Chomsky: Warum China, nicht Russland die US-dominierte Weltordnung bedroht
Seite 2: Konfrontation mit Russland nur Nebenschauplatz neu entstehender Weltordnung
- Chomsky: Warum China, nicht Russland die US-dominierte Weltordnung bedroht
- Konfrontation mit Russland nur Nebenschauplatz neu entstehender Weltordnung
- Die chinesische Bedrohung im Mittelpunkt der US-Strategie
- Konfrontation mit Russland: Hinweis auf Sicherheitsbedenken ist kein Handlanger-Dienst
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Es ist heute ein Gemeinplatz, dass die Welt in einen neuen Kalten Krieg eingetreten ist. Sogar das einst undenkbare Szenario, Atomwaffen im Krieg einzusetzen, ist kein Tabuthema mehr. Sind wir in eine Ära der Konfrontation zwischen Russland und dem Westen eingetreten, in eine geostrategische und politische Rivalität, die an den Kalten Krieg erinnert?
Noam Chomsky: Es wäre besser, wenn atomare Kriegsführung zum Tabuthema und zur undenkbaren Politik erklärt würde. Wir sollten mit allen Mitteln daran arbeiten, das Rüstungskontrollregime wiederherzustellen, das von Bush II und Trump, der nicht genug Zeit hatte, um die Arbeit zu vollenden, aber nahe dran war, praktisch demontiert wurde. Biden gelang es, das letzte große Relikt, New Start, nur wenige Tage vor seinem Auslaufen zu retten.
Das Rüstungskontrollregime sollte zudem erweitert werden, bis zu dem Tag, an dem die Atommächte dem in Kraft getretenen UN-Vertrag über das Verbot von Atomwaffen beitreten.
Es könnten weitere Maßnahmen ergriffen werden, um die Bedrohung zu verringern, darunter die Einrichtung atomwaffenfreier Zonen (NWFZ). Sie existieren in vielen Teilen der Welt, werden aber durch das Beharren der USA auf der Beibehaltung von Kernwaffenanlagen in diesen Zonen blockiert. Die wichtigste wäre eine atomwaffenfreie Zone im Nahen Osten. Das würde die angebliche nukleare Bedrohung durch den Iran beenden und jeden fadenscheinigen Vorwand für die kriminellen US-israelischen Bombenangriffe, Attentate und Sabotageakte im Iran beseitigen. Dieser entscheidende Fortschritt für den Weltfrieden wird jedoch einzig von den USA blockiert.
Der Grund dafür ist keineswegs ein Geheimnis: Es würde Washingtons schützende Hand über Israels riesigem Atomwaffenarsenal offenbaren. Das darf aber nicht geschehen. Würde es aufgedeckt, käme US-Recht ins Spiel, was wiederum Washingtons beispiellose Unterstützung für Israels illegale Besatzung und ständige Verbrechen gefährden könnte – ein weiteres Thema, über das aus Höflichkeitsgründen nicht gesprochen werden darf.
Es sollten alle möglichen Schritte unternommen werden, um die Geißel der Atomwaffen von der Erde zu bannen, bevor sie uns alle vernichtet.
In dem sich herausbildenden Weltsystem ist die Konfrontation mit Russland jedoch so etwas wie ein Nebenschauplatz. Putin hat Washington ein wunderbares Geschenk gemacht, indem er Europa praktisch zu einem Vasallen der USA gemacht und damit die Aussichten auf eine unabhängige "dritte Kraft" in internationalen Angelegenheiten zunichte gemacht hat.
Eine Folge davon ist, dass die dahin siechende russische Kleptokratie mit ihren riesigen Rohstoffvorkommen in die von China dominierte Zone integriert wird. Dieses wachsende Entwicklungsbanken- und Kreditsystem erstreckt sich über Zentralasien und reicht über die Vereinigten Arabischen Emirate und die maritime Seidenstraße bis in den Nahen Osten, mit Tentakeln, die sich bis nach Afrika und sogar in Washingtons "kleine Region hier drüben" erstrecken, wie der Kriegsminister von US-Präsident F. D. Roosevelt, Henry Stimson, Lateinamerika einmal beschrieb, während er die Auflösung aller regionalen Zusammenschlüsse mit Ausnahme der USA forderte.