sie seit einiger Zeit: Sind Klimadiplomatie, der UN-Verhandlungsprozess und Klimakonferenzen nicht eigentlich nutzlos und nur eine Verschwendung von Zeit und Ressourcen? Oder sind sie sogar ein gefährliches Ablenkungsmanöver? Sollte man sie nicht einfach abschaffen und sich auf andere Weise für Klimaschutz einsetzen?

Angesichts der Bilanz scheint die Antwort auf die Frage naheliegend. Doch ein genauerer Blick lohnt sich, um zu verstehen, warum es bei Klimadiplomatie und globalem Klimaschutz seit Jahrzehnten nicht vorangeht. Denn nicht Verhandeln ist das Problem, sondern das klimapolitische Machtspiel hinter den Kulissen.

Aber fangen wir vorne an. Es lässt sich schwerlich behaupten, dass die Klimakonferenzen bisher eine messbare oder gar signifikante Wirkung auf die Emissionen hatten. Studien wie die der Weltbank aus dem Jahr 2010 zeigen, dass selbst das oft romantisch angepriesene Kyoto-Protokoll von 1997 mit seinen verbindlichen Verpflichtungen den globalen Emissionspfad nicht verändert hat.

Es war nicht einmal in der Lage, den Anstieg der Treibhausgase zu verringern, so die Weltbank. Nicht etwa, weil die Industrieländer ihre Versprechen, die Emissionen zu senken, nicht eingehalten hätten. Ganz im Gegenteil. Sie haben sie übererfüllt.

Die Zielvorgaben waren das Problem. Sie waren viel zu niedrig (minus fünf Prozent bis 2012) für die wohlhabenden Staaten. Schlupflöcher und Ausnahmeregelungen höhlten die Vorgaben zudem weiter aus und führten zu Emissions-Auslagerungen. Außerdem gab es keine Ziele für die Entwicklungsländer, weil die Industrieländer nicht bereit waren, die notwendigen Finanzmittel für die Energiewende in ärmeren Staaten bereitzustellen.

So forderte Indien bei den Verhandlungen zusätzliche Zahlungen jenseits der Entwicklungshilfe für den Klimaschutz im Globalen Süden. Entwicklungsländer wie die Inselstaaten verlangten zudem von den Industrieländern, wie schon zuvor, mindestens minus 20 Prozent bis 2005. Die reichen Länder ignorierten das alles. Die globalen Emissionen stiegen daher ungebremst an, ohne dass das irgendjemanden wirklich interessierte.

Von wegen "historisch": Der erpresste Klimadeal von Paris

In Kopenhagen 2009 versuchte der Block der Industrieländer unter Führung der USA schließlich, die Entwicklungsländer zu einem Abkommen zu drängen, das einerseits keine verbindlichen Ziele für die reichen Länder enthielt und andererseits eine ungerechte Verteilung des verbleibenden Zwei-Grad-Kohlenstoffbudgets vorsah.

Das South Centre stellte in einem Bericht fest, dass mit diesem Plan (dem so genannten dänischen Text, der während des Gipfels durchgesickert war) die Industrieländer etwa 30 bis 35 Prozent des verbleibenden Kohlendioxids erhalten würden, obwohl sie nur 16 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen (und ihr Budget bereits in der Vergangenheit überzogen hatten). Gleichzeitig würden die historische Klimaschulden (die sich aus den Emissionen der Vergangenheit ergeben) implizit gestrichen, während der globale Süden gezwungen wäre, die Lücke zur Stabilisierung des Klimas durch harte Emissionssenkungen zu schließen, ohne dass der Norden dafür finanziell aufkommt.

Die Vereinbarung bedeutete auch eine Abkehr vom Prinzip der "gemeinsamen, aber unterschiedenen Verantwortung" hin zu einer "universellen Verantwortung". Das bedeutet, dass alle Länder die gleiche Verantwortung tragen und ähnliche Verpflichtungen erfüllen müssen, unabhängig davon, wie sehr sie zur Klimakrise beigetragen haben.

Ein Jahr nach dem Kopenhagener Gipfel gaben die von Wikileaks veröffentlichten Botschaftsdepeschen Aufschluss darüber, wie vor allem die USA mit Spionage, Drohungen und finanziellen Hilfszusagen versuchten, die politische Unterstützung einzelner Entwicklungsländer für ein Abkommen in Kopenhagen zu erzwingen.

Die EU spielte mit. So traf sich beispielsweise die für den Klimawandel zuständige EU-Kommissarin Connie Hedegaard am 11. Februar 2009 in Brüssel mit ihrem Amtskollegen Jonathan Pershing, dem stellvertretenden US-Beauftragten für den Klimawandel. Hedegaard soll Pershing gegenüber geäußert haben, dass die Allianz der kleinen Inselstaaten angesichts ihres Finanzierungsbedarfs "unsere besten Verbündeten" sein könnten.

Doch die Rechnung von USA und EU ging nicht auf. Die Vertreter der ärmeren Länder waren über die geheime Verhandlungsstrategie und den Versuch verärgert, den Verhandlungsrahmen jenseits der UN-Prinzipien zu ändern.

Boliviens damaliger Präsident Evo Morales verlangte in einer Rede vor den Delegierten, dass die reichen Länder ihre Klimaschulden zurückzahlen müssen, und forderte eine Begrenzung der Temperatur auf ein Grad Celsius. Außerdem schlug er die Einrichtung eines internationalen Gerichtshofs für Klimaverbrechen vor.

Außerdem wurde von Vertreter:innen aus Afrika, Lateinamerika oder Südostasien während der Konferenz immer wieder das Emissionsgefälle zwischen den USA und den EU-Ländern auf der einen und dem globalen Süden auf der anderen Seite thematisiert.

Die Verhandlungen scheiterten am Ende. Nach Kopenhagen stiegen die Emissionen global weiter an. Auch im sogenannten Klimamusterland Deutschland nahmen die Emissionen erstmals nach zwei Jahrzehnten wieder leicht zu und stagnierten fast zehn Jahre lang auf gleichem Niveau.

In Paris wurde 2015, sechs Jahre nach Kopenhagen, dann doch noch ein Abkommen erzielt. Die Medien und viele Umweltorganisationen waren euphorisch und nannten es einen historischen Moment und einen Durchbruch. Doch dem war keineswegs so, wie Klimawissenschaftler:innen betonten. So zeigten Studien, dass die Nationally Determined Contributions – also die auf der Konferenz von den Staaten eingereichten "freiwilligen Selbstverpflichtungen" – die Erde weiter um mehr als drei Grad Celsius erwärmen werden.

Die gängige Meinung sei, so Dan Bodansky, dass "Kopenhagen ein Desaster und Paris ein Triumph war". Eine seltsame Sichtweise, meint der Co-Direktor des Center for Law and Global Affairs an der Arizona State University, der die Klimadiplomatie seit langem beobachtet. Das Pariser Abkommen habe lediglich das "Bottom-up-Paradigma" (d. h. das Prinzip der freiwilligen Selbstverpflichtung) der Kopenhagener Konferenz formalisiert.

Die wesentlichen Elemente wie die Zwei-Grad-Celsius-Obergrenze, die unverbindlichen nationalen Beiträge, die Ankündigung, öffentliche und private Mittel für die Klimafinanzierung zu mobilisieren, die tendenzielle Gleichstellung von Industrie- und Entwicklungsländern sowie die Einbeziehung aller Emissionen, auch der der Entwicklungsländer und nicht nur der der Industrieländer, waren bereits in Kopenhagen enthalten. Bodansky spricht daher von Copenparis und kommt wie andere Kommentatoren zu dem Schluss:

Im Kern knüpft das Pariser Abkommen nur ein Vertragsband um die Hauptelemente der Kopenhagener Vereinbarung.

Bei näherer Betrachtung ist der Weg von Kopenhagen über die Klimakonferenzen in Cancún und Durban bis nach Paris tatsächlich ein Erosionsprozess, der die Grundlagen der Klimadiplomatie seit den 1990er Jahren aufgeweicht hat.

Das Prinzip der "gemeinsamen, aber differenzierten" Verantwortung für die Klimakrise, die Einteilung in Industrieländer (Annex 1) und Entwicklungsländer (Nicht-Annex 1) – bestimmend für Kyoto, in Kopenhagen noch in einer Reihe von Bestimmungen enthalten – wurde in Paris schließlich ganz aufgegeben. Seitdem gibt es nur noch ein System zur Verwaltung der Reduktionen ("reporting", "verification", "inventory"), das unterschiedslos für alle gilt, während nicht nur Industrieländer für die Klimafinanzierung aufkommen sollen.

"Diese Art von Erpressung ist Teil der Verhandlungen"

Warum aber haben die Entwicklungsländer in Paris dem Paradigmenwechsel zugestimmt, den sie in Kopenhagen noch weitgehend abgelehnt hatten? Für den Sinneswandel gibt es eine Reihe von Gründen, etwa die veränderte Verhandlungssituation. So haben sich die Entwicklungsländer an die neue Praxis der freiwilligen und unverbindlichen nationalen Beiträge für alle Länder seit Kopenhagen gewöhnt.

Der Hauptgrund war aber, dass die Länder Afrikas, Lateinamerikas und Asiens erkennen mussten, dass sie von den Industrieländern, insbesondere den USA und der EU, kein anderes Angebot erhalten würden.

Schon zwei Jahre nach Kopenhagen, auf dem Klimagipfel im südafrikanischen Durban, forderten die beiden großen Schwellenländer China und Brasilien eine zweite Kyoto-Periode mit verbindlichen Zielen für die Industrieländer als Voraussetzung dafür, dass die Verhandlungen in Paris überhaupt beginnen können. Das änderte sich. Im Jahr 2014 kündigte sich die Wende an.

In einer gemeinsamen Erklärung verbreiteten die USA und China Optimismus, dass Paris dort erfolgreich sein würde, wo Kopenhagen noch scheiterte. Das Kyoto-Modell wurde aufgegeben, auch wenn man es nicht so formulierte. Ein Beobachter drückte es so aus:

In Paris war das Kyoto-Protokoll ein Hund, der nicht mehr bellte. Es sieht so aus, als soll das Abkommen sanft in die historische Nacht entschwinden.

Die Erwartungen der Entwicklungsländer wurden also in Paris "realistisch". Was letztlich bedeutet, dass sie das diplomatische Machtspiel aufgaben. Bodansky stellt fest, dass die Entwicklungsländer in Paris "die Abkehr von der Zweiteilung nur widerwillig akzeptierten".

Zudem sorgten die USA gemeinsam mit der EU lange vor dem Pariser Gipfel dafür, dass sich das Debakel von Kopenhagen nicht wiederholen würde. Ab 2009 fanden eine Reihe von hochrangigen diplomatischen Treffen mit der chinesischen Führung statt, die 2015 in der gemeinsamen Erklärung zum Klimawandel gipfelten.

Es war die übliche "Zuckerbrot und Peitsche"-Methode. So boten die USA und die EU China Finanzmittel und Technologien zur Bekämpfung von Smog in Städten an – eines Problems, das die kommunistische Partei im eigenen Land unter Druck setzte, was die USA mit der Veröffentlichung von Smog-Daten noch beförderten. Damit sollte die Forderung Chinas und der G77-Allianz der Entwicklungsländer ausmanövriert werden, wonach die Industrieländer 1,5 Prozent ihres BIP, also 500 Milliarden Dollar pro Jahr, als Klimafinanzierung an die Entwicklungsländer zahlen sollten.

In seiner detaillierten Analyse der Klimadiplomatie kommt der Politikwissenschaftler Fuzuo Wu zu dem Schluss, dass China und Indien mit ihren Zugeständnissen und dem Durchwinken des Pariser Abkommens auf die

asymmetrische Abhängigkeit von den Industrieländern bezüglich Technologietransfer für Emissionsreduktion reagieren mussten. Das Gleiche gilt für andere Entwicklungsländer.

Beide Länder seien auch "unter Druck gesetzt" worden, um ihren Status im internationalen System zu sichern. Ein Druck, der auch "durch das asymmetrische Verhältnis zu den Industrieländern, insbesondere der EU und den USA, gekennzeichnet ist."

Asad Rehman, damals Leiter der internationalen Klimapolitik bei Friends of the Earth, wies auf der Konferenz in Paris auf die Verhandlungsmacht der USA hin:

Die Entwicklungsländer wehren sich gegen den Versuch der Vereinigten Staaten, die Regeln neu zu schreiben und den rechtlichen Schutz aufzuheben. Denn es geht bei den Klimaverhandlungen vor allem um den Schutz der Armen, der am meisten gefährdeten und der ärmeren Länder der Welt. Doch die USA wollen diesen Schutz eliminieren. Sie wollen die Verantwortung für die Verschmutzung auf die Armen abwälzen. Das ist bisher von den Entwicklungsländern abgelehnt worden. Und in den nächsten 36 Stunden werden wir entweder sehen, wie die Erwartungen herabgesetzt oder die ärmeren Länder erpresst und bestochen werden, um die Verantwortung auf die Entwicklungsländer abzuschieben. Paris ist tatsächlich ein Tatort, und der Verbrecher sind die Vereinigten Staaten.

In einem Interview auf der COP 21 in Paris gab mir der ehemalige bolivianische Klimaverhandler Pablo Solón ein Beispiel, wie der Widerstand des Globalen Südens von den Industrieländern gebrochen werden kann. So hätten viele Länder bei der Klimakonferenz in Cancún, vor allem afrikanische, noch wenige Stunden vor der Abstimmung in einer gemeinsamen Pressekonferenz bekräftigt, dass sie das Abkommen nicht unterschreiben werden. Doch dann stimmten sie plötzlich zu, nur Bolivien blieb standhaft.

Solón fragte seine Kollegen, was geschehen sei. Einer der Unterhändler antwortete ihm, die EU habe seine Regierung angerufen und ihr mit dem Entzug finanzieller Unterstützung gedroht. "Diese Art von Erpressung ist Teil der Verhandlungen", erklärte Solón auf dem Gipfel.

Wie die klimadiplomatische Blockade in den USA und EU in letzter Zeit jedoch attackiert (und tatsächlich brüchiger) wird und warum Verhandeln weiter Sinn macht (auch wenn die Resultate mau sind), darum wird es im zweiten Teil des Artikels gehen, der am Montag erscheint. Auch die fatale Rolle der Medien wird darin zur Sprache kommen.

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