Christian Lindner verteidigt Schuldenbremse auf Kosten der Gesamtwirtschaft

Seite 2: Geldpolitische Restriktion

Die Tendenz zum Abwarten aufgrund der Energiekrise und handwerklicher sowie Kommunikationsfehler der Regierung bei Gesetzesvorhaben wurde von der raschen und umfangreichen Erhöhung der Leitzinsen von Juli 2022 bis September 2023 verstärkt.

Die restriktive Geldpolitik verteuert die Finanzierung privatwirtschaftlicher Investitionen und senkt durch das Ausbremsen der Investitionsgüternachfrage die Auslastung und damit die Rentabilität des vorhandenen Kapitalstocks – ein fatales Signal, das einen sich selbst verstärkenden Prozess in Gang setzt.

Der Einbruch etwa im Wohnungsbau, der ein Drittel aller Anlageinvestitionen ausmacht, wird vom amtlich gemeldeten Zuwachs der Ausrüstungsinvestitionen einschließlich der öffentlichen Investitionen in die Bundeswehr nicht aufgewogen.

Auslandsüberschussnachfrage als Retter in der Not?

Der einzige Ausweg, der sich angesichts der geld- und fiskalpolitischen Restriktion bietet, um eine Abwärtsspirale der Gesamtwirtschaft zu verhindern, besteht in einer deutlich wachsenden Überschussnachfrage des Auslands nach deutschen Gütern. Auf diesen Ausweg zu setzen ist nicht nur wagemutig, weil auch die Investitionsbereitschaft in anderen Ländern unter dem weltweit gestiegenen Zinsniveau und den geopolitischen Spannungen leidet.

Auf ihn zu setzen ist obendrein rücksichtslos gegenüber den Ländern, die im internationalen Handel unterliegen und zugleich eine deutlich höhere Arbeitslosigkeit aufweisen als Deutschland. Denn kommt es zu steigenden deutschen Handelsüberschüssen, fehlt den Defizitländern auch dieses Stück zusätzlicher Nachfrage, um ihr eigenes Arbeitsplatzangebot zu erhöhen oder wenigstens zu sichern.

Zudem ist zu fragen, mit welchen Mitteln die deutsche Wirtschaft die für steigende Überschüsse notwendige Steigerung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit erreichen wollte. Wenn das über die Lohnpolitik bewerkstelligt würde, schadete es der inländischen Nachfrage – dann wäre in der Summe nichts gewonnen, es liefe eher noch schlechter.

Konzentrierte sich eine Lohnzurückhaltung auf die unteren Lohngruppen wie in den 2000er-Jahren, gefährdete die Zunahme der internationalen Wettbewerbsfähigkeit obendrein den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Versuchte der Staat, die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen durch eine Verbesserung der "Standortfaktoren" – zum Beispiel durch Steuerentlastungen und Subventionen für Unternehmen oder die Reduktion der Sozialabgaben – zu steigern, ginge das dank Schuldenbremse zulasten des öffentlichen Güterangebots und der Transferempfänger.

Der Bundesfinanzminister nennt das "Prioritätensetzung". Die Abwendung einer inländischen Nachfrageschwäche hat da offenbar ebenso wenig Priorität wie der gesellschaftliche Frieden.

Schuldenbremse gesamtwirtschaftlich falsch konzipiert

Statt sich also vehement gegen die drohende Abwärtsspirale zu stemmen, liefern Fiskal- und Geldpolitik negative Impulse. Die Regierung hofft, dass der Privatsektor selbst die Rolle des Stabilisators mittels zulegenden privaten Verbrauchs übernimmt.

Der Bundesfinanzminister beruft sich auf die Schuldenbremse, um fiskalpolitische Restriktion durchzusetzen. Bei der Verteidigung der Schuldenbremse interessiert sich Christian Lindner nicht für die unmittelbaren Einnahmen-Ausgaben-Beziehungen zwischen einerseits den drei inländischen Sektoren selbst und andererseits zwischen ihnen und dem Ausland, obwohl sie der einzig angemessene gesamtwirtschaftliche Rahmen sind, innerhalb dessen man die Wirkung der Schuldenbremse sinnvoll diskutieren kann.

In Hinblick auf die Schuldenbremse sieht er den Staat offenbar als einen Finanzmarktteilnehmer unter anderen, der sich so rational verhalten sollte wie ein Unternehmen – und das heißt, so einzelwirtschaftlich prozyklisch und ohne jedes Bewusstsein für die Aufgabe, die die Wirtschaftspolitik nun einmal hat: die Gesamtwirtschaft auf einem einigermaßen ruhigen und prosperierenden Pfad zu halten, sodass sie weder überbordet noch abstürzt.

Dem Bundesfinanzminister ist nicht klar, dass eine Marktwirtschaft ein permanent in Bewegung befindliches, in sich grundsätzlich instabiles System ist, weil in ihm laufend Anpassungsprozesse stattfinden, die darauf beruhen, dass sich die einzelnen Akteure am Verhalten aller anderen orientieren. Verstärkt der Staat die prozyklische Tendenz der Privaten durch eigenes Parallelverhalten, heizt er die Instabilität noch an.

Die Schuldenbremse ist nicht deshalb falsch, weil der Staat nie sparen sollte. Sie ist falsch, weil sie die Bedingungen, wann der Staat sparen und wann er sich verschulden sollte, unabhängig vom sich abzeichnenden Verhalten der anderen volkswirtschaftlichen Sektoren festlegt. Sie zeichnet sich durch einen gesamtwirtschaftlichen Autismus aus, der die Wirtschaftspolitik ausgerechnet in instabilen Zeiten systematisch daran hindert, ihrer Aufgabe rechtzeitig gerecht zu werden.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.