Chaos Computer Club verleiht Preis an Siemens für Filtersoftware (Update)

Smartfilter filtert CCC und Gewerkschaften aus

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Der Chaos Computer Club (CCC) verleiht heute den Chaos CeBIT Award an die Software "Smartfilter" von Siemens. Die Preisverleihung begründen die Hacker süffisant: Gerade auf der Cebit erhalte ein "Beitrag, der klar formuliert, was alles schief läuft" einen "besonderen Wert, den auch Journalisten zu schätzen wissen".

Vielleicht nicht schön, aber "dem Anlass entsprechend": Die Statuette, für den Chaos CeBIT Award

Ganz in Anlehnung an die ironisch-unterkühlte Diktion des Big Brother Awards heißt es als Begründung, dass damit "die besonderen Verdienste, die die Firma Siemens mit ihrer Software 'Smartfilter' um die Internet-Zensur und Kommunikationsverhinderung erworben hat", gewürdigt werden.

Die Vermarktung von Smartfilter könnte politische Weichen stellen: Zur Zeit setzen Provider noch keine Internetfilter ein. Der Gesetzgeber verlangt den Einsatz nur, wenn er technisch möglich und finanziell zumutbar ist. Die von Siemens entwickelte Standardsoftware rückt dies nun allerdings in den Bereich des Möglichen. Internet-Provider könnten mit Hinweis auf den Smartfilter künftig zur Verantwortung gezogen werden, befürchtet der CCC.

Bei "Smartfilter" handelt es sich um eine ständig aktualisierte Datenbank von Internetadressen, die sowohl Siemens-intern eingesetzt wird, aber auch als Standardsoftware zur Filterung von Internet-Inhalten im Handel ist. Die Software wird auf einer Firewall installiert, die inhaltlichen Kategorien können einzeln konfiguriert werden.

Firmen setzen die Filter hauptsächlich deshalb ein, um ihre Mitarbeiter vom unproduktiven Surfen abzuhalten. So zitiert die Website von Smartfilter eine "aktuelle Umfrage des W3C unter Managern". Demanch machen sich 81 Prozent der Manager Gedanken über die Auswirkung des Internets auf die Produktivität und 68 Prozent über die Ablenkung der Mitarbeiter von der Tagesarbeit machen.

Criminal Skills

Zu den über die Kategorien vom Zugriff ausgeschlossenen Seiten gehört auch die Website des CCC. Der Lobbyverein für kreative Hacker ist bei "Smartfilter" in der Rubrik "Criminal Skills" - "kriminelle Fähigkeiten" - eingetragen und somit weder mit einem WWW-Browser, noch per E-Mail erreichbar. Das "SmartFilter Team" begründet dies so:

"Auf der genannten Seite finden sich immer wieder Informationen, die kriminelle Aktivitäten ermöglichen. d.h nicht unbedingt, dass der Inhalt an sich kriminell ist. Im Falle des CCC oder l0pht.com ist die Intention zwar Schwachstellen aufzuspüren, um Sie dann zu vermeiden, eine kriminelle Nutzung ist jedoch genauso leicht, wenn nicht sogar leichter. Die Kategorie, unter der die Seite gesperrt ist, heißt dementsprechend auch criminal skills und nicht criminal content."

Unter "Criminal Skills" versteht Smartfilter "Anleitungen oder Hinweise auf Methoden, die geeignet sind, illegale Aktivitäten und Verbrechen zu fördern, Seiten, die dazu aufrufen oder die die erforderlichen Fertigkeiten vermitteln. Darin eingeschlossen sind beispielsweise Bombenbauanleitungen, Anleitungen wie man Schlösser knackt, Einbrüche, Vergewaltigungen und Morde begeht, usw. Insbesondere sind auch Seiten enthalten, die sich mit dem Hacken von Computern befassen oder Möglichkeiten bieten, Passwörter zu knacken".

Illusion einer machbaren Zensur

Tatsächlich scheint die Zuordnung etwas willkürlich zu sein: Die amerikanische Hackerzeitschrift 2600 steht nach Angaben des CCC neben der Bundesregierung in der Rubrik "Politics, Opinion, Religion", die Seiten vom Mitsubishi Electric werden unter "Personal Pages" geführt, die Seiten von Microsoft finden sich in gar keiner Kategorie. Auch sollen einige Gewerkschaften ausgefiltert werden, jedoch kein einziger Arbeitgeberverband. Das ist nach Ansicht des CCC "besorgniserregend".

Immerhin verweist das "SmartFilter Team" auch auf die Möglichkeit, den individuellen Surfwunsch direkt mit dem Arbeitgeber beziehungsweise dem Proxybetreiber auszuhandeln: "Sollten Sie aus beruflichen Gründen Zugriff auf solche Seiten brauchen, besteht die Möglichkeit, lokal auf dem Proxy der Ihnen Zugang zum Internet vermittelt, die Seite freizuschalten. Wenden Sie sich bitte an Ihren Proxybetreiber."

Der CCC will sich mit der Preisverleihung grundsätzlich gegen den Einsatz von Netzfiltern wenden. Denn "ein gefiltertes Internet widerspricht dem Grundrecht auf freie Kommunikation". Zudem könne jeder Filter jederzeit umgangen werden, indem die Seiten durch zwischengeschaltete Speicher-Server, so genannte Proxy-Server, bezogen werden. Tatsächlich stößt sogar China mit seinen Filtermechanismen an Grenzen: Chinesische Nutzer umschifften die Zensur, indem sie Newsgroups über Dejanews oder das chinesische Yahoo nutzten.

Die Filter vermittelten nach Ansicht des CCC nur "die Illusion einer machbaren Zensur" und der Gängelung der Benutzer. Jens Ohlig, Sprecher des CCC:

"Hier wird versucht, ein soziales Problem mit technischen Mitteln zu lösen. Wer so handelt, zeigt, dass er weder die Funktionsweisen der Technik noch der Gesellschaft begriffen hat."

Ironie des Filters

Ein führender Siemens-Mitarbeiter wollte gegenüber Telepolis noch keine Stellungnahme abgeben, da der CCC Siemens nicht vorab über die Gründe der Preisverleihung informiert habe. Er könne sich auch auf der Homepage des CCC nicht informieren, da diese ja über das Siemensnetz wegen Smartfilter nicht zu erreichen sei. Allerdings vermutet er, dass der Hintergrund der Preisverleihung ein schwelender Streit zwischen Siemens-Hausjuristen und dem CCC sei.