China schon jetzt Nummer Eins?
Seite 2: Streit um den richtigen Kurs in China
- China schon jetzt Nummer Eins?
- Streit um den richtigen Kurs in China
- Erstaunlich konstruktive Ansätze aus China
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Wie wir alle wissen, wurde der kommunistische Flügel der KP China bereits im Jahre 1976 vom "reformerischen" Flügel um Deng Hsiao Ping ausgeschaltet. Während die Diktatur blieb, wurde die Wirtschaft Stück für Stück privatisiert.
Deng holte sogar zweimal den marktradikalen Prediger Milton Friedman ins Zentralkomitee, um den Abgeordneten Radikalkapitalismus beizubringen. Das zahlte sich für die Genossen buchstäblich in barer Münze aus: 90% aller dem Volk gestohlenen Staatsbetriebe gingen in die Hände von Partei-Hierarchen.
Während in westlichen Medien fälschlich verbreitet wurde, die am Tienanmen-Platz niedergeworfene Revolte 1989 hätte die Forderung der Protestierenden nach mehr Kapitalismus zum Ziel gehabt, richtete sich der Aufstand tatsächlich gerade gegen die kapitalistische Kleptokratie der Parteigenossen.
Auch Buchautor Rachman geht davon aus, die KP China habe an dieser Stelle ihre Legitimation verloren, und könne sich nur halten, solange der Wohlstand für die Mehrheit der Chinesen immer weiter bergauf geht. Zudem erkläre sich die aktuelle außenpolitische Aggressivität aus dem Zwang der Partei, sich durch nationalistische, säbelrasselnde Rhetorik zu legitimieren.
Da war Rachmans transatlantischer Mitstreiter Mark Leonard im Jahre 2008 schon weiter. Mark Leonard ist Direktor des von ihm gegründeten European Council on Foreign Relations. Er besuchte mehrmals China und fand heraus, dass dort eine große Vielfalt von unterschiedlichen Meinungen offen diskutiert werden kann.
Die chinesische Regierung investiert Unsummen in Denkfabriken und politikwissenschaftliche Fakultäten. Leonard bleibt die Spucke weg, als er feststellt, dass alleine nur die Chinese Academy of Social Sciences (CASS) in Peking 4.000 hauptamtliche Mitarbeiter beschäftigt. Die freie kontroverse Diskussion ist hier genauso erwünscht wie bei US-amerikanischen Think Tanks wie z.B. dem Council on Foreign Relations in New York (vgl. Der Klub der Weisen Männer.
Und so wie beim Council alles diskutiert und ausgesprochen werden darf, solange die Vorherrschaft der USA und des Finanzkapitalismus nicht in Frage gestellt wird; so darf am CASS alles diskutiert und angesprochen werden, solange die Vorherrschaft der Kommunistischen Partei Chinas und der Volksbefreiungsarmee nicht in Frage gestellt wird.
So streitet man in China um den richtigen Kurs. Der marktradikale Theoretiker Zhang Weiying propagiert weitere tiefgreifende Privatisierungen, und vertritt die beliebte trickle-down-These: Wenn man die Reichen von Steuern entlastet, wenn man sie schön fett und reich werden lässt, dann werden auch die Brosamen von den Tischen der Reichen zu den niederen Schichten herunterrieseln.
Stärkung des Binnenmarktes durch höhere Löhne
Als Reisender in Burma oder Kambodscha kann man feststellen, dass tatsächlich schon ganz schön viele Brosamen in China herunter geregnet sein müssen, denn die reichen Chinesen werden mittlerweile bevorzugt bedient vor ihren ärmeren europäischen oder australischen Zeitgenossen.
Tatsächlich klafft die Schere zwischen arm und reich immer noch beträchtlich auseinander. Dazu kommen krasse regionale Wohlstandsunterschiede. Das ruft eine "sinisierte" Variante des Keynesianismus auf den Plan, deren prominentester Vertreter Professor Wang Hui ist.
Wang gehörte 1989 zu den protestierenden Studenten in Peking. Damals trat er für einen entfesselten Markt ein. Das Deng-Regime verbannte ihn für ein Jahr in die Provinz. Der Kontakt mit den Bauern und Arbeitern schärfte seinen Sinn für soziale Gerechtigkeit. Jetzt propagiert Wang ein System der Basisdemokratie, der Stärkung des Binnenmarktes durch höhere Löhne und einen modernisierten Wiederaufbau der Sozialsysteme, die in der Deng-Ära unter die Räder gekommen sind.
Viele Jahre folgte die chinesische Führung der Linie des großen Guru Milton Friedman aus dem fernen Chicago. Es wurde privatisiert, bis der Arzt kommen musste. Nicht nur die Revolte von 1989, sondern auch nachfolgende soziale Beben haben der chinesischen Führung klar gemacht, dass sie sich gerade den Ast absägt, auf dem sie noch mit Ach und Krach sitzt.
Seit dem elften Fünfjahrplan folgt die Partei eher den Vorgaben von Professor Wang: weitere Entwicklung durch einen starken, proaktiven Staat; Erhöhung der Löhne, vorsichtiger Aufbau von Sozialsystemen, und mehr Umweltschutz.
Weltweites Netz von Waren-Käufern und Rohstofflieferanten
Der dreizehnte Fünfjahrplan (2016 bis 2020), nunmehr von dem toughen Xi Jinping politisch verantwortet, bringt einschneidende Strukturveränderungen: China will nicht mehr "verlängerte Werkbank" der USA sein. China hatte dadurch Geld angehäuft, dass es all jene dreckigen Industrien bei sich ansiedelte, die die satten Industriestaaten im Wandel zu Dienstleistungsgesellschaften nicht mehr haben wollten. Damit die hoch verschuldete USA die chinesischen Produkte überhaupt bezahlen konnte, kauften die Chinesen von ihren Einkünften amerikanische Staatspapiere.
Es entstand jene gegenseitige Abhängigkeit siamesischer Zwillinge: China kann zu jeder Tages- und Nachtzeit der US-Wirtschaft das Licht ausblasen, wenn es alle seine angekauften US-Papiere auf einen Schlag auf den Markt werfen würde. Das bekäme allerdings auch China schlecht, denn wem sollte es dann seine Billigprodukte andrehen?
Um aus dieser Verschlingung herauszukommen, will die chinesische Regierung die Kaufkraft ihrer Bürger auf breiter Basis vergrößern. Der Binnenmarkt soll Unabhängigkeit von anderen Märkten schaffen. Der Binnenmarkt alleine kann aber die Überakkumulation nicht auffangen. Deshalb schafft sich China gerade weltweit ein Netz von Abnehmern seiner Waren und von Rohstofflieferanten.
Das an Finanzkraft nur so strotzende China hat weltweit die Spendierhosen an: Im äthiopischen Addis Abeba baut China eine Untergrundbahn. In Sri Lanka eine Autobahn und einen Containerhafen. Im Westen Pakistans wird das belutschische Fischerdorf Gwadar zu einem gigantischen Hafen ausgebaut. China spendiert auch je eine Autobahn von Gwadar in die Hauptstadt Karatschi und eine an die Nordgrenze Pakistans.
Dort stoßen wir auf die chinesische Grenze. Sie ahnen es sicher schon: So ganz selbstlos ist das Ganze nicht. Öl z.B. wird in großen Mengen aus Saudi-Arabien nach China exportiert, was bislang äußerst mühsam und riskant über die Straße von Malakka zwischen Indonesien und Malaysia verschifft werden musste. Jetzt reisen die Importgüter über Gwadar durch Pakistan nach China. Damit Pakistan nicht instabil wird, muss auch das Umfeld mit chinesischem Geld buchstäblich gepflastert werden.
So funktioniert die konzentrisch um China gelegte neue Wirtschaftsvernetzung. Mit Abstand am wichtigsten ist hier allerdings das Projekt Seidenstraße (One Belt, One Road. Hier hat China über die letzten zwei Jahrzehnte kluge Netzwerkarbeit geleistet. In der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit sind jetzt 40% der Weltbevölkerung unter ein Dach gebracht.