China propagiert eine "polare Seidenstraße"

Seite 2: Kein Anrainer, aber doch betroffen

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All das ist China ist nicht entgangen. Seit Jahren entwickelt Peking deshalb eine eigene Politik, ihre Kernelemente sind schon länger bekannt. China habe eine klare, aber bisher ungeschriebene Arktis-Politik, urteilte 2016 Nengye Liu, Jurist an der University of New England in Australien. Das Manko, kein schriftliches Konzept zu haben, hat die chinesische Regierung jetzt geschlossen. So heißt es im White Paper:

Die Umwelt der Arktis unterliegt rapiden Veränderungen. In den vergangenen drei Jahrzehnten ist die Temperatur in der Arktis kontinuierlich gestiegen, als Ergebnis schmilzt im Sommer das Eis. Wissenschaftler gehen davon aus, dass Mitte des Jahrhunderts oder auch früher das Nordpolarmeer Teile des Jahres eisfrei sein werden.

White Paper

Nun kann China natürlich keine Ansprüche als Arktis-Anrainer gelten machen. Anrainerstaaten sind Russland, Kanada, Dänemark (Grönland), die USA (Alaska) und Norwegen (Spitzbergen). Trotzdem will China nicht mehr außen vor bleiben: Die Lage in der Arktis betreffe längst nicht mehr nur die Anrainer, heißt es im White Paper, sondern betreffe die internationale Gemeinschaft genauso wie Staaten außerhalb der Region - also auch China:

Staaten außerhalb der Arktis-Region haben keine territoriale Souveränität in der Arktis, aber sie haben Rechte in Bezug auf wissenschaftliche Forschung, Schifffahrt, Überflug, Fischerei, das Verlegen von Unterseekabeln und Pipelines auf hoher See und anderen wichtigen Gegenden des Nordpolarmeeres sowie das Recht, Ressourcenvorkommen zu erforschen und auszubeuten, entsprechend Verträgen wie dem UN-Seerechtsübereinkommen und dem allgemeinen Völkerrecht.

White Paper

Ein neuer Beinahe-Anrainer

Außerdem definiert sich China mit dem White Paper als "Arktis-naher Staat" (near arctic state). China sei "einer der kontinentalen Staaten, die am nächsten am arktischen Kreis liegen". Diese Selbstdefinition hatte schon vor einigen Jahren für Aufsehen gesorgt. Auf einer Konferenz in Peking hätten chinesische Experten China als "Arktis-nahen Staat" und Teilhaber (stakeholder) bezeichnet, berichtete 2012 das Stockholmer Forschungsinstitut SIPRI in einer eigens herausgegeben Pressemitteilung.

Diese Wortwahl ist nun offiziell: "China ist ein wichtiger Stakeholder in arktischen Angelegenheiten", heißt es im White Paper (zur Wortbedeutung von stakeholder, nicht zu verwechseln mit shareholder, siehe Wikipedia). An späterer Stelle ist zudem von allen Stakeholdern der Arktis die Rede: "Das schließt Staaten sowohl innerhalb wie außerhalb der Arktis ein sowie zwischenstaatliche Organisationen und nicht-staatliche Akteure."

Historische Ansprüche und heutige Ziele

Um die eigenen Ansprüche plausibler zu machen, greift die chinesische Regierung auf die Geschichte zurück: So ist China schon 1925 dem Spitzbergen-Vertrag beigetreten. Seit 1996 ist das Land Mitglied im International Arctic Science Committee. Seit 1999 habe China mehrere Expeditionen organisiert und 2004 die Arctic Yellow River Station in Ny Alesund auf Spitzbergen gebaut. 2005 habe China mit der Arctic Science Summit Week eine wichtige Fachkonferenz ausgerichtet.

2013 wurde China Beobachter im Arktis-Rat. Als "wichtiges Mitglied der internationalen Gemeinschaft" habe China eine konstruktive Rolle dabei gespielt, das internationale Recht bezüglich der Arktis und ihre Verwaltung zu entwickeln. Als Mitglied im UN-Sicherheitsrat sei China auch mitverantwortlich für Sicherheit und Frieden in der Arktis, formuliert das White Paper und definiert die Ziele Pekings:

Die Ziele der chinesischen Politik in der Arktis sind: die Regierung (governance) der Arktis verstehen, schützen, entwickeln und daran teilnehmen, dass die gemeinsamen Interessen aller Länder und der internationalen Gemeinschaft in der Arktis gesichert sind, und die nachhaltige Entwicklung der Arktis fördern.

White Paper

China werde seine Politik an vier Prinzipien ausrichten: "Respekt, Kooperation, Win-Win-Ergebnisse und Nachhaltigkeit", kündigt Peking an. In der Arktis müsse internationales Recht gelten wie die UN-Seerechtskonvention, die Freiheit der Meere und der International Code for Ships Operating in Polar Waters (Polar Code). China werde bei der Entwicklung der Schifffahrtsrouten helfen und respektiere das Recht der Anrainer auf Öl- und Gasvorkommen, soweit diese in ihren Gebieten liegen. Die Arktis müsse friedlich und umweltfreundlich genutzt werden. Streitfragen über Hoheitsgebiete müssten in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht und bestehenden Verträgen friedlich gelöst werden. "Die Regierung der Arktis erfordert die Teilnahme und Mitwirkung aller Stakeholder."

Konkurrenz oder Kooperation?

In den USA hatte das chinesische Interesse an der Arktis allerdings bereits 2016 Bedenken ausgelöst. Das International Security Advisory Board (ISAB) des Außenministeriums warnte in einem Report, neben den "russischen Aktivitäten" China nicht zu vergessen. Die USA müssten eigene Eisbrecher entwickeln und Infrastruktur in der Arktis ausbauen, forderte das Beratergremium, dem Sicherheitsexperten aus Politik, Wissenschaft, Militär und Diplomatie angehören.

Der chinesische Vize-Außenminister Kong Xuanyou versuchte allerdings jetzt, entsprechende Bedenken zu zerstreuen: "Manche Leute zweifeln Chinas Mitwirkung in der Arktis an und sorgen sich, dass wir nur Rohstoffe ausbeuten und die Umwelt schädigen werden. Ich denke, solche Bedenken sind völlig unnötig", sagte er bei der Vorstellung des White Papers.

Eine günstige Prognose stellte auch der erwähnte Nengye Liu 2016 aus: "China nimmt in Verhandlungen kaum ein konfrontative Position ein", schrieb er. Deshalb werde China wohl auch in der Arktis die Zusammenarbeit suchen: "Das Schlüsselziel der chinesischen Arktis-Politik ist, nicht zurückgelassen zu werden, wenn am rohstoffreichen Nordpol die Regeln geändert werden."

Tatsächlich ist China eher ein Nachzügler. So haben die USA längst eine eigene Arktis-Politik. Und die Europäische Union hat schon seit 2012 eine Arktis-Strategie. Beide sind aber auch Arktis-Anrainer, die USA direkt und die EU indirekt über ihr Mitglied Dänemark.

Die Zusammenarbeit der Anrainer läuft bisher übrigens ausgesprochen gut, wie John Woitkowitz gerade analysiert hat. Die meisten mutmaßlichen Rohstoffvorkommen lägen ohnehin in Küstengewässern und Außenwirtschaftszonen von Staaten, ihre Besitzer sind also unstrittig. Im Arktischen Rat würden Gebietskonflikte diplomatisch gelöst, die Arktis sei daher "ein Erfolgsmodell für internationale Zusammenarbeit", so der Arktis-Experte. Die Arktis-Anrainer können sich dabei auf eine größere chinesische Beteiligung einstellen.