Chuckawalla Swing: Zwischen Schlange und Leguan
Seite 2: Swingende Leguane, kämpfende Hunde
- Chuckawalla Swing: Zwischen Schlange und Leguan
- Swingende Leguane, kämpfende Hunde
- Das Gute annehmen
- Sexueller Übergriff …
- Schwieriger Heiratsantrag
- Utopie und Wirklichkeit
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Ein Ford-Western muss eine Tanzszene haben. Wagon Master hat deren zwei. Um das bisher Erreichte zu feiern und sich für die noch kommenden Strapazen zu stärken werden nach der Überquerung des Flusses Bretter für eine provisorische Tanzfläche ausgelegt. Mr. Peachtree begleitet mit seiner Trommel die Mormonenband und Wiggs ruft zum Square Dance auf. Gespielt wird der "Chuckawalla Swing" von Stan Jones, die Sons of the Pioneers singen im Off den Text dazu: "Way out west there’s a dance that’s being done/The chuckwallas do it so it must be lots of fun./All around the floor you can beat and swing/And listen to the music as they gaily sing:/You put your arm around her and you swing her 'round the floor/When you do it once then you’ll want to do it more ..." Daraus entwickelt sich die übermütigste Tanzszene im gesamten Œuvre von John Ford. Lustig ist sie auch, wenn man sich vorstellt, dass die Mormonen es den Chuckwallas gleichtun wie im Lied besungen. Der Chuckwalla ist ein dicklicher, in trockenen Gegenden im Südwesten der USA heimischer Leguan.
In den Tanz eingebettet sind mehrere Handlungsstränge. Wiggs fordert Miss Fleuretty auf, um den Leuten von der Medicine Show zu zeigen, dass sie willkommen sind. Denver und Travis nähern sich einander weiter an. Sandy richtet zum ersten Mal das Wort an Prudence, mit der er bisher nur vielsagende Blicke ausgetauscht hat, so kommt auch diese Romanze ein Stück voran. Sandy bittet Prudence zum Tanz und sticht einen jungen Mormonen aus, Bruder Jackson, mit dem er früher schon aneinander geraten ist, weil die beiden Rivalen um die Gunst von Prudence sind. Integration, sagt der Film, ist nicht konfliktfrei und hat auch etwas mit einem Verdrängungswettbewerb zu tun. Und bis zu einem gewissen Grad chaotisch ist sie sowieso, das lässt sich nicht vermeiden. Jeder Migrationsforscher wird einem das bestätigen.
Einmal liefern sich Sandy und der Mormone eine Prügelei. Ford wollte keine routinierte Boxerei im Stile von John Wayne, sondern den Kampf zweier Männer, die mit solchen Keilereien keine Erfahrung haben. Wild und unschön sollte es also sein, keine choreographierte Gewalt wie üblich. Bei Ford schaut auch ein Wagentreck nicht aus wie in einem Durchschnittswestern, wo der Requisiteur die ewig gleichen Sachen aus dem Fundus holt. So bat er beispielsweise die als Statisten engagierten Bewohner von Moab, ihre Hunde mitzubringen. Nach Hollywood-Standards war das höchst unprofessionell, weil Hunde bellen und einem leicht die Aufnahme verderben können. Ford ließ das Bellen einfach drin. Man hört es überall im Film.
Zwei von den Moab-Hunden, erzählt Dobe Carey, gingen täglich aufeinander los. Ford hatte die Idee, die Hunde von ihren Besitzern ins Getümmel werfen zu lassen. Sie sollten neben Sandy und Bruder Jackson miteinander kämpfen, möglichst in derselben Einstellung. Ward Bond sollte sich bereithalten, um auf Fords Zeichen dazwischen zu gehen. Doch die Hunde folgten nicht der Regieanweisung. Der eine ergriff die Flucht. Der andere schnappte nach Bond und zerriss sein Hosenbein. Carey erinnert sich daran, dass das großes Gelächter hervorrief und die ohnehin schon gute Stimmung noch verbesserte. Ford improvisierte, statt die Aufnahme zu wiederholen. Sandy und der junge Mormone balgen sich, Wiggs trennt die Streithähne, Sister Ledeyard stößt dazu ins Horn und weist Wiggs auf den Riss in seiner Hose hin, worauf dieser schamhaft sein entblößtes Bein bedeckt wie sonst die jungen Mädchen. Ford treibt nicht nur da sein Spiel mit den Geschlechterrollen. Der Cowboy von "I Left My Gal in Old Virginny" zieht durchs Land und schläft mit vielen Frauen. Das ist das traditionelle Männerbild. Travis und Sandy wirken in sexuellen Dingen eher unschuldig. Nicht die Cowboys kennen viele Frauen. Es ist Denver, die viele Männer kennt.
Stimmungsumschwung
Einen Antagonismus wie den zwischen Sandy und Bruder Jackson kann man gewaltsam austragen oder mit Hilfe erlernter Kulturtechniken. Erst prügeln sie sich, dann zeigen die Rivalen beim Tanz ein ausgeprägtes Balzverhalten. Das ist die zivilisiertere Form des Buhlens um die Gunst von Prudence. Ob poetisch wie in My Darling Clementine, gravitätisch wie in Fort Apache oder quicklebendig wie in Wagon Master: Tanzveranstaltungen sind eines von den Ritualen, mit denen sich die Gemeinschaft bei Ford trotz aller Probleme ihres Zusammenhalts versichert. Beim Tanz herrscht Harmonie. Die ausgelegten Bretter sind gleichsam das Fundament, auf dem sich eine Gesellschaft bauen lässt, in der man sich bei unterschiedlichen Interessen nicht die Köpfe einschlägt oder totschießt. Die vergangenen Konflikte, die Intoleranz und die Ablehnung von Fremden, werden - zumindest vorübergehend, als Ausblick in eine bessere Zukunft - durch eine Feier des Lebens ersetzt, und alle dürfen mitmachen.
Der Tanz ist Fords Lieblingsritual, weil da alles in Bewegung ist. Die Gesellschaften, die er zeigt, sind immer in einer prekären Lage, müssen sich stets aufs Neue beweisen und dabei ihre Werte überprüfen. Meistens sind feindliche Indianer oder Banditen in der Nähe, wenn getanzt wird. Auf der Tanzfläche versammelt sind jetzt drei der vier Gruppen, die der Marshall von Crystal City in seiner Stadt nicht haben wollte: "Mormons, Cleggses, show folks, horse traders". Fehlen nur die Cleggs, die am Anfang den Raubüberfall begangen haben und die man inzwischen - wir sind in der Mitte des Films - fast vergessen hat. Prompt betreten sie die Bühne. Es könnte eine Szene aus einem Horrorfilm sein, die Rückkehr des Verdrängten. Ford verfügte über eine Fähigkeit, die das amerikanische Kino unserer Tage offenbar verloren hat. Er konnte innerhalb einer Sekunde die Stimmung radikal ändern, ohne dass ein bloßes Bravourstück daraus wird. Der Stimmungsumschwung beim Tanz der Pioniere ist Teil der Geschichte, die er uns erzählen will. Das Gute und das Böse, das Licht und die Dunkelheit trennt manchmal nur ein Filmschnitt.
Aus der Wüste kommen die Cleggs ins Lager wie Gespenster, zu hymnisch-unheimlicher Musik und dem elegischen Summen der Sons of the Pioniers (die erst "The Pioneers" hießen und sich dann umbenannten, weil jemand fand, dass sie für Pioniere doch etwas jung waren). Ford erinnert uns daran, dass es nicht die besorgten Bürger von Crystal City waren, die den Westen für die weißen Siedler erschlossen. Zuerst kamen abenteuerlustige junge Männer, religiös Diskriminierte, dubiose Geschäftemacher, fahrendes Volk, Prostituierte und Gesetzlose. Der Marshall hat gewissermaßen seine eigenen Vorfahren aus der Stadt vertrieben.
Die Ankunft der Cleggs beendet die fröhliche Tanzmusik und bricht das Gruppenbild mit Damen auf, zersplittert es in Nahaufnahmen sich misstrauisch beäugender Männer, vier auf der einen und vier auf der anderen Seite; drei von ihnen werden überleben und fünf sterben. Meistens kann man lesen, dass es ein Vater und seine Söhne sind, die den Westen unsicher machen. Fred Libby (Reese) und Mickey Simpson (Jesse) waren schon die Söhne des alten Clanton in My Darling Clementine, und auch James Arness (Floyd), der angehende TV-Marshall von Dodge City, könnte der Sohn des Bandenchefs sein, aber Hank Worden (Luke) war nur ein Jahr jünger als sein "Vater" Charles Kemper. Die Maske gibt sich keine Mühe, die Gleichaltrigkeit der beiden zu verbergen, der Patriarch verwendet das unbestimmte "my boys" für seine vermeintlichen Söhne, und diese nennen ihn "Onkel Shiloh". Statt der leibliche Vater seiner Jungs zu sein könnte der alte Clegg auch vier Waisenkinder in der Wüste aufgesammelt und zu Banditen gemacht haben.
Resolute Support
Wagon Master ist ein Film der ebenso unaufdringlichen wie eindrücklichen Kamerafahrten. Beim Eintreffen der Bande verlassen die Frauen die Tanzfläche, als würden sie einer vorher festgelegten Choreographie folgen. Die Kamerafahrt (sie dauert knapp eine halbe Minute) beginnt, als Wiggs die Banditen zur Feuerstelle führt. Die Sporen von Onkel Shiloh klirren auf den Brettern des improvisierten Tanzbodens, dann gehen er und seine Sippe an den Frauen der Mormonen vorbei wie durch ein Spalier. Das ist nicht mehr das Bild einer Gemeinschaft, sondern eines von getrennten Welten. Die Cleggs sind eine Männergesellschaft ohne Mutter und ohne Ehefrau. Die Leerstelle ist die Botschaft. Bei Ford definiert sich eine solche Gesellschaft, in der das weibliche Prinzip fehlt, primär über die Gewalt. Onkel Shiloh trägt denselben Namen wie eine der blutigsten Schlachten des amerikanischen Bürgerkriegs. Ford wäre bestimmt kein Anhänger der AfD, wenn er heute leben würde. Genauso ablehnen würde er aber eine Politik, die erst junge Männer ins Land lässt und dann den Nachzug von deren Müttern und Schwestern verhindern will, weil das die Probleme bestenfalls verschiebt und der nächsten Generation aufbürdet.
Die Mormonen sehen sich jetzt mit einer ungleich größeren Herausforderung konfrontiert als damals, als sie Dr. Hall und seine Truppe vor dem Verdursten retteten, denn: Gilt die christliche Nächstenliebe auch für Banditen? Ein Abendessen hat man ihnen schnell gewährt, weil sich die fünf Männer einfach nehmen würden, was man nicht freiwillig gibt. Aber wie geht es weiter? Wiggs flüchtet sich in bürgerliche Umgangsformen und offenbart seine ganze Hilflosigkeit, wenn er die Banditen auffordert, die Teller ordentlich aufeinander zu stapeln, nachdem sie gegessen haben. Die Probleme löst das nicht. Für die Cleggs ist es sehr praktisch, sich dem Wagentreck anzuschließen. Darum sind sie am nächsten Morgen auch noch da. Ford, der Moralapostel und deren Bigotterie nicht leiden konnte, sorgt dafür, dass Onkel Shiloh das große Bett von Dr. Hall für sich reklamiert. Diejenigen unter den Mormonen, die mehr dem Alten als dem Neuen Testament zuneigen, dürfen sich fragen, ob die Heimsuchung durch die Banditen eine Strafmaßnahme ihres zornigen Gottes ist und ob die im Bett liegende Hure nicht doch einem Killer vorzuziehen wäre, der Lust dabei empfindet, wenn er mordet. Aus Sicht der Zensoren war die Sache klar. Sex war verboten, Leute totschießen hingegen nicht.
Die eigentliche Frage aber ist: Was macht man, wenn man sich zur Gewaltfreiheit bekennt und auf Menschen trifft, für die Gewalt ein Teil des täglichen Lebens ist? Die Antwort des Films: Man braucht Helfer, an die man die Gewaltausübung delegieren kann, andernfalls wird man umgebracht. Ford tut nichts, um das moralische Dilemma, in dem die Mormonen dadurch stecken, zu vertuschen. Bruder Perkins, der Mann mit dem alttestamentarischen Bart des Gerechten, hat nicht lang gezögert, als es darum ging, der friedlichen Truppe von Dr. Hall die Gastfreundschaft zu verweigern. Angesichts der bewaffneten Banditen bleibt er auffallend still. Es sind Travis und Sandy, die demonstrativ ihre Pistolengürtel umschnallen. Die Banditen sollen sehen, dass mit Widerstand zu rechnen ist. Onkel Shiloh versteht das Signal und will wissen, ob die beiden schon einmal auf einen Menschen geschossen haben. "Nein", antwortet Travis. "Nur auf Schlangen."
Für einen Helden im Western ist das eine bemerkenswerte Aussage. Wagon Master ist meilenweit von der Selbstverständlichkeit entfernt, mit der man in unzähligen Cowboyfilmen Leute totschießt, um dann zur Tagesordnung zurückzukehren, als wäre es das Normalste von der Welt. Ford gibt der Gewalt dadurch einen anderen Stellenwert, und er nimmt den Mormonen die Möglichkeit, sich durch die Hintertür von ihrem Dilemma zu verabschieden. Der Mann, der an ihrer Stelle schießen wird, ist weder Revolverheld noch Sheriff und also keiner, der sich für ein Leben entschieden hat, in dem die Gewalt mit dazugehört. Wir erfahren gerade, wie vergleichsweise einfach und debattenlos das Delegieren wird, wenn man die allgemeine Wehrpflicht abschafft und sich ein Freiwilligenheer zulegt.
Eine Woche vor dem "Fest der Liebe", am 17. Dezember 2015, beschloss der Deutsche Bundestag einen zeitlich unbegrenzten Krieg in Afghanistan (vorerst zwei Jahre, dann schaun wir mal), ohne dass eine der mit unseren Zwangsgebühren alimentierten TV-Anstalten deshalb ihr vorweihnachtliches Wohlfühlprogramm geändert und der Abstimmung eine Sondersendung gewidmet hätte. Pünktlich nach der Tagesschau, um 20 Uhr 15, lief bei der ARD Der kleine Lord, Markus Lanz moderierte den Jahresrückblick weg, und sein Arbeitgeber, das ZDF, teilte an diesem Tag mit, "auch in diesem Jahr […] das Weihnachtsfest in seiner christlichen Bedeutung mit einem umfangreichen Programmangebot" würdigen zu wollen. Da passte der Krieg schlicht nicht dazu, auch wenn er wieder "Ausbildungsmission" heißt, seit wir eine Verteidigungsministerin haben. Wer hätte gedacht, dass man mal den Freiherrn zu Guttenberg vermissen würde, der wenigstens in dieser Hinsicht nichts verschleierte. Ohne Kampfeinsatz, sagt die Ministerin, bekämpfen wir die Fluchtursachen am Hindukusch. Wir schützen nur und leisten "resolute Unterstützung", weil sich die NATO-Mission, in deren Verlauf wieder viele Menschen sterben werden, seit heuer "Resolute Support" nennt. Der Plan, was bis wann erreicht und wie das Sterben einmal enden soll ist so geheim, dass ihn keiner kennt.
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