Carte blanche für "wertegeleitete" Rüstungsexporte

Unter den Tiernamen auf der Exportliste: Der "Dingo" von Krauss-Maffei Wegmann. Foto: *Jonas* via Wikimedia Commons

Ein neues Gesetz soll die Erfolgsgeschichte deutscher Waffenausfuhren fortschreiben. Die Exportkontrolle wird dabei löchriger als ein Fischernetz gestaltet. Und dies ist kein Versehen.

Am 3. Januar veröffentlichte das Bundeswirtschaftsministerium die aktuellen Zahlen zu deutschen Rüstungsexportgenehmigungen im Jahr 2022. Interessant ist dabei, wie einige Medien die zentralen Ergebnisse zusammenfassen, wenn etwa das Handelsblatt titelt "Deutsche Rüstungsexporte 2022 leicht rückläufig".

Das ist sachlich zwar nicht direkt falsch, verschleiert aber bereits in der Überschrift die zentrale Tatsache, dass der Geldwert der deutschen Exportgenehmigungen im vorigen Jahr "der zweithöchste Betrag in der Geschichte der Bundesrepublik" war, wie im Handelsblatt dann später doch noch eingeräumt wird.

Wie nicht weiter verwunderlich, sind es vor allem die Waffenlieferungen in die Ukraine, die hierfür maßgeblich verantwortlich sind. Der lange existierende Grundsatz, dass keine Waffen in Krisen- oder gar Kriegsgebiete geliefert werden sollen, existiert schon länger nur noch auf dem Papier.

Mit dem aktuell in Abstimmung befindlichen Entwurf für ein Rüstungsexportgesetz soll mit diesbezüglichen Vorbehalten jedoch endgültig aufgeräumt und generell dafür gesorgt werden, dass deutsche Rüstungsexporte künftig noch reibungsloser bewerkstelligt werden können.

Von Rekord zu Rekord

Was Rüstungsexportgenehmigungen angeht, sind bislang noch die "Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern" maßgeblich. In diesen zuletzt im Juni 2019 aktualisierten Richtlinien ist die Rede vom "Bestreben", die "Rüstungsexportpolitik weiter restriktiv zu gestalten". Und tatsächlich klingen die einzelnen Passagen teils durchaus danach, diesem Anspruch gerecht werden zu wollen.

Allerdings handelt es sich bei diesen Rüstungsexportrichtlinien um genau das: unverbindliche Richtlinien, die je nach Interessenlage auch gebrochen oder zurechtgebogen werden können. Dass ihr Pendant auf EU-Ebene, der "Gemeinsame Standpunkt für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern", eigentlich rechtlich bindend ist, macht es leider auch nicht besser, weil die Auslegung der darin enthaltenen Kriterien den Staaten überlassen wird.

Außerdem existieren faktisch keine Klage- oder Sanktionsmöglichkeiten gegen Länder, die die Kriterien brechen.

Wichtig erscheint hier der Hinweis, dass es sich dabei keineswegs um handwerkliche Fehler handelt – es sind bewusste politische Entscheidungen, die Exportkontrolle löchriger als ein Fischernetz zu gestalten. Dabei geht es weniger darum, der heimischen Industrie Geld in die Taschen zu spülen, auch wenn dies sicher ein gewünschter Nebeneffekt ist.

Vor allem sollen die Exporte generell zur Stärkung der rüstungsindustriellen Basis beitragen, was von allen Bundesregierungen der letzten Jahre zu einem Kerninteresse deutscher Machtpolitik erklärt wurde. Hier liegen die Ursachen, weshalb es sich bei den Rüstungsexportgenehmigungen – zumindest aus Sicht der interessierten Kreise – um eine wahre Erfolgsgeschichte handelt.

Auch wenn Exporte starken jährlichen Schwankungen unterliegen, ist der Trend eindeutig – und der zeigt steil nach oben. So wurden zwischen 2005 und 2014 im Schnitt jährlich Genehmigungen im Wert von 4,76 Mrd. Euro erteilt, von 2015 bis 2022 waren es dagegen 7,12 Milliarden Euro.

Gleichzeitig wurden auch in schöner Regelmäßigkeit neue "historische" Höchststände gemeldet, etwa 2015 (7,5 Milliarden Euro), dann 2019 (acht Milliarden Euro) und schließlich 2021 (9,35 Milliarden Euro). Diese Zahl wurde im vorigen Jahr tatsächlich nicht noch einmal getoppt, aber dennoch dürften Rheinmetall und Co. dieses Jahr mit dem "zweitbesten" Ergebnis aller Zeiten hochzufrieden sein:

Im Jahr 2022 wurden nach vorläufigen Zahlen Einzelgenehmigungen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern im Wert von 8,36 Mrd. € erteilt (anteilig: 3,96 Mrd. € Kriegswaffen und 4,4 Mrd. € sonstige Rüstungsgüter.


Aus der Pressemitteilung des Bundeswirtschaftsministeriums vom 3. Januar 2023

Vor diesem Hintergrund hat es schon einen sehr faden Beigeschmack, wenn der Ex-Attac-Aktivist und heutige Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Sven Giegold, der übrigens auch für das geplante Rüstungsexportkontrollgesetz federführend ist, diese Zahlen dann auch noch als vollen Erfolg verkaufen will:

Die Bilanz der Bundesregierung im ersten Jahr ihrer Amtszeit zeigt die Ergebnisse wertegeleiteter Rüstungsexportpolitik im Angesicht der Zeitenwende. […] Die Bundesregierung setzt sich auf dieser Grundlage auch für eine stärkere Zusammenarbeit in Europa ein und bringt zugleich die Arbeiten für das erste Rüstungsexportkontrollgesetz weiter voran.


Sven Giegold, 4. Januar 2023

Leider ist dieser hier über den grünen Klee gelobte Gesetzesentwurf absolut nicht geeignet, zu einer restriktiven Exportpolitik beizutragen, was auch daran liegt, dass er dazu dienen soll, die vor allem im Fall der Ukraine gelebte Praxis, auch Waffen in Kriegsgebiete zu senden, endgültig zur Normalität deutscher Exportpolitik zu machen.

Ukraine: Deutsche Waffen

Wie erwähnt, dürfte es wenig überraschen, dass im Jahr 2022 ein Viertel aller Rüstungsexportgenehmigungen (rund 2,24 Milliarden Euro) auf die Ukraine entfiel. Kurz vor Jahresende hatte das Verteidigungsministerium auch noch einmal die Liste der "Militärischen Unterstützungsleistungen für die Ukraine" aktualisiert.

Ein Blick lohnt sich dort vor allem auch in das Kapitel "Militärische Unterstützungsleistungen in Vorbereitung/Durchführung" zu werfen, worin sich die kommenden Exportvorhaben finden lassen. Dazu gehören unter anderem 18 Radhaubitzen RCH 155 oder auch sieben Flakpanzer vom Typ Gepard, dazu noch zahlreiches weiteres Gerät und große Mengen Munition.

Bezahlt wird das Ganze vor allem über zwei Töpfen:

Im Rahmen des Haushaltsverfahrens 2022 wurden die Mittel für die Ertüchtigungsinitiative auf insgesamt 2 Milliarden Euro für das Jahr 2022 erhöht. Die zusätzlichen Mittel sollen vornehmlich der Unterstützung der Ukraine zugutekommen. Zugleich werden sie zur Finanzierung der gestiegenen deutschen Pflichtbeiträge an die Europäische Friedensfazilität (EPF) eingesetzt, aus deren Mitteln wiederum Kosten der EU-Mitgliedstaaten für Unterstützungsleistungen an die Ukraine erstattet werden können.


Militärische Unterstützungsleistungen für die Ukraine, bmvg.de, 20. Dezember 2022

Tatsächlich ist es vor allem die "Europäische Friedensfazilität" (EFF), die inzwischen zu einem wesentlichen Finanzierungsinstrument für Waffenlieferungen an die Ukraine geworden ist. Endgültig beschlossen wurde sie im Frühjahr 2021, wobei damals ein Budget von fünf Milliarden Euro (in Preisen von 2018) bis 2027 vorgesehen war.

Auf Deutschland entfallen dabei 25 Prozent der gesamten EFF-Beträge. Im Anschluss an den russischen Angriff auf die Ukraine wurde aber eine EFF-Tranche nach der anderen bewilligt, meist in Bündeln zu jeweils 500 Millionen Euro.

So kamen bis Ende 2022 allein für die Ukraine 3,1 Milliarden Euro für Waffenlieferungen zusammen, da über die EFF aber auch noch andere – tendenziell eher kleineren Maßnahmen – finanziert werden, war ihr Budget damit bereits ziemlich aufgebraucht.

Um auch im kommenden Jahr weiter große Mengen EFF-Gelder vor allem für die Ukraine zur Verfügung stellen zu können, wurde deshalb eine Anhebung der Gelder als dringend erforderlich erachtet. Am 12. Dezember 2022 meldete vor diesem Hintergrund der Rat der EU:

Deshalb wurden bereits im Jahr 2022 86 Prozent der finanziellen Gesamtobergrenze für 2021 bis 2027 gebunden, was eine erste Anhebung erforderlich gemacht hat. […] Der Rat hat insbesondere beschlossen, die finanzielle Gesamtobergrenze 2023 um zwei Milliarden Euro anzuheben (zu Preisen von 2018), wobei eine weitere Anhebung zu einem späteren Zeitpunkt möglich ist.

Die Anhebung der finanziellen Gesamtobergrenze der EFF würde sich bis 2027 insgesamt auf bis zu 5,5 Mrd. € (zu Preisen von 2018) belaufen. […] Dieser Beschluss setzt ein klares politisches Signal für das anhaltende Engagement der EU bei der militärischen Unterstützung sowohl für die Ukraine als auch für andere Partner.


Rat der EU, 12. Dezember 2022