Carte blanche für "wertegeleitete" Rüstungsexporte

Seite 2: Carte blanche für Ausfuhren in Kriegsgebiete

Der Grundsatz, keine Waffen in Krisen- oder Kriegsgebiete zu exportieren, leitet sich u.a. aus dem bereits erwähnten und für die EU maßgeblichen "Gemeinsamen Standpunkt betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern" vom Dezember 2008 ab:

Die Mitgliedstaaten verweigern eine Ausfuhrgenehmigung für Militärtechnologie oder Militärgüter, die im Endbestimmungsland bewaffnete Konflikte auslösen bzw. verlängern würden oder bestehende Spannungen oder Konflikte verschärfen würden.


Gemeinsamer Standpunkt betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern, 13. Dezember 2008

Nun ist schon klar, dass Deutschland seit vielen Jahren unter Nichtbeachtung dieser Richtlinien Waffen in Krisen- und Kriegsgebiete liefert. So offenbarte im Sommer 2022 die von den Nichtregierungsorganisationen Facing Finance und Urgewald erstellte Datenbank "Exit Arms", dass deutsche Unternehmen allein zwischen 2015 und 2020 in über 200 Fällen in in dieser Hinsicht problematische Geschäfte verwickelt waren.

Es ist aber ebenso klar, dass diese Praxis nun mit den Waffenlieferungen an die Ukraine noch einmal ganz andere Dimensionen erreicht. Vor diesem Hintergrund soll der Mitte Oktober 2022 veröffentlichte Entwurf "Eckpunkte für das Rüstungsexportkontrollgesetz", mit grundsätzlichen Vorbehalten gegenüber derlei Waffenlieferungen in Kriegsgebiete weitgehend aufräumen.

Erarbeitet wird das Gesetz unter der Ägide des grünen Staatssekretärs im Wirtschaftsministerium Sven Giegold, dessen Partei zynischerweise im Bundestagswahlkampf 2021 noch den Slogan "Keine Waffen und Rüstungsgüter in Kriegsgebiete" vor sich hergetragen hat.

Augenscheinlich sollen mit dem kommenden Gesetz die im Fall der Ukraine schon praktizierten Waffenlieferungen nun juristisch (und damit bis zu einem gewissen Grade auch politisch) hieb- und stichfest gemacht werden:

Es soll ausdrücklich die Möglichkeit festgeschrieben werden, Länder, die sich in Konflikten befinden oder bei denen ein Ausbruch eines Konfliktes konkret zu befürchten ist, im Einklang mit den der deutschen Außenpolitik zugrunde liegenden Werten und den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen und geltendem Völkerrecht in ihren legitimen Interessen, insbesondere dem Recht auf Selbstverteidigung, zu unterstützen.

Dabei berücksichtigt die Bundesregierung die Lage und Positionierung der Bundesrepublik in Bezug auf den Konflikt, bestehende Bündnisverpflichtungen und Sicherheitspartnerschaften, anderweitige außen- und sicherheitspolitische Belange sowie das Vorliegen einer völkerrechtswidrigen Androhung oder Anwendung von Gewalt gegenüber dem Empfängerstaat.


Aus den "Eckpunkten für das Rüstungsexportkontrollgesetz" vom 14. Oktober 2022

Da der Entwurf auch an anderen Stellen – etwa beim Export im Rahmen europäischer Kooperationsprojekte oder dem Fehlen eines Verbandsklagerechts – hochgradig problematisch ist, sparten Organisationen wie die "Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!" nicht mit Kritik:

Wenn die Eckpunkte in ihrer jetzigen Gestalt im Gesetzentwurf umgesetzt werden, besteht die Gefahr, dass das Rüstungsexportkontrollgesetz in großen Teilen die bisherige Rüstungsexportpolitik festschreiben wird und darüber hinaus sogar weitergehende Möglichkeiten für die Genehmigungsfähigkeit von Rüstungsexporten schafft.


Stellungnahme der "Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel" vom 21. November 2022

Es steht aber zu befürchten, dass die berechtigten Einwände gegenüber einer weiteren Aushöhlung der deutschen Exportkontrolle ungehört verhallen werden – eben weil eine wirklich restriktive Politik in diesem Bereich nie das Ziel war, auch nicht unter der aktuellen Regierung.