Chance für Klimaforschung mit Daten aus Russland: Der Arktische Rat lebt

Die Arktis (hier: Hjorthfjellet, Spitzbergen) verändert sich. Für genaue Klimamodelle werden auch Daten aus Russland benötigt. Archivbild: Bjoertvedt / CC-BY-SA-3.0

Norwegen übernimmt Vorsitz des Gremiums. Eine Zusammenarbeit in Klima- und Umweltfragen scheint nicht mehr unmöglich. Russische Daten werden dringend gebraucht.

Der Vorsitz des Arktischen Rates hat turnusgemäß gewechselt, von Russland zu Norwegen. Was in der Vergangenheit ein feierlicher Event mit hochrangiger internationaler Besetzung war, fand diesmal praktisch ohne Öffentlichkeit statt, mit einem norwegischen Vertreter digital ins russische Salechard zugeschaltet. Immerhin gab es eine kurze gemeinsame Erklärung der Teilnehmer. Und Norwegens Außenministerin Anniken Huitfeld verkündete, das Ziel sei, dass der Rat seine wichtige Arbeit wieder aufnehme. Einfach wird das nicht.

Kurz nach Russlands Einmarsch in die Ukraine hatten sich die sieben West-Staaten aus dem Arktischen Rat zurückgezogen, um nicht mit Russland zusammenarbeiten zu müssen, das seit 2021 turnusgemäß den Vorsitz innehatte. Der demonstrative Akt hatte weitreichende Folgen, nur nicht die beabsichtigten: Während in der Ukraine immer noch Krieg herrscht, wurde fast die Hälfte der Arktis eine Art schwarzes Loch für die Klimaforschung.

Denn zum einen fanden gemeinsam mit russischen Instituten geplante Projekte nicht statt. Zum anderen fanden russische Wissenschaftler kaum noch Publikationsmöglichkeiten in den dominierenden Medien. Es wurden zwar einige Projekte umgesetzt, aber nicht über den neuen Eisernen Vorhang hinweg.

"Herausforderungen, die wir gemeinsam lösen müssen"

Die Lücke, die sich hier auftut, wird langsam auch manchem Politiker bewusst. In der Vorbereitung der Vorsitz-Übernahme deuteten sowohl Norwegens Außenministerin Anniken Huitfeld als auch Klima- und Umweltminister Espen Barth Eide an, dass man sich eine Zusammenarbeit mit russischen Wissenschaftlern auf einem gewissen Level wieder vorstellen könne.

"Es ist unglaublich wichtig, dass wir es schaffen, in der einen oder anderen Form weiterzumachen. Auch wenn es nicht möglich ist, wie früher mit Russland an einem Tisch zu sitzen, gibt es große Herausforderungen, die wir gemeinsam lösen müssen", zitiert High North News Anniken Huitfeld nach der Vorstellung des norwegischen Programms Ende März.

Espen Barth Eide hielt es für möglich, dass es gerade zu Klima- und Umweltfragen wieder eine Zusammenarbeit geben wird: Es liege ein gemeinsames Interesse darin, Daten zu sammeln, damit die Klimamodelle funktionierten. Dazu benötige man Daten aus mehreren Regionen, inklusive Russland. In Spitzbergen, Nordnorwegen und Nordrussland gebe es viele ähnliche Probleme, unter anderem durch tauenden Permafrost. Es gebe die Hoffnung auf Raum für Kontakte zu diesen Themen, auch wenn Kontakte auf höherer politischer Ebene nicht möglich seien.

Mit solchen pragmatischen Kontakten hat Norwegen Erfahrung: Eine gemeinsame Fischereipolitik für die Barentssee wurde bereits im Kalten Krieg etabliert. Und daran hält Norwegen auch während des Ukraine-Kriegs fest, auch wenn sich das Land ansonsten den EU-Sanktionen angeschlossen hat. Der Erhalt des Fischbestands (zur möglichst effektiven Ausbeutung) ist zu wichtig. Gemeinsam haben norwegische und russische Wissenschaftler die Quoten festgelegt – diesmal ohne den International Council for the Exploration of the Sea (ICES), wo Russland suspendiert ist.

Und während Norwegen einerseits dem US-Militär immer mehr Raum im Land gibt und seine frühere Basis auf Andøya für die Nato-Partner ausbauen will, dürfen russische Trawler immerhin die drei wichtigsten Fischereihäfen in Nordnorwegen, Tromsø, Kirkenes und Båtsfjord anlaufen.

Die russischen Vertreter hätten sich bei der Vorbereitung der Vorsitz-Übergabe konstruktiv verhalten, so Norwegens arktischer Botschafter Morten Høglund gegenüber dem Nachrichtenportal High North News. Und sie fanden auch eine Möglichkeit, bei einer ganz anderen Veranstaltung den gedruckten wissenschaftlichen Abschlussbericht aus der Zeit des russischen Vorsitzes öffentlichkeitswirksam dem überraschten norwegischen Ministerpräsidenten Jonas Gahr Støre in die Hand zu drücken.

Høglunds russischer Amtskollege Nikolaj Kortschunow hatte schon früher betont, der Arktische Rat bleibe für Russland ein wichtiges Gremium. Doch die westlichen arktischen Staaten sind zukünftig nicht mehr die einzigen Ansprechpartner Russlands: China ist schon lange an der Arktis interessiert.

Nun wurde ein Abkommen zwischen Russland und China geschlossen, in dem es um Kooperation bei der Bewachung der Küste und Schmuggel geht. Russland hat außerdem den Plan verkündet, gemeinsam mit anderen BRICS-Staaten Forschungseinrichtungen auf Spitzbergen zu entwickeln und zu nutzen.

Welche Rolle kann der Arktische Rat künftig spielen?

Es wäre unrealistisch, sich allzu viel vom norwegischen Vorsitz im Arktischen Rat zu erhoffen, solange die äußeren Bedingungen sind, wie sie sind: Krieg in der Ukraine und anderswo, ein neuer Eiserner Vorhang und eine Welt, die sich erneut in Blöcke aufzuteilen scheint. Auch Schweden und Finnland haben inzwischen bekanntlich die Nato-Mitgliedschaft beantragt, und Finnland wurde bereits aufgenommen. Angesichts dieser Umstände ist schon die reibungslose Übergabe des Vorsitzes eine diplomatische Leistung, die möglicherweise nicht in jeder Konstellation geklappt hätte.

Die gemeinsame Erklärung ist kurz und bezieht sich zum großen Teil auf Dinge, die bereits vor zwei Jahren in Reykjavik beschlossen wurden. Aber allein die Existenz einer solchen gemeinsamen Erklärung ist ein Zeichen, dass man nicht alles Porzellan zerschlagen will, dass man sich bewusst ist, dass man den anderen braucht – unabhängig davon, was man ansonsten von ihm hält.

2019 in Rovaniemi hatte der damalige US-Außenminister Mike Pompeo noch eine gemeinsame Erklärung platzen lassen, weil er – ganz auf Trump-Linie – das Wort "Klimawandel" darin nicht lesen wollte.

Wie groß ist die Chance, dass es wieder blockübergreifende Forschungszusammenarbeit geben wird? Der norwegische Seniorforscher Svein Vigeland Rottem vom Fridtjof-Nansen-Institut berichtet gegenüber High North News, die westlichen Staaten des Arktischen Rates seien sich in dieser Frage nicht einig. Die anderen wüssten, dass Norwegen Kontakte befürworte, aber die Zeit sei noch nicht reif dafür.

Außenministerin Huitfeld formuliert es in der Pressemitteilung diplomatisch:

Unser Ziel ist, dass der Arktische Rat in der Zeit unseres Vorsitzes seine wichtige Arbeit wieder aufnehmen kann. Zusammen mit den anderen Mitgliedsstaaten werden wir abklären, wie das in der Praxis umgesetzt werden kann. Politische Kontakte mit Russland sind unmöglich, aber wir wollen uns gegenüber Russland im Arktischen Rat vernünftig und verlässlich verhalten (…).

Es ist entscheidend, dass die arktischen Staaten weiter Verantwortung für den Umgang mit dem Klimawandel und seinen Auswirkungen auf die Ökosysteme und die Menschen in der Arktis übernehmen.


Anniken Huitfeld, Außenministerin Norwegens

Dass der Vorsitz-Wechsel geklappt hat, ist ein erstes gutes Zeichen. Gelingt es nun allerdings nicht, den blockübergreifenden Austausch wieder zu etablieren, und bleiben die Nato-Länder unter sich, wird der Arktische Rat überflüssig.